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Butler wehrt sich: Israel-Kritikerin reagiert auf Forderung, ihr den Adorno-Preis abzuerkennen

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Philosophin Judith Butler.
Philosophin Judith Butler. © IMAGO/Pond5 Images

Judith Butler steht in Deutschland wegen ihrer Haltung zu Israel schwer in der Kritik. Jüdische Hochschulgruppen wollen ihr den Adorno-Preis aberkennen lassen. Butler antwortet.

Frankfurt – Judith Butler ist weltweit eine der bekanntesten Persönlichkeiten im Feld der Philosophie und gilt als Wegbereiterin der Gender Studies. In Deutschland findet sie nach wie vor eine breite Anhängerschaft, besonders unter Studierenden. Aufgrund ihrer Haltung zu Israel ist sie in den letzten Jahren, wiederum in Deutschland, in die Kritik geraten. So gab es bereits vor der Verleihung des Adorno-Preises durch die Stadt Frankfurt im Jahr 2012 Diskussionen darüber, ob Butler wegen ihrer kritischen Haltung zu Israel den Preis verdient.

Jüdische Studierendenverbände erheben Vorwürfe gegen Judith Butler

Eine Koalition aus jüdischen Studierendenverbänden, unterstützt von universitären und zivilgesellschaftlichen Gruppen, hat nun erneut Vorwürfe gegen Judith Butler erhoben und den Entzug des ihr verliehenen Adorno-Preises gefordert. Im Zentrum der Kritik des Verbandes Jüdischer Studierender in Hessen (VJSH) und weiterer Gruppen wie der Frankfurter Women’s International Zionist Organisation und dem queer-jüdischen Verband Keshet Deutschland steht Butlers Deutung des Hamas-Angriffs auf Israel als Akt des legitimen Widerstands. Diese Positionierung, so die Kritiker und Kritikerinnen in einem an Oberbürgermeister Mike Josef adressierten Brief, stehe den Grundsätzen Adornos diametral entgegen. Auch das Studierendenparlament der Goethe-Universität hat sich größtenteils der Sichtweise angeschlossen.

Seit dem Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten und Zivilistinnen am 7. Oktober 2023 und der israelischen Reaktion darauf hat die Debatte um den Nahost-Konflikt und seine Bewertung in Deutschland an Schärfe und Unversöhnlichkeit zugenommen. Der Hamas wird ein blutiges Massaker an der Zivilbevölkerung vorgehalten, das Vorgehen Israels im Gazastreifen hat mittlerweile mehr als 30.000 Menschenleben auf palästinensischer Seite gefordert, zwei Drittel davon Frauen und Kinder. Zudem wurden rund zwei Millionen palästinensische Menschen vertrieben.

Die jüdischen Studierenden kritisieren Butlers Interpretation dieses Konflikts. Insbesondere ihre Verneinung einer antisemitischen Dimension durch die Hamas und die aus ihrer Sicht selektive Anwendung von Menschenrechtsstandards seien verwerflich. Butlers „offensichtliche Blindstelle für Antisemitismus“ stehe „in starkem Kontrast zu den Lehren Adornos“, heißt es in dem Brief an den Oberbürgermeister Mike Josef, den der VJSH am Dienstag öffentlich gemacht hat.

Judith Butler weist Kritik mit Nachdruck zurück

Judith Butler, die in Berkeley lehrt, weist diese Kritik allerdings mit Nachdruck zurück. Auf Nachfrage der FR erklärt sie, dass sie jegliche Form von „sexueller Gewalt, Verletzung und Mord, die seit dem 7. Oktober stattgefunden haben, einschließlich der Handlungen der Hamas“, unmissverständlich verurteilt habe. Butler betont, dass sie es ablehne, „Schaden auf der Grundlage von Rasse, Religion oder ethnischem Hintergrund anzuerkennen“. Sie verweist auf die Grundprinzipien ihrer jahrelangen Arbeit, „die eine gleichberechtigte Anerkennung aller Leidtragenden und ein Engagement für Gewaltfreiheit und Zusammenleben“ fordern, und weist jede andersartige Darstellung ihrer Ansichten als Missinterpretation zurück: „Jede selektive und verkürzte Darstellung meiner Ansichten, die diesem grundlegenden Prinzip zuwiderläuft, ist eine schwerwiegende Verzerrung der Werte, die ich in meiner Arbeit über das Zusammenleben und die Gewaltfreiheit propagiert habe und die nach wie vor den Kern meiner ethischen Philosophie bilden.“

Im Wortlaut

Wörtlich sagte Judith Butler der Frankfurter Rundschau zu den jetzt erhobenen Vorwürfen und der Forderung der Aberkennung des Adorno-Preises:

„Ich bin gegen alle sexuellen Gewalttaten, Verletzungen und Morde, die seit dem 7. Oktober stattgefunden haben, einschließlich der grausamen Taten der Hamas, die ich unmissverständlich verurteilt habe und weiter verurteile. In meiner Arbeit der letzten Jahrzehnte habe ich mich für die ‚Gleich- gewichtigkeit dessen, was betrauert werden kann‘ eingesetzt, was bedeutet, dass alle Menschenleben als gleichwertig betrachtet werden sollten. Ich lehne es ab, Schaden auf der Grundlage von Rasse, Religion oder ethnischem Hintergrund anzuerkennen. Jede selektive und verkürzte Darstellung meiner Ansichten, die diesem grundlegenden Prinzip zuwiderläuft, ist eine schwerwiegende Verzerrung der Werte, die ich in meiner Arbeit über das Zusammenleben und die Gewaltfreiheit propagiert habe und die nach wie vor den Kern meiner ethischen Philosophie bilden.“ MH

Nach einem Auftritt in Frankreich vor wenigen Wochen hatte die Kritik an Butler noch einmal zugenommen. Dort war eine Veranstaltung zunächst abgesagt worden, weil Butler bedroht worden war. „Meine Vorträge wurden wegen Drohungen gegen mich verschoben. Sie werden neu angesetzt“, teilte Judith Butler der FR damals mit. Im Pariser Vorort Pantin erklärte sie, dass der Angriff der Hamas ein „Aufstand“ gewesen sei, sie distanzierte sich von der Bezeichnung als „terroristischer“ oder „antisemitischer Angriff“. Butler betonte bei der Veranstaltung zum Thema „Gegen Antisemitismus, seine Instrumentalisierung und für den revolutionären Frieden in Palästina“, es sei ehrlicher und historisch korrekter, von einem Akt des bewaffneten Widerstands zu sprechen. „Es war kein Terroranschlag, es war kein antisemitischer Angriff: Es war ein Angriff auf die Israelis. Und Sie wissen, dass mir dieser Angriff nicht gefallen hat, das habe ich öffentlich gesagt. (…) Allerdings wäre ich wirklich dumm, wenn ich beschließen würde, dass die einzige Gewalt in dieser Region gegen das israelische Volk gerichtet ist.“

Butler weist auf den Kontext des Hamas-Angriffs hin

Butler hatte in einem FR-Interview bereits im Herbst 2023 auf den Kontext des Hamas-Angriffs hingewiesen: „Historisch zu verstehen, warum es zu dieser Gewalt kam, ist nicht gleichbedeutend mit der Billigung von Gewalt.“ Wenn man nur daran interessiert sei, zu klären, wer für die Anschläge am 7. Oktober verantwortlich sei, „dann beginnen wir die Geschichte an diesem Tag. Wenn wir aber verstehen wollen, wie es zu diesen Anschlägen kam, dann müssen wir viel früher mit der historischen Erklärung beginnen“. Butler verwies dabei auf die jahrzehntelange Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel.

In dem Gespräch hatte sie bereits erklärt: „Die an der israelischen Zivilbevölkerung begangenen Gräueltaten waren entsetzlich und können weder hingenommen noch rationalisiert werden.“ In dem Zuge übte sie Kritik an der Debattenkultur in Deutschland. Es gebe nicht viele gemeinsame Annahmen zwischen dem deutschen Diskurs und dem Rest der internationalen Gemeinschaft. Viele Deutsche würden reflexartig reagieren, „indem sie Israel bedingungslos unterstützen, aus Angst, dass jede Kritik ein Zeichen von Antisemitismus sein könnte“.

Butler war auch Mitunterzeichnerin des Briefes „Philosophy for Palestine“. Der Brief war ebenfalls in die Kritik geraten, da er die Taten der Hamas nicht genügend hervorhebe. Zu den Kritikerinnen zählte unter anderem die Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib.

Israel sieht sich aufgrund seiner Kriegsführung mittlerweile massiver Kritik ausgesetzt, die UN werfen dem Land sogar den Versuch eines Genozids vor. Israel verwahrt sich dagegen und sieht eine Täter-Opfer-Umkehr in der UN-Argumentation, da die Hamas die hohe Zahl ziviler Opfer provoziere. (Michael Hesse)

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