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Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V.

(453.) Protokoll über die Arbeitssitzung am 28. April 2006

Anwesend: Backhaus, Werner, Karlsruhe; Balharek, Christa, Karlsruhe; Blank, Clemens, Karlsruhe; Buchta, Peter, Karlsruhe; Goldschmit, Johannes, Karlsruhe; Hennl, Rainer, Karlsruhe; Herrbach-Schmidt, Dr. Brigitte, Karlsruhe; Hoffmann, Gerhard, Rastatt; Jut, Gernot, Kuppenheim; Kluth, Dr. Cornelia, Karlsruhe; Krimm, Prof. Dr. Konrad, Karlsruhe; Lang, Susanne; Karlsruhe; Latt, Wolfgang Karlsruhe; Leiber, Dr. Gottfried, Karlsruhe; Linder, Gerhard, Kuppenheim; Neubauer, Günter, Karlsruhe; Noe, Dr. Georg, Ettlingen; Roellecke, Elga, Karlsruhe; Roellecke, Prof. Dr. Gerd, Karlsruhe; Salaba, Dr, Marie, Karlsruhe; Salaba, Dr. Miroslav, Karlsruhe; Schillinger, Erich, Karlsruhe; Schwarzmaier, Lore, Karlsruhe; Schwarzmaier, Prof. Dr. Hansmartin, Karlsruhe.

Vortrag von Prof. Dr. Hansmartin Schwarzmaier, Karlsruhe

über

Die Verkehrswege im nördlichen Schwarzwald
im Verlauf seiner Erschließung im Hochmittelalter [1]

Wer sich dem Schwarzwald mit landeskundlich-historischer Fragestellung nähert, kann dies aus allen Himmelsrichtungen tun, und so ist es auch geschehen. Da ist im Norden die Universität Heidelberg, in räumlicher und thematischer Distanz zum Schwarzwald, doch dort entstand das erste grundlegende Werk, das sich mit der „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes” beschäftigte. Es stammt von Eberhard Gothein, damals Professor in Heidelberg, und der 1. und einzige Band erschien im Jahr 1892. Unter der Überschrift: „Städte- und Gewerbegeschichte”, beschreibt es den Weg von Markt und städtischer Siedlung zu Zunft und Gewerbe und schließt daran die Betrachtung der Frühindustrie, wenn man Bergbau, Holz- und Glasverarbeitung schon so bezeichnen möchte. Ein Folgeband sollte dies weiterführen, auch wenn Gotheins Forschen vor allem in die Frage nach der Entstehung des kapitalistischen Wirtschaftssystems führen sollte und zugleich die Entstehung der Stadtverfassung zum Thema hatte. Darin ist er ein Kind seiner Zeit. Doch dies alles war verbunden mit einer detaillierten Kenntnis der Landschaft, die er erwandert hat, und so bleibt dieses Buch eine Grundlagenarbeit, die, obwohl in vielen Details überholt, den Fortgang der Forschung bestimmte. Bis zu einem gewissen Grad hatte Meinrad Schaab, auch er Heidelberg verbunden, wo er lebte und lehrte, die Absicht, Gotheins Werk in moderner Form weiterzuführen und abzuschließen. Das Büchlein mit dem Titel: „Beiträge zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes”, das 2003, drei Jahre nach dem Tod Schaabs, erschien, kennzeichnet ein Lebenswerk, das Schaab nicht vollenden konnte und das lediglich in einer Reihe von fragmentarischen Beiträgen aus seinem Nachlaß vorgelegt werden konnte. Es sollte ein umfassendes, alle Bereiche der Wirtschaft einbeziehendes Werk auf der Basis der heutiger Forschung werden: Seine darin enthaltene Skizze über die Siedlungsgeschichte des Schwarzwaldes von der Urzeit bis 1800 (S. 139-146) wertet das gesamte uns heute zugängliche Quellenmaterial aus. Die Schaab’sche Quellenarbeit galt vor allem den bis dahin kaum ausgewerteten Urbaren und Berainen, an denen seine Fragen nach der Grundherrschaft, nach dem bäuerlichen Recht und den Formen der Leibeigenschaft orientiert war, einem wie bei Gothein übergeordneten Thema, für das der Schwarzwald den räumlichen Hintergrund bot.

Schaab war zugleich unserer Karlsruher Arbeitsgemeinschaft aufs engste verbunden, deren Gründung im Jahr 1960 eigentlich über Fragen zustande kam, die von Karlsruhe aus an der Geschichte des Nordschwarzwaldes und seiner Umgebung orientiert waren. Meister unseres Faches wie Alfons Schäfer und Rüdiger Stenzel, die Geographen Rudi Metz und Eugen Reinhard haben in den letzten 45 Jahren über ihre Forschungen referiert, haben Exkursionen geleitet, und insbesondere für Alfons Schäfer war der Standort Karlsruhe der Ausgangspunkt seiner Fragen nach der Erschließung und der adeligen Herrschaftsbildung im nördlichen Schwarzwald. Dass ihm auch ein grundlegender Aufsatz über den Beginn der „Höllentalstraße” zu verdanken ist, mag hier eingefügt werden. In der Arbeitsgemeinschaft gab es erstmals eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit von Historikern und Landeskundlern, von Siedlungsgeographen und Mineralogen, von Archäologen und Mundartforschern, unter denen man vor allem Fritz Langenbeck erwähnen möchte. Was von ihnen vorgetragen wurde, blieb bis heute Thema der Arbeitsgemeinschaft, und ich erinnere an den Vortrag von Steffen Häbich über „Landschafts- und Landnutzungsgeschichte „im Mittleren Schwarzwald seit dem Mittelalter” vom 13.1.2006, an den ich unmittelbar anschließe, wenn auch unter anderer Fragestellung.

Völlig anders war der Ansatz, mit dem man sich von Freiburg aus dem Schwarzwald näherte, dort naturgemäß eher dem Südschwarzwald zwischen Baar und Breisgau. Von dort kommt ja auch das älteste Werk über den Schwarzwald, die „Historia Nigrae Silvae” des st.blasischen Benediktiners Martin Gerbert, in dessen Abtei, als es sie noch gab, ein Großteil des Quellenmaterials zur Geschichte der Klöster im Schwarzwald vereinigt war. Es wurde vor kurzem in deutscher Sprache unter dem Titel „Geschichte des Schwarzwaldes” neu gedruckt. Von Freiburg gingen dann vor allem die Fragen nach der Einbindung der Schwarzwaldlandschaften in die mittelalterliche Reichs- und Herrschaftsgeschichte aus, und man wird dabei den 1932-1936 in Freiburg lehrenden Theodor Mayer zu nennen haben, der die „Erschließung des Schwarzwaldes” mit der Zähringerforschung verband, die er auf eine neue Grundlage stellte. Seine Schüler und unter diesen vor allem Heinrich Büttner haben sie erweitert und so hat sie bis heute in Freiburg ihren Platz. An Karl Schmids Zähringerkatalogen von 1986-1990 lässt sich dies nachvollziehen, und ich selbst hatte das Glück, im Jahr 1957 an jener Freiburger Exkursion nach Hirsau mitwirken zu dürfen, bei deren Vorbereitung Karl Schmid seine grundlegenden Forschungen über die Frühgeschichte Hirsaus ausarbeitete, von denen gleich die Rede sein wird.

Dass auch von Osten her der Blick auf den Schwarzwald fiel, versteht sich, lagen doch die Traditionsbücher, die ältesten Quellen von Hirsau und Klosterreichenbach, in Stuttgart und wurden dort ediert, und auch von der Universität Tübingen gingen entsprechende Forschungen aus. In älterer Zeit spielten dabei die ehemaligen Landesgrenzen zwischen Württemberg und Baden, die ja zugleich die Zuständigkeiten der Historischen Kommissionen beider Länder markierten, eine große Rolle; am Schwarzwaldkamm begegnete man sich und verstand die seit dem 16. Jahrhundert bestehende Grenze auch als eine Wissenschaftsbarriere, die man nicht ohne Weiteres überschritt, so wie es auch in anderen Bereichen der Fall war, man denke an den Verlauf der den Schwarzwald überschreitenden Eisenbahnstrecken, die das Nachbargebiet soweit wie möglich unberührt lassen sollten. „Württembergisches aus dem Codex Laureshamensis” und aus Fuldaer und Weissenburger Quellen, so heißt eine Stuttgarter Edition von Gustav Bossert, und die Württemberger hatten ihre Hemmschwellen bei den badischen Orten, ebenso wie sich Albert Krieger in seinem Topographischen Wörterbuch keine Grenzüberschreitung erlaubte. So hat eigentlich erst der Historische Atlas von Baden-Württemberg, auch er vor allem das Werk von Meinrad Schaab, zusammengefügt, was zusammengehörte und hat Isolierungen beseitigt, Beziehungen hergestellt, die bis dahin unbeachtet geblieben waren. Auch die neuesten Annäherungen an den Schwarzwald sind vor allem von Tübingen aus erfolgt, in der archäologisch-baugeschichtlichen Erforschung von Hirsau, Altensteig, Nagold und in der intensiven Detailforschung, die insbesondere von Sönke Lorenz und seinem Tübinger Schülerkreis ausgingen, orientiert an den Grafen von Calw und den Pfalzgrafen von Tübingen und an Orten wie Klosterreichenbach, Dornstetten, Baiersbronn. Vor allem diesen Arbeiten ist das zu verdanken, was ich im letzten Abschnitt dieses Beitrags zu sagen habe.

So kennzeichnet dieser kurze Überblick – ich erlaube mir diese ganz subjektive Bemerkung – auch ein wenig den eigenen wissenschaftlichen Weg der letzten 50 Jahre, ausgehend von Nagold, dem Heimatort meines Vaters, an die Universitäten Tübingen und Freiburg und zur Begegnung mit Karl Schmid, Alfons Schäfer und Meinrad Schaab, um nur diejenigen zu nennen, die nicht mehr am Leben sind, einsetzend mit Karten über die Zähringer und Welfen und das Königsgut im Historischen Atlas von Baden-Württemberg. Die Fragen nach den Grenzen von Baden und Württemberg sind dabei, wie unsere Besigheim-Tagung von 2003 zeigte, nur noch ein historisches, kein historiographisches Problem geblieben, und der Blick in den Schwarzwald zeigt ihn nun in seiner Gesamtheit, gleichgültig, aus welcher Richtung wir ihn anvisieren. In diesem Sinne kann ich nun zu den Straßen kommen, den Wegen, auf denen die Menschen über den Schwarzwald zogen, nachdem er lange, als wilde und unzugängliche Waldlandschaft, zwischen Rheintal, württembergischer Gäulandschaft, Baar und Hegau ein kaum zu überwindendes Hindernis gebildet hatte. Ich verbringe heute einen Teil meiner Zeit auf dem Kniebis, jenem von der Landesgrenze durchschnittenen höchstgelegenen Dorf des Nordschwarzwaldes, aber noch auf württembergischer Seite, und so werde ich mir erlauben, auch meinen Vortrag mit dem Kniebis zu enden. Auf den Höhen des Nordschwarzwaldes bildeten sich jene Grenzen zwischen Baden, Markgrafschaft und Großherzogtum, und Württemberg, Herzogtum und Königreich, die wir noch heute erkennen. Der Grenzweg, entlang der Schwarzwaldhochstraße, lässt sich noch heute auf weite Strecken erwandern. So viel also zur Begründung, weshalb ich gerne hier vor der Arbeitsgemeinschaft einige Betrachtungen zu diesem Thema versuche, auch wenn sie vor allem Bekanntes und Erforschtes zusammenfassen.

Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und wo ein politischer Wille ist, da ist eine Straße.

Die militärische Besitznahme des rechtsrheinischen Gebietes um den nördlichen Schwarzwald durch die Römer und die anschließende zivile Besiedlung des Landes lässt sich, wie überall, wo sich das römische Reich ausdehnte, an den Straßen ablesen, den Verkehrswegen, auf denen die römischen Legionen den Nachschub in die Frontgebiete brachten, diese durch Kastelle und Befestigungsanlagen sicherten und ein ausgeklügeltes logistisches System unterhielten, das wir heute in allen Einzelheiten kennen. Auf weite Strecken wissen wir um die Straßenzüge, von denen an einzelnen Stellen noch Bausubstanz erhalten ist, die Straßenstationen und Meilensteine verraten uns ihren Verlauf. Dies brauche ich nicht auszuführen, und wer an der B 3 wohnt, der großen rechtsrheinischen Nord-Südtrasse auf der Niederterrasse des westlichen Schwarzwaldrandes, wer die römischen Gutshöfe in Durlach, neu ergraben, beim Hedwigshof und in Ettlingen kennt, kann dies alles nachvollziehen. Die Karten zeigen uns freilich auch das Gebiet des Nordschwarzwaldes, des mons Abnoba, wie die Römer das Gebirge mit einem vorgefundenen, keltischen Namen benannten, als nahezu fundfrei. Drei Orte sind für uns interessant und werden es auch in der Folgezeit bleiben: Die civitas Aquae, Baden-Baden mit seinen heißen Quellen und einer städtischen Siedlungsstruktur, Pforzheim am nördlichsten Ausläufer des Schwarzwaldes und am Zusammenfluß von Würm, Enz und Nagold gelegen, als portus, also als Stapelplatz an den bis dahin befahrbaren Flüssen von großer Bedeutung, und Rottweil, das Ara Flaviae am oberen Neckar. Alle drei Plätze sind inzwischen gut erforscht. Entsprechend sucht man auch die Straßen: Jene von Baden-Baden nach Pforzheim hat man nur erschlossen, vermutet sie aber für diese wie die spätere Zeit, jene von Pforzheim an den Neckar bei Rottenburg und von dort aus, nunmehr gut gesichert und auf weite Strecken nachgewiesen, weiter nach Rottweil, und eine dritte, die uns auch in Zukunft zu beschäftigen hat: Sie führt von Straßburg entlang der Kinzig bis an den östlichen Schwarzwaldrand bei Schenkenzell, wo man eine Straßenstation gefunden hat, und von dort aus auf verschiedenen Wegen wiederum nach Rottweil und weiter zum Hochrhein und an den Bodensee. Wenn dies so ist, so ist der Nordschwarzwald, der, wie gesagt, siedlungsfrei ist, von einem Straßensystem umgeben, das es den Legionären und später auch den Händlern erlaubte, unter militärischem Schutz ins Innere des Obergermanischen Gebietes und bis an die Grenzen des römischen Reichs schnell und bequem zu reisen, wie man es in allen Teilen des Imperium gewohnt war. Dass der Schwarzwald dabei im Norden umgangen wurde, verwundert nicht. Dass man ihn von Straßburg aus durchquerte, liegt in der Natur der Sache und gibt zugleich die Bedeutung des Ortes Ara Flaviae zu erkennen. Einige wenige Funde entlang dieser Strecke, so in Wolfach, belegen den Weg. Offenburg übrigens ist gut belegt, und dort fand sich auch ein Meilenstein aus flavischer Zeit, als wohl diese Straße angelegt wurde. Ein Kohortenkastelle in Waldmössingen bei Schramberg und eine Straßenstation Brandsteig bei Aichhalden, unweit von Schenkenzell, liegen an dieser Strecke, bereits im Einzugsbereich von Rottweil. Am Fundort Brandsteig fand sich die leider im Krieg verloren gegangene Weiheinschrift eines römischen Centurio aus domitianischer Zeit, die der Abnoba, die Schutzgöttin des Schwarzwaldes gewidmet war. Er kommandierte eine kleine Einheit in diesem Lager am Übergang vom Kinzigtal in das Tal der Eschach, durch das man nach Rottweil gelangte. Diana Abnoba, die Waldgöttin, kennen Sie vor allem von einer in Karlsruhe gefundenen Sandsteinstatuette mit einer der Göttin gewidmeten Inschrift. Sie befindet sich heute im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe, eine weitere fand sich vor kurzem in den Nähe von Neuenbürg.

Merkwürdig ist allenfalls die Funddichte entlang der Nagold, zwischen Calw und Nagold, und weiter von Horb über Sulz nach Rottweil. Im Nagoldtal ist zwar keine römische Straße nachgewiesen, aber die Funde liegen wie an einer Perlenschnur dem Fluß entlang aufgereiht, so dass man neben der über Rottenburg zum Neckar ziehenden Straße einen weiteren Verkehrsweg dem östlichen Schwarzwaldrand entlang erschließen kann – offenbar keine Militärstraße, sondern ein die dort liegenden Orte verbindender Verkehrsweg. Er führt zunächst nach Sulz, das gut erforschte römische Kohortenlager mit einer dazugehörigen zivilen Siedlung. Doch haben hier die Forscher tatsächlich einen Siedlungsvorstoß unmittelbar an den Schwarzwaldrand festgestellt, in das Tal der Glatt östlich von Freudenstadt, wo sich, bei Böffingen und Glatten, römische Siedlungsspuren fanden. Sogar ein früher Verkehrsweg wird angenommen. Ich erwähne dies deshalb, weil ich auf dieses Gebiet gleich zurückkommen werde, wenn vom frühen Mittelalter die Rede ist.

Im Frühmittelalter wird man vor allem den Verfall der Römerstraßen konstatieren, die seit der alemannischen Besitznahme des Landes ungenutzt blieben, und damit auch die Instandhaltung der Straße durch den Schwarzwald zwischen Straßburg und Rottweil. Auch der Name hat sich geändert. An die Stelle des Mons Abnobae tritt nun eine neue Bezeichnung, eben jene des Schwarzwaldes, wie es erstmals in einer St.Galler Urkunde von 868 heißt. St.Gallen hatte Besitz „in saltu Svarzwald”, in diesem Fall im Breisgau, also ganz im Süden, aber der Name in seiner deutschen Form kommt hier vor. Als Nigra Silva begegnet er uns in der Folgezeit oftmals in lateinischen Urkunden, so erstmals in einer Fälschung zum Jahr 763. Die Belege betreffen stets den Schwarzwald in seiner Gesamtheit, vom Hochrhein bis an den Nordrand, so wie es der Wanderweg Basel-Pforzheim will, den der Schwarzwaldverein ausgeschildert hat. Der Name Schwarzwald deutet darauf hin, dass die Berglandschaft von der Ebene aus gesehen als hoch gelegen und undurchdringlich, dicht mit dunklen Bäumen bestanden angesehen wurde, eine Gegend, in die man sich nicht wagte. Nur ein Eremit wie der hl. Trudpert, dessen Lebensbeschreibung freilich mehr Fragen aufgibt als Lösungen enthält, konnte am Eingang eines Schwarzwaldtales, des Münstertals, seine Zelle errichten, und dann ist die Rede von dem dichten und unzugänglichen Wald, in dem sich seine Feinde verborgen hielten, so wie uns der Schwarzwald oftmals als Versteck Verfolgter oder Geächteter belegt wird, also offenbar ein Gebiet, in dem es keine Ordnungskräfte der fränkisch-alemannischen Staatsgewalt gab. Anders am Rande: Im Nordwesten konnte sich Kloster Weissenburg unter dem Schutz des Königs wie des Speyerer Bischofs ausbreiten; hierüber hat insbesondere Alfons Schäfer geforscht, und in mehreren Vorträgen der Arbeitsgemeinschaft konnte gerade die Grundherrschaft von Weissenburg in unserem Raum nachgezeichnet werden. Den Ort Baden-Baden, das römische Aquae, darf man sicherlich als Hauptort der weissenburg-speyerischern Besitzungen ansprechen, zugleich die früheste schriftliche Nennung, wenn auch in einer unechten Merowingerurkunde. Weissenburg lag in Konkurrenz mit der Grundherrschaft des Klosters Lorsch, dessen Güter wiederum bis an den nördlichen Schwarzwaldrand heranreichten, am Oberrhein bis an die Grenze zur Ortenau, dem rechtsrheinischen Gebiet der Diözese Straßburg. Dort lagen die alten, im 8. Jahrhundert gegründeten Klöster Gengenbach und Schwarzach, weiter südlich Schuttern. Ihre frühen Besitzungen reichten, soweit wir dies zu erkennen vermögen, wiederum nur bis an den westlichen Gebirgsrand und allenfalls, wie Gengenbach selbst, bis an den Austritt der Flüsse auf dem Schwarzwald.

Nicht anders verhielt es sich auf der anderen, der Ostseite. Auch hier konnten St.Gallen und die Reichenau ihre Besitzlandschaften aufbauen, die bis an den Rand des Nordschwarzwaldes reichten, fast möchte man meinen entlang der Römerstraße, die sich von Rottenburg über Sulz und Horb bis Rottweil erstreckt hatte und die auch in karolingischer Zeit kennzeichnend ist für eine große Siedlungsdichte. Natürlich ist Rottweil selbst der politische und wirtschaftliche Mittelpunkt, der Zentralort dieses Gebietes. Dort ist schon im 8. Jahrhundert königlicher ‚Fiskalbesitz’ nachgewiesen, und Rottweil als Königshof ist durch Königsaufenthalte in spätkarolingischer Zeit und erneut unter Heinrich III. im Jahr 1040 bezeugt. Weitere dazugehörige Königshöfe mag es dort gegeben haben, und man darf als sicher annehmen, dass trotz der Zwischenperiode von einem halben Jahrtausend viele Überreste aus römischer Zeit sichtbar geblieben waren, die auch den Alemannen Respekt abnötigten wie alle bedeutenden Römerorte. Interessant ist die Lage des Ortes auf beiden Seiten des Neckar: Östlich die Altstadt auf der Basis der römischen Zivilsiedlung, westlich der Königshof auf steil ansteigendem Gelände; die selbe Situation wird uns gleich wieder in Pforzheim begegnen. Durch die Altstadt führte die schon so oft genannte Straße von Sulz und Oberndorf und weiter an den Bodensee, zugleich aber auch, sie kreuzend, jene Verbindung nach Straßburg, die in römischer Zeit so große Bedeutung gehabt hatte. Wann sie im Mittelalter wieder zu Ehren kam, wird gleich zu erörtern sein.

Auf drei Punkte möchte ich hinweisen, die mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen. Der eine ist Nagold, wo wir nun schon in das östliche Randgebiet des Schwarzwaldes eingedrungen sind. Durch neuere Ausgrabungen ist dieser Ort mit seiner alten Remigiuskirche besonders gut erforscht. Doch auch seine urkundliche Überlieferung ist bemerkenswert. 786, also in der Frühzeit fränkischer Durchdringung des alemannischen Raums, schenkte Gerold Besitzungen in Nagold an St. Gallen. Diesem Beleg hat man stets große Bedeutung beigelegt, denn Gerold und sein gleichnamiger Vater gehörten zu den bedeutendsten Personen, die zur Zeit Karls des Großen in Franken und Alemannien tätig waren. Wahrscheinlich waren sie fränkischer Herkunft, arbeiteten aber eng mit dem alemannischen Adel zusammen, der sich in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts in den fränkischen Reichsverband einbeziehen ließ. Schon der ältere Gerold war reich begütert, sicherlich mit Fiskalbesitz, den er im Auftrag des fränkischen Königs verwaltete. Wieder begegnen uns die Orte Dornstetten und Glatten bei Freudenstadt, wo schon Gerold der Ältere begütert war und wo er Besitzungen an Lorsch schenkte. Sein Sohn wurde früher als „Graf im Nagoldgau” bezeichnet, also als Amtsträger in einem am Königshof Nagold orientierten Gebiet, von wo aus sich seine Besitzungen nach allen Seiten erstreckten. Dornstetten übrigens liegt im „Waldgau” und in der Grafschaft Gerolds, also, so wird man folgern, am Eintritt in das Waldgebiet, von dem es nur durch das tief eingeschnittene Tal der Glatt getrennt ist; dahinter geht es in raschem Aufstieg über Baiersbronn auf die Höhen des Hochschwarzwaldes zum Rossbühl und Kniebis. Dass Gerold I. der Vater, der jüngere Gerold der Bruder der Königin Hildegard war, der ersten Gemahlin Karls des Großen, wird seit langem als sicher angenommen. Wir befinden uns mit ihnen im Bereich jener Großen des karolingischen Reichs, denen der König in herzogsgleicher Stellung die Aufsicht über Alemannien und dann wohl auch über Bayern anvertraute. Nagold behielt im übrigen seine Qualität als Zentralort und erscheint wenig später, 1007, wieder als königlicher Besitz, den Heinrich II. an das Bistum Bamberg verlieh.

Folgt man von Nagold aus dem Verlauf des gleichnamigen Flusses im eng eingeschnittenen Flußtal, so begegnet man dort weiteren alten Orten, so dem Kirchlein in Kentheim, das dem hl. Candidus geweiht ist, und stößt dann in Hirsau auf jenes Kloster, das im 11. Jahrhundert als Reformabtei zum geistigen Zentrum Schwabens wurde. Dass dort ein kleines karolingisches Klösterchen bestanden hatte, dessen Frühgeschichte man nur kennt, weil die Mönche des 11. Jahrhunderts, als sie an eine alte und verschüttete Überlieferung anknüpften, alles zusammentrugen, was sie aus früher Zeit in Erfahrung bringen konnten, dies wissen wir insbesondere durch die Forschungen von Karl Schmid, der diese Überlieferung geprüft und, für die frühe Zeit, auf ein neues Fundament gestellt hat. Dies braucht hier nicht nacherzählt zu werden, auch nicht im Anschluß an eine wiederum intensive archäologische Untersuchung aus jüngster Zeit, die zu weiteren Ergebnissen führte. Schmid hat den Frühbesitz des karolingischen Aureliusklosters, Eigenkloster des Adeligen Erlafrid, kartiert, und man erkennt auch hier ein Vordringen in die Randzonen des Schwarzwaldes, die Höhen zwischen Nagold und Enz, in Calmbach sogar bis in das Enztal hinein. Wie es zu dieser Klostergründung in einem abgelegenen Tal kam, darüber wurde viel nachgedacht. Eine frühe Nazariuskirche in Hirsau weist darauf hin, aus welcher Richtung der Vorstoß bis in das Nagoldtal gekommen ist, denn Nazarius war ja der Klosterheilige von Lorsch. Doch Vorreiter dieser Siedlungsbewegung war nicht nur Kloster Lorsch mit seinem bis in dieses Gebiet reichenden Besitz, sondern auch Weissenburg, das in Simmozheim bei Calw Güterschenkungen erhielt. Man erkennt darin die fortschreitende Durchdringung des fränkisch-alemannischen Raums und wohl auch eine gewisse Konkurrenzsituation zwischen den Grundherrschaften von Lorsch, Fulda und Weissenburg im Norden, St.Gallen und der Reichenau im Süden – so wie wir es in Nagold und Dornstetten schon sahen.

Dazwischen liegt eine Grenze, jene zwischen dem alemannischen Bistum Konstanz und dem fränkischen Bistum Speyer, zu den auch Hirsau gehörte. Man setzt sie gleich mit der „alemannisch-fränkischen Stammesgrenze”, der wir freilich keine große Bedeutung beimessen wollen, zumindest in karolingischer Zeit grenzt sie keine politischen Zuständigkeiten ab, und die Großen, die wir kennengelernt haben, hatten ihren Macht- und Einflussbereich hier wie dort. So schließen wir diesen Befund mit der Frage nach den frühmittelalterlichen Verkehrswegen um den Schwarzwald, der, wie wir sahen, nur in seinen Randzonen besiedelt war, einem auf seinen Höhen noch undurchdringliches Waldgebiet, zumal hier auch keine Erz- oder Silberadern einen Anreiz boten, es zu erschließen. Die karolingischen Könige selbst haben Alemannien selten durchzogen, wenn überhaupt dann auf dem Weg durch den Kraichgau über Cannstadt nach Ulm, häufiger auf den großen Rheinstraßen. Wer in das Innere des Landes, das Gebiet am oberen Neckar und der oberen Donau, reiste, umging den Schwarzwald, und die Frage, wie weit man die aus römischer Zeit bekannte Straße durch das Kinzigtal nutzte, um ihn zu durchqueren, lässt sich schwer beantworten, solange die Fundsituation, die Namenbefunde und schließlich die schriftlichen Belege keine Anhaltspunkte dafür liefern. Dies änderte sich jedoch um die Jahrtausendwende.

Natürlich hat man stets darauf geachtet, wer denn eigentlich die Besitznachfolger der karolingischen Amtsträger, der Klostergründer des 8. und 9. Jahrhunderts gewesen sind. Dies blieb ein wichtiges Untersuchungsfeld für die neuere Forschung, die sich freilich schwer tat, die „urkundenarme Periode” des 10. Jahrhunderts zu überbrücken, in dem wir die uns überlieferten Namen so schwer zuordnen und in ein System bringen können. Man sieht es am Beispiel Hirsaus, wo sich Spuren verfolgen lassen, die in die Zeit des Niedergangs des Aureliusklosters führen, von da aus zu den Gründern des Reformklosters des 11. Jahrhunderts, den Grafen von Calw, zu den Pfalzgrafen von Tübingen und anderen hochadeligen Familien, zu denen man wohl auch die Herren von Stauffenberg und Eberstein am Westrand des Nordschwarzwaldes zählen darf. Zugleich frägt man sich, wo eigentlich der offenbar bedeutende königliche Besitz geblieben ist, den wir am Ostrand des Schwarzwaldes entdecken konnten? Hierzu ein interessanter Beleg. Im Jahr 994 läßt sich der junge König Otto III. in dem Königshof Bruchsal nachweisen, danach in dem Ort „Baden”, wo er eine Urkunde für Kloster Schwarzach ausstellte. Heute kann als gesichert gelten, dass damit Baden-Baden gemeint ist, wo Otto auf einer wie es scheint eiligen Reise Aufenthalt nahm. Sie führte zum Hohentwiel, wo kurz zuvor die schwäbische Herzogin Hadwig gestorben war, die dort ihren Witwensitz hatte, aber auch einen Herrschaftssitz, von dem aus sie, nach dem Tode ihres Gemahls, über Teile Schwabens gebot, ohne dabei auf den schwäbischen Herzog Rücksicht zu nehmen. Die, wie es scheint, unvorhergesehene Reise Ottos hatte also zum Ziel, in die Erbschaftsregelungen der Herzogin einzugreifen und Besitzungen an sich zu ziehen, die Reichsgut gewesen waren und es auch bleiben sollten. Dass Otto den umständlichen Weg vom Oberrhein über Basel bis in den Hegau nahm, ist auszuschließen; Michael Borgolte hat daraus geschlossen, dass der König die Kinzigtalstraße nach Rottweil benutzt hat und bezeichnet diese als „Königstraße”, was immer man darunter verstehen will. Wenn es sich so verhält, so ist diese alte Römerstraße erstmals wieder als Reiseweg einer königlichen Reisegesellschaft nachzuweisen. Otto erreichte den Neckar nördlich von Rottweil, ehe er dann durch die Baar und den Hegau zum Zielort zog, den Hohentwiel, wo er im Jahr 1000 noch einmal nachzuweisen ist. Zwei Jahre später starb der junge Kaiser. Die viel diskutierte Auseinandersetzung zwischen dem schwäbischen Herzog Hermann II. und Heinrich, aus dem dieser, der spätere Kaiser Heinrich II. als Sieger hervorging und in deren Verlauf es in Schwaben zu schweren kriegerischen Auseinandersetzungen kam, braucht hier im Einzelnen nicht dargestellt zu werden; Thomas Zotz hat dies in aller Anschaulichkeit getan und er verdeutlichte die Kämpfe um die Führungspositionen im Umkreis des Königs und seiner ihn umgebenden fürstlichen Verwandten. Der Tod Herzog Hermanns im Jahr 1003 bot die Möglichkeit zum Ausgleich, und Heinrich II. hat in den Folgejahren zielstrebig in Schwaben eingegriffen, um dort die königliche Gewalt zu stärken. Insbesondere die Bischöfe, jene von Basel, Straßburg und Speyer, wurden von ihm mit ehemaligem Reichsgut ausgestattet und bildeten künftig seinen Rückhalt.

Hier geht es vor allem um die Gründung des Bistums Bamberg, die Heinrich allen Widerständen zum Trotz durchsetzte, wobei er die Neugründung mit einer riesigen Gütermasse in allen Teilen des Reichs ausstattete. Zu den Ausstattungsgütern Bambergs gehörten die Abteien Gengenbach und Schuttern, etwas heruntergekommene, aber alte karolingische Reichsabteien, und unweit von Gengenbach der Königshof Nussbach im Renchtal. Jenseits des Schwarzwaldes, und auch dies ist seit langem bekannt, zählte Nagold zu den Ausstattungsgütern des neuen Bistums. Dass auch Seedorf am Eschbach, unweit von Oberndorf a.N. in einer eigenen Urkunde genannt ist, Holzgerlingen unweit von Tübingen, dies ist wiederum bekannt, und vor allem hat die Übertragung der Abtei Stein am Rhein an Bamberg die Aufmerksamkeit der Historiker auf sich gezogen, denn Stein war kurz nach der Jahrtausendwende dadurch entstanden, dass das Klösterchen der Herzogin Hadwig auf dem Hohentwiel nach Stein verlegt wurde. Die reiche Ausstattung von Kloster Stein durch Heinrich II. wurde vielleicht deshalb weniger beachtet, weil die entsprechende Urkunde, in der 14 an Stein verliehene Güter aufgezählt sind, eine spätere Fälschung darstellt. Aber man hat doch akzeptiert, dass gerade die Güterliste einer älteren und echten Aufzeichnung zugehört, und es lohnt sich, sie anzuschauen. In der Tat ist es das alte, uns schon früher bekannt gewordene Reichsgut im Bereich der Nagold und um Sulz, das hier aufgeführt ist: Bei Wildberg, zwischen Horb und Sulz und vor allem das bei Oberndorf, also unweit von Seedorf gelegene Epfendorf. Und dann erfährt man auch von Iflingen im Tal der Glatt und dem noch weiter schwarzwaldeinwärts gelegenen Dornstetten, wo sich Kloster Stein festsetzen konnte.

Dies ist nun eine merkwürdige Sache, denn hier hat man es nicht nur mit Gütern an der oberen Nagold und am Neckar zu tun, also wenn man so will, im Vorland von Rottweil, sondern mit Orten, die am Ostrand des Schwarzwaldes gelegen waren. Zu Dornstetten, das später Stadtrecht erhielt, gehörte einer der größten Kirchensprengel sowie ein umfangreiches Waldgebiet, wohl alter Königsforst. Jenseits der Glatt steigt es jäh an in das Murgtal bei Baiersbronn und schließt auch jenes Gebiet ein, auf dem später die württembergische Stadt Freudenstadt entstehen sollte. Von dort aus ging es durch noch undurchdringliches Gebiet hinauf bis zum Schwarzwaldkamm, wo zugleich die Diözesangrenze zwischen Konstanz und Straßburg verlief. Ich will damit noch kein Vordringen auf die Höhen des Schwarzwaldes postulieren, aber etwas anderes sollte man im Auge behalten: Die von Epfendorf, Seedorf und Oberndorf ausgehende Durchgangsstraße in das Kinzigtal und durch dieses weiter nach Gengenbach und Schuttern. Die bambergischen Besitzungen auf beiden Seiten des Schwarzwaldes , soviel scheint mir sicher, waren durch die alte Römerstraße, die „Königstraße” von Straßburg nach Rottweil miteinander verbunden, und sie wurde entscheidend für die künftige Herrschaftsbildung am Ost-, wie am Westrand des Schwarzwaldes. Freilich gab es dort noch viel unzugängliches und unerschlossenes Waldgebiet, das die Möglichkeit bot, sich zurückzuziehen, sich zu verbergen. So hat sich Herzog Ernst II. von Schwaben in seinem Endkampf gegen seinen Stiefvater, Kaiser Konrad II., in einer solchen abgelegenen Felsenlandschaft verschanzt, der Burg Falkenstein, wo er dann 1030 mit seinen letzten Getreuen aufgegriffen und getötet wurde. Falkenstein liegt unmittelbar bei Schramberg, im Tal der Schiltach, aber auch abseits der Heerstraße.

Ich habe mich dem Schwarzwald genähert und mache nun erneut einen zeitlichen Sprung in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts. Er führt zunächst nach Hirsau und zugleich in eine Kampfzeit um die Macht im Reich, der hier einen seiner Schwerpunkte hatte. Über Hirsau nur so viel, dass hier das alte, im 10. Jahrhundert zerrüttete und seines Besitzes verlustig gegangene Kloster um die Mitte des 11. Jahrhunderts wiedergegründet wurde. Papst Leo IX. aus der Familie der Grafen von Egisheim soll auf seiner Reise durch Schwaben auch in Hirsau gewesen sein und habe seine Verwandten, die Grafen von Calw, dazu gedrängt, das Kloster des hl. Aurelius wieder einzurichten und mit Mönchen zu besetzen. Was dann geschah – Ihnen allen vertraut – ist ein Vorgang von ungeheurer Brisanz und weitreichenden Konsequenzen. Er ist verbunden mit dem Namen des Abtes Wilhelm, unter dem Hirsau zu einem Reformzentrum in Schwaben, ja im ganzen Reich wurde, geistiger und bald auch politischer Mittelpunkt für die Reformkreise im Reich um die Welfen und Zähringer, die in Gegensatz zu König Heinrich IV. traten und ihn in einem blutigen Bürgerkrieg bekämpften. Und dann erkennt man den geradezu lawinenartig anwachsenden Klosterbesitz aus Schenkungen aller derjenigen, die sich in dem Kloster den wirkungsvollen Gebetsbeistand der Mönche erhofften. Die neue Klosterkirche übrigens, St. Peter und Paul, wurde 1091 eingeweiht und stellte des größten Kirchenbau Deutschlands dar, auch die heutige Ruine gibt dies noch zu erkennen. Insbesondere durch sein Priorat Reichenbach im oberen Tal der Murg griff Hirsau tief in das Innere des Schwarzwaldes, der auch jenseits des Gebirgskamms Hirsauer Besitzungen aufwies, in den Tälern von Rench und Acher und auch am westlichen Schwarzwaldrand von Offenburg bis nach Baden-Baden und weiter bin in den Kraichgau. Ballungszentren bestanden, wie könnte es auch anders sein, am Neckar bei Horb, und von dort hinein in das Tal der Glatt. Ein Kärtchen zeigt dies im Überblick: Hirsau ist nun, um die Wende zum 12. Jahrhundert und danach, nicht nur der Grundbesitzer schlechthin zwischen dem Schwarzwald und der Gäulandschaft, sondern es stößt auch in die bis dahin unbesiedelten Gebiete der hoch gelegenen Täler vor. Noch bleibt offen, ob man sich, wollte man aus den Tälern von Neckar und Nagold an den Rhein gelangen, der großen Straße bedienen musste, die wir kennenlernten. Doch gerade dort hat Hirsau keinen Besitz; wenig später treffen wir hier das zur gleichen Zeit entstandene St. Georgen an und am Ursprung der Kinzig das 1095 gegründete Alpirsbach, von dem gleich noch die Rede sein wird. Eher darf man vermuten, dass schon damals die Wege aus dem Ursprungsgebiet der Murg über den Schwarzwaldkamm in dasjenige von Rench und Acher begehbar wurden und Übergänge ermöglichten, die wenig später ausgebaut wurden.

Dies ist die eine Seite. Die andere ist weit spektakulärer, wenn man sieht, dass Pforzheim, der alte Römerort am Zusammenfluß von Enz und Nagold so etwas wie der Knotenpunkt der von Norden nach Hirsau hinführenden Straßen wird. Hirsau hatte in Pforzheim Besitz, vielleicht einen Stapelplatz am Ufer der Enz. Zweimal begegnet man in Pforzheim einer vornehmen Gesellschaft, die den Weg über Hirsau nahm, ehe sie auf dem uns bekannten Weg an den Bodensee weiterzog. 1067 traf sich hier der junge König Heinrich IV. mit seiner Mutter und bisherigen Vormünderin, der Kaiserin Agnes, und 1074 kommt es erneut zu einem Zusammentreffen einer römischen Gesandtschaft unter der Kaiserin Agnes mit Heinrich, während man 1077 den Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden in Hirsau antrifft, als der Krieg seinen ersten Höhepunkt erreicht hatte. Bei Pforzheim stand damals das Heer der königlichen Truppen unter Bischof Werner von Straßburg – und immer wieder wird man sich die Straßensituation vor Augen führen, die Wege, die ein Papst, eine Kaiserin, die König und Gegenkönig gezogen sind, und mit ihnen die Großen ihres Gefolges. Ob man in der Niederung des eng eingeschnittenen Nagoldtales gegangen ist und nicht eher oberhalb des Flusses, ist schwer zu beantworten: Hirsau mag in dieser Phase dem ungeheuren Zustrom der Besucher nur schwer gewachsen gewesen sein, und das gleiche gilt für das enge Sträßchen entlang dem Fluß. Und noch etwas: Die Diözesan- und „Stammesgrenze”, also jene Grenze zwischen Speyer, an dessen südlichstem Rand Hirsau gelegen war, und Konstanz spielte für die Hirsauer Besitzlandschaft keine Rolle, und wir können sie auch in Zukunft weitgehend ignorieren, während die Ortenau als Straßburger Diözesangebiet eher erkennbar bleibt.

Wenig südlich davon war ja, ich habe es erwähnt, kurz vor der Jahrhundertwende das Kloster Alpirsbach entstanden, das einen merkwürdigen Gegensatz zu Hirsau bildet. Sein Besitz hielt sich in Grenzen und gruppierte sich in Klosternähe am Schwarzwaldrand; von reformerischem Eifer ist auch in der Gründungssituation wenig zu erkennen und man gewinnt eher den Eindruck eines keineswegs armen, aber doch etwas behäbigen und von Anfang an saturierten Hausklosters dreier Adelsfamilien, für die ihr Kloster eine Randlage einnahm. Vielleicht haben sich die Grafen von Zollern und von Sulz eines umstrittenen gemeinsamen Besitzes entledigt, wobei sich die dritten im Bunde der Gründer, die Edelherren von Hausen, schwer einordnen kann: Man sucht sie unter gut zwanzig Möglichkeiten in Neckarhausen, unmittelbar bei Sulz; eine neuere, recht ansprechende These vermutet Hausen vor Wald (bei Donaueschingen) als Herkunftsort des Gründers Ruotmann von Hausen.

Wir befinden uns in der Zeit adeliger Herrschaftsbildung, und die Exponenten adeligen Machtstrebens, die gerade in den Kämpfen des ausgehenden 11. Jahrhunderts ihre Positionen absteckten, sind uns schon begegnet: Die Grafen von Calw und die Pfalzgrafen von Tübingen, die in Königswart bei Klosterreichenbach in den Schwarzwald Eingang fanden, die Grafen von Sulz und die Zollern – die Liste ließe sich fortsetzen. Im Süden unseres Gebietes sollte man insbesondere die Bertholde, die in Villingen Marktrecht erhielten, von wo aus sie sich in der Baar und im Breisgau ausdehnten, im Auge behalten und gelangt mit ihnen in den Bereich der frühen Zähringer, die im Südschwarzwald eine fast königsgleiche und mit dem Herzogstitel verbundene Herrschaft aufbauten. Ein Teil von ihr reicht in die Ortenau hinein, wo in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts für Herzog Hugo von Ulmburg, den Bruder des Zähringers Bertholds IV., ein kleines Juniorterritorium abgesondert wurde, das sich freilich nicht fortentwickelte. Die Ullenburg, nach der er sich nannte, liegt bei Tiergarten nördlich von Oberkirch, in exponierter Lage am Rande des Schwarzwaldes mit weitem Blick in die Rheinebene, ebenso wie die wenige Kilometer weiter südlich gelegene Schauenburg, die uns gleich noch beschäftigen wird. Doch nicht von der Zähringern soll hier die Rede sein, sondern von den Markgrafen von Baden, die sich zur gleichen Zeit am Nordrand des Schwarzwaldes festsetzen konnten und die von dort aus ihre fürstliche Herrschaft konsolidierten. Ich will dies mit wenigen Strichen skizzieren und erinnere dabei an die grundlegenden Forschungen, die Karl Schmid zu diesem Thema vorgetragen hat und die auch in unserer Besigheim-Tagung von 2003 über die Markgrafen und Württemberg den Ausgangspunkt bildeten.

1112 nennt sich Hermann (II.) erstmals Markgraf von Baden, und von seiner Burg „Hohenbaden” erfährt man aus einer Urkunde des Jahres 1122. Es ist die heute noch als imposante Ruine erhaltene Burg im Felsgarten des Battert, nahezu 600 m hoch gelegen und weit über der Stadt Baden-Baden gelegen, dem alten Römerort. Dieser war um das Jahr 1100 an Hermann II. gelangt, den Sohn des Markgrafen Hermann I. von Limburg, des Bruders Herzog Bertholds II. von Zähringen. Im Jahr 1098, so wissen wir durch Schmids Forschungen, war der seit den Kämpfen des „Investiturstreites” andauernde Krieg zwischen der Königspartei der „Staufer” und der Gegenpartei der Zähringer und Welfen mit einem Vergleich zu Ende gegangen, der den Zähringern das schwäbische Herzogtum nahm, ihnen aber viele Rechte und Besitzungen zubilligte, die ihren Herrschaftsaufbau erst ermöglichten. In diesen Vergleich war auch Markgraf Hermann eingebunden. Mit königlicher Hilfe wurden ihm zwei wichtige Positionen zugewiesen: Die Vogtei über das bedeutende Kloster Selz am linken Rheinufer, Grablege der Kaiserin Adelheid, und gegenüber, auf dem anderen Flussufer, der alte, renommierte Ort Baden-Baden mit seinen Bädern, mit den Überresten römischer Bauten. Unmittelbar danach, so scheint es, ließ Hermann dort die Burg erbauen, nach der er sich nannte und deren Namen zum Familien- und Dynastienamen der Badener werden sollte. Sie thronte hoch über dem Eingang zum Oostal, dort lag sie weit abgesetzt von jeder bisherigen Siedlung über dem Ort, der späteren Stadt Baden-Baden. In Sichtverbindung, um dies hier einzuflechten, lag die Burg Eberstein der Herren und Grafen von Eberstein, die aus dem Murgtal erreicht wurde, und man wird annehmen dürfen, dass beide Burgen zur gleichen Zeit entstanden, vielleicht in Konkurrenz zueinander, auf gleicher, ausgesetzter Höhe und damit einen Herrschaftsanspruch markierend. Wie bei Ulmburg und Schauenburg hat man auch hier einen weiten Blick in die Rheinebene, hinüber in das staufische Königsland des Hagenauer Forstes und in naher Verbindung zu Selz. Aber man sah auch über die Höhen des nördlichen Schwarzwaldes, auch wenn dort zunächst die Grafen von Eberstein mit ihren Klostergründungen in Herren- und Frauenalb im 12. Jahrhundert ihre Marken setzten, während die Badener damals noch in Backnang ihre Familiengrablege hatten, ehe Lichtental als Hauskloster errichtet wurde.

Der Verkehrsweg, der die Markgrafen von Baden-Baden mit ihren Besitzungen an Enz und Neckar verbanden, führte über Pforzheim in das mittlere Neckargebiet, auf dem alten Römerweg, von dem anfangs die Rede war, umging also, wenn man so will, den Schwarzwald an seiner nördlichen Abdachung. Der Erwerb Pforzheims durch Markgraf Hermann V. im Jahr 1218 ist die nächste Wendemarke der badischen Geschichte. Damit war die Verbindung an den Oberrhein aus badischer Sicht komplett, und gleichzeitig bildete Pforzheim von nun an den Schwerpunkt badischer Territorialpolitik, wurde zur badischen Residenz schlechthin, während im Umkreis von Baden-Baden die markgräflichen Städte in Ettlingen und Durlach entstanden, die Grablege der Markgrafen von Backnang nach Lichtenthal verlegt wurde. Und in der 2. Hälfte des 13. Jahrhundert gelang es dann auch, die Grafen von Eberstein auszuschalten, ihr Gebiet durch Kauf und Erbschaft nach dem Aussterben der Grafenfamilie für Baden zu sichern: seit 1284 ist auch Burg Eberstein eine badische Burg. Damit war der nördlichste Teil des Schwarzwaldes badisches Territorium geworden: Die zum Rhein abfließenden Flüsschen der Oos, Murg und Alb traten bei Baden-Baden, Steinbach und Ettlingen aus der Berglandschaft aus, diejenigen von Nagold und Enz bei Pforzheim, so dass hier ein Wirtschaftsraum entstand, der zum badischen Kernland wurde. Von Osten her rückten dann die Grafen von Württemberg immer näher an den Schwarzwald heran, die nach der Übernahme der Klöster Herrenalb und Hirsau, dem Erwerb von Altensteig und Liebenzell und der Errichtung der Stadt Freudenstadt mit ihrem Bergbau und ihrer Erzverhüttung Baden immer weiter bis an den Kamm des Gebirges zurückdrängten. Doch dies nimmt Dinge vorweg, über die zu berichten einen eigenen Vortrag kosten würde. Statt dessen will ich das hochmittelalterliche Bild mit zwei Miniaturen schließen, die nochmals auf das Straßenproblem hinführen, oder vielleicht sollte man bescheidener sagen, auf die Öffnung von Wegen durch das Innere des nördlichen Schwarzwaldgebietes.

Die eine geht von der Schauenburg aus, jener schon im 12. Jahrhundert voluminösen und sicherlich auch repräsentativen Burg am Schwarzwaldrand bei Oberkirch – man kann von dort aus bei klarer Sicht die Spitze des Straßburger Münsters sehen. Dort residierte am Ende des 12. Jahrhunderts eine der vornehmsten und reichsten Damen ihrer Zeit, die Herzogin Uta „von Schauenburg”. Sie war die Tochter des Pfalzgrafen Gottfried von Calw, vermählt mit Herzog Welf VI., dem Onkel Barbarossas und Heinrichs des Löwen und mächtigsten weil besitzreichsten Manne Schwabens. Doch das Ehepaar entzweite sich, ihr einziger Sohn Welf VII. starb 1167 während der römischen Malariaepidemie, und als dann der letzte schwäbische Welfe sein Erbgut verprasste, seinen Besitz schließlich seinem kaiserlichen Onkel abtrat, weilte Uta in Abgeschiedenheit auf der Schauenburg, die zu ihrem väterlichen Erbe gehörte. Erst in den letzten Jahren des 1191 verstorbenen Welf hat sie sich mit ihm versöhnt. In dieser letzten Phase ihres Lebens stiftete Uta ein Prämonstratenserkloster, das Stift Allerheiligen auf dem Hochschwarzwald. Von der Burg Allerheiligen aus führt heute ein Wanderweg über den 600 m höher gelegenen Sohlberg bis zu einer Terrasse unter der Abdachung des 1000 m hohen Schliffkopfes, und diesen Platz wählte die Herzogin für ihre Kirche, deren Bau noch zu ihren Lebzeiten begonnen wurde. Ein Esel, so erzählt die Sage, habe den Geldsack mit dem Stiftungskapital dort hinaufgetragen um ihn an der Stelle abzuwerfen, wo dann das Kloster entstand, und in der Tat müsste man ein Esel sein, um diesen Weg hinaufzusteigen. Der Weg führte vielmehr über Oberkirch in das Renchtal, wo der Lierbach in steilen Wasserfällen hinabstürzt, und, die Wasserfälle umgehend, hinauf bis an den Platz des Stifts. So zeigt es auch ein Stich aus dem Jahr 1732. Die Kirche bestand an dieser Stelle bis 1802, und sie bildet als Ruine noch heute ein imposantes Kulturdenkmal, ein Ausflugsziel für Schwarzwaldwanderer. Doch was hat es mit dieser rätselhaften Klostergründung auf sich? Sie liegt in nahezu siedlungsfreiem Gebiet, abgesehen von einigen Maierhöfen am Sohlberg, während die zum Stift gehörigen Orte um Pfarrei und Kirche in Lautenbach im Renchtal gelegen waren.

Allerheiligen, in winterlich-rauher und abgelegener Berglandschaft war für ein Kloster ebenso ungeeignet wie etwa St. Peter oberhalb von Zähringen, und dies umso mehr, als die Stiftsherren des Prämonstratenserordens vor allem Pastoration betrieben und nicht zur Askese abgeschiedener Einsamkeit neigten. Sie haben sich denn auch immer wieder bemüht, ihr Kloster ins Tal zu verlegen, nach Lautenbach, dessen Kirche noch heute ihrem kulturellen Bewusstsein entspricht. Doch offenbar war es der Wille der Gründerin, gerade an diesem Platz zu bauen. Dass dort, zeitlich ungemäß, die Prämonstratenser angesiedelt wurden, mag daher kommen, dass Utas Sohn, Welf VII., im Prämonstratenserstift Steingaden, das der Vater gestiftet hatte, seine letzte Ruhe gefunden hatte. Allerheiligen liegt westlich unterhalb des Schwarzwaldkammes, noch auf straßburgischem Gebiet. Jenseits der Wasserscheide beginnt das noch unbesiedelte Gebiet, das bis nach Dornstetten und Baiersbronn unter bambergischer Lehenshoheit stand, mit Gütern von Hirsau und Reichenbach. Auf straßburgischer Seite, so scheint es, grenzte hier zähringischer Besitz einschließlich der Herrschaft Ulmburg und staufischer Besitz an die Güter der Herzogin, und wenn man sich diese Grenz- und Gemengesituation an seinen höchstgelegenen Punkten vor Augen hält, so gewinnt man den Eindruck, dass der Klostergrund von Allerheiligen ein bis dahin unerschlossenes Gebiet war, dessen Besitzverhältnisse ungeklärt und rechtlich umstritten blieben. Ein Kirchenbau konnte das Rechtsproblem lösen, freilich nicht das Problem der Stiftsherren, die hier in Zukunft leben sollten und es auch taten. Nach Utas Tod gab es eine Pause von einigen Jahrzehnten, die man auch am heutigen Kirchenbau ablesen kann, ehe der Bischof von Straßburg die Vollendung des Werks durchsetzte – und dabei ist es geblieben. Doch bleibt Allerheiligen ein Kuriosum, und wer die rührenden Versuche der Stiftsherren betrachtet, die Lierbachfälle in eine idyllische Parklandschaft zu verwandeln, um im Zeitalter des Barock wenigstens ein wenig Lebensqualität in diese Winterlandschaft zu bekommen, der verspürt auch die Einzigartigkeit dieser Anlage, über die erst in jüngster Zeit, als die Schwarzwaldhochstraße gebaut wurde, der Tourismusstrom gelenkt wurde. Soviel hierzu!

Unser zweites Beispiel führt zu einem Klösterchen, das auf dem Kniebis, an dem zum Schwarzwaldkamm entlang dem Forbach hochführenden Weg unterhalb der heutigen „Alexanderschanze”, erbaut wurde: Die erhaltenen Überreste des in einer Senke unterhalb eines Steilabfalles gelegenen Kirchleins weisen, wie Allerheiligen, auf das 13. Jahrhundert, und in diese Zeit gehören auch die ältesten schriftlichen Belege. Manfred Eimer hat sie 1925 zusammengestellt (es sind immerhin 50 Urkunden bis 1300) , und durch ihn erfahren wir nahezu alles, was über das monasteriolum, das in 800 m. Höhe gelegene Klösterchen auf dem Kniebis im Mittelalter zu erfahren ist. Das heutige Dorf beim Kloster, durch die badisch-württembergische Landesgrenze durchschnitten, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Der Name des Klosters, altdeutsch von Knie und bossen – stossen, brechen deutet auf einen beschwerlichen Weg mit steilem Anstieg, eine „Kniebreche oder gar, wie man auch lesen kann, einen Anstieg, wo die Wagen mit den Knien hochgestoßen werden mußten, und in der Tat ist der letzte Anstieg vom Kloster westwärts eine Steilstelle, ehe man bei der heutigen Alexanderschanze den höchsten Punkt am Schwarzwaldkamm erreicht, am Rossbühl, der Wasserscheide von Rench und Murg, und eine noch steilere Stelle folgt beim Abstieg nach Oppenau, wohin der Weg hinabführt, vorbei an der Zuflucht, die freilich diesen Namen erst im 19. Jahrhundert erhielt. In Oppenau gelangt man in das Renchtal und in straßburgisches Gebiet. Es bleibt demnach festzuhalten, dass über den Kniebis eine Passstraße ging, die von Dornstetten und aus dem Tal der Glatt, entlang dem auf dem Kniebis entspringenden Forbach, steil hinaufführte und den Schwarzwald überquerte, eine mühsame aber kurze Verbindung durch das Renchtal nach Straßburg. Wann ist sie entstanden?

Die Frage ist schwer zu beantworten, denn als Kniebis erstmals genannt wird, in drei Urkunden des Jahres 1267, hatte sich der Name längst eingebürgert und mit ihm auch der Weg über den Schwarzwald. 1267 erfährt man, dass es in Kniebůz eine Kapelle gab, und dass dort ein ehemaliger Klosterbruder von Herrenalb, inzwischen verstorben, gelebt hatte und Güter besaß. Man hat dies auf einen Einsiedler, einen Waldbruder bezogen, dessen Name Ulrich später überliefert wird, aber die Sache ist doch seltsam. Denn was tat ein Zisterzienser aus Herrenalb, das hier keinerlei Besitzungen hatte, dort oben in extremer Abgeschiedenheit. 1267, so sagen die drei Urkunden, habe der Abt von Herrenalb auf alle seine Ansprüche auf den Besitz seines ehemaligen Mitbruders verzichtet, Graf Heinrich von Fürstenberg, der Patronatsherr über die Pfarrkirche zu Dornstetten, zahlte den Herrenalbern dafür eine Entschädigung, und wenig später, noch im gleichen Jahr, wurde die Kapelle mit ihren Zugehörden aus dem Pfarrverband von Dornstetten, der bis dahin bis an die Bistumsgrenze ging, herausgelöst und mit einem eigenen kirchlichen Rechtsbezirk samt den dazugehörigen Einkünften ausgestattet. Die Rede ist von der capella in montanis seu silvis que Kniebůs vulgariter appellantur, die gebaut worden sei propter necessitatem peregrinorum et eadem montana transeuntium, also an einer Straße für Pilger und andere die Berge überschreitende Leute. Und mehr noch: Da ist auch die Rede von den Zehnten der argentifodinares et aliorum quorumlibet metallorum, die der Dornstetter Kirche verbleiben sollten, also offensichtlich von Bergleuten, die dort nach Silber und Erz schürften – wobei freilich nur die Möglichkeit des Auffindens von Silberadern angeführt ist, aber die Bestimmung deutet doch darauf hin, dass man danach gesucht hat. Doch war demnach der Knie bis keine unbesiedelte Gegend, sondern es gab dort oben Leute, denen man nicht zumuten wollte, in winterlicher Zeit nach Dornstetten in die Pfarrkirche St.Martin zu gehen und denen man in der Kapelle auf dem Kniebis eine gottesdienstliche Ordnung schuf, vielleicht auch einen Begräbnisplatz. Wer die Kapelle gestiftet hatte, bleibt offen, doch muß es geraume Zeit vor 1267 gewesen sein, und der ehemalige Zisterzienser aus Herrenalb kann nicht mittellos und ohne Erlaubnis des Pfarrers von Dornstetten und seines Patronatsherrn dorthin gekommen sein. Schon wenige Jahre später, um dies noch anzufügen, dachte man über die Errichtung eines Chorherrenstifts nach, was auch vom Bischof genehmigt wurde, aber dann doch nicht zustande kam. Statt dessen übernahmen Franziskaner vom dritten Orden, also Tertiaren, die Kirche und bauten sie zum Kloster aus, das überraschend schnell zu Wohlstand kam. Bei der Kapelle entstanden Wirtschaftgebäude, ein Hospiz, in späterer Zeit auch eine Zollstation und anderes mehr, das alles ummauert, und ein idealisierter Plan vermittelt den Eindruck einer bedeutenden Klosteranlage, die man heute dort nicht mehr erkennt. Das reiche Urkundenarchiv belegt den Wohlstand, und als sich das Kloster im 14. Jahrhundert Alpirsbach unterstellte, also den dortigen Benediktinern, verfügte es über beträchtliche Einkünfte. Mit Alpirsbach wurde es im Zuge der Reformation von Württemberg säkularisiert und aufgehoben, das angrenzende fürstenbergische Gebiet wurde 1803 badisch.

Was ich damit zeigen wollte – ohne die Probleme um das Kniebiskloster weiter zu behandeln – fügt sich in dasjenige ein, was ich in diesem Vortrag zu zeigen versuchte, und ich baue es in meine Schlussbetrachtung ein. Rudolf Metz erklärt lapidar, der Kniebis sei „jahrhundertelang der wichtigste Schwarzwaldübergang” gewesen, ein Handelsweg von Schwaben ins Elsaß. Die Bedeutung der Straße, die in dem Hochmoorgebiet teilweise als Knüppeldamm befestigt wurde, gehe unter anderem daraus hervor, dass 1306-1323 Bischof Johann von Straßburg den Kniebis befestigen ließ, und Metz weiß auch zu belegen, dass 1464 ein Vertrag über Instandhaltung und Säuberung der Straße geschlossen wurde. Dies führt in eine spätere Zeit, über die ich nicht mehr zu reden habe, aber ich denke, dass wir die Anfänge dieses den Schwarzwald übergreifenden Verkehrs im 13. Jahrhundert suchen dürfen, vielleicht im Zeichen der Fürstenberger, die hier nach 1218 an die Stelle der Zähringer getreten sind. Damit, so scheint mir, war die Erschließung des nördlichen Schwarzwaldes abgeschlossen, waren die Siedlungen bis in die höchsten Regionen vorgerückt, die freilich winterlich-rauh und unwirtlich blieben, anders, als wir es uns heute im Zeichen des Tourismus vorstellen. Wie sich dann die Schwarzwaldgrenze zwischen Württemberg und Baden herausbildete, wie Württemberg von Freudenstadt über die „Alexanderschanze” nach Oppenau ausgriff um sich den Weg ins Rheintal und in das Elsaß zu öffnen, dies zu erzählen wäre einen eigenen Vortrag wert.

DISKUSSION

Die Diskussion wurde aus technischen Gründen nicht aufgezeichnet.


[1] Der Vortrag wurde anhand von 8 Karten illustriert, die insbes. – als Auschnitt und in umgezeichneter und dem Thema angepasster Form – dem Historischen Atlas von Baden-Württemberg entnommen waren; so die Karten II,4 (naturräumliche Gliederung), III,3 (Militärische Besitznahme durch die Römer), IV,3 (Bezirksnamen), V,2 (Königsgut), ferner die Karten aus Sönke Lorenz, Der Nordschwarzwald, Filderstadt 2001, S. 47 (Kloster Hirsau in karol. Zeit) sowie ebd. S. 43 (Königsforst Dornstetten), sowie die eigene Karte aus: Pforzheim in der Salier- und frühen Stauferzeit, in: Neues aus Pforzheims Mittelalter, Pforzheim 2004, S. 33 (Besitz des Klosters Hirsau).