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Erstes deutsches U-Boot "U-1": Stotterstart für die Wunderwaffe

Erstes deutsches U-Boot "U-1" Stotterstart für die Wunderwaffe

Führenden deutschen Militärs galten Unterseeboote lange als feige: Während andere Nationen mit Hochdruck forschten, blockierte sie die Entwicklung. Trotzdem stellte die Kaiserliche Marine vor über 100 Jahren ihr erstes U-Boot "U-1" in Dienst - aber erst, nachdem es den Kaiser fast versenkt hätte.
Von Ariane Stürmer

Seiner Majestät ist gestrandet. Im Keller, ganz hinten an der Wand. Es ist eng dort, man musste die Decke aufstemmen, um Seiner Majestät unterzubringen. Kaum mehr als ein Gerippe ist von ihm geblieben, der Bauch ist aufgeschlitzt, die Eingeweide den neugierigen Blicken der Fremden preisgegeben, hier, im Deutschen Museum München.

Die Geschichte von "SM U-1" ist nicht nur die Geschichte des ersten deutschen U-Boots. Es ist die Geschichte eines ungeliebten Stiefkindes. Sie handelt von Ehre und kaiserlichem Deutschtum, von Plagiaten, von Spaniern, Franzosen und Russen, von wagemutigen Laien und reichen Opportunisten. "U-1" ist zugleich das Symbol des Scheiterns und des Erfolgs. Und es ist eine deutsche Kriegsmaschine, an deren Entwicklung letztlich zahlreiche Nationen beteiligt waren - am wenigsten aber die Deutschen.

Als "SM U-1" am 14. Dezember 1906 nach wenigen Monaten Bauzeit in Dienst gestellt wurde, hinkte das Deutsche Kaiserreich seinen späteren Weltkriegsfeinden bei der U-Boot-Entwicklung noch weit hinterher. Denn während man etwa in Frankreich bereits seit Jahren Geld in die Forschung steckte, ließ das Reichsmarineamt noch verkünden, U-Boote seien "lahmen Enten" unter Wasser. Sie waren nach Ansicht vieler Militärs etwas für Feiglinge und Schwache. Sich unsichtbar im U-Boot an den Feind heranschleichen? Undenkbar. Die riesigen deutschen Schlachtschiffe sollte ruhig jeder von weitem sehen können.

Argumente gegen den U-Boot-Bau

Noch 1911 schrieb das Reichsmarineamt in der geheimen Dienstschrift Nummer 63, seine "abwartende Haltung" habe Deutschland "vor kostspieligen Versuchen und der Anhäufung wertlosen Bootsmaterials" beschützt. Im Übrigen habe Deutschland mit einem einzigartigen geologischen Problem zu kämpfen: Wegen "unseren eigenartigen Küstenverhältnissen" sah man sich zum Abwarten gezwungen, bis der Bau "wirklich leistungsfähiger und zuverlässiger Tauchboote" realistisch sei.

Die Öffentlichkeit hatte allerdings immer weniger Verständnis für diese Haltung, doch die Militärs brachten Argument um Argument gegen die U-Boot-Entwicklung vor. In Kiel schimpfte Marineakademie-Professor Carl Busley, es berühre "doch etwas eigentümlich, wie Pastoren, Lehrer, Seminaristen, Apotheker, Sparkassenbeamte und andere ganz friedliche Leute" daran arbeiteten, "eine schreckenerregende Zerstörungsmaschine herzustellen".

Ausgerechnet einer dieser geschmähten Zivilisten sorgte für einen Durchbruch in der U-Boot-Entwicklung. Denn damals standen alle Staaten, die an U-Booten arbeiteten, vor dem gleichen Problem: Wie sollte man sich tief unter Wasser orientieren? Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gängige Magnetkompass mochte zwar an Deck eines Schiffs über Wasser gute Dienste leisten, umgeben von dickem Eisen und elektrischen Feldern unter Wasser aber war das etwas anderes. Die Mannschaft war im abgetauchten U-Boot sozusagen blind.

Erst 1908 gelang es dem deutschen Mediziner Hermann Anschütz-Kaempfe, das Problem mit der Entwicklung des Kreiselkompasses zu lösen. Anschütz-Kaempfe war einer jener privaten Konstrukteure, die seit Jahrzehnten schon in Eigenregie an Unterseebooten bauten. So war bereits im Jahr 1850 der sogenannte Brandtaucher erfolgreich zu Wasser gelassen worden, auch wenn er später in der Kieler Förde versank. Die Arbeit dieser Tüftler war der deutschen Marine ein Dorn im Auge. Dabei kreuzte Mediziner Anschütz-Kaempfe noch nicht mal in den Hoheitsgewässern der Militärs. Er träumte vielmehr - ganz friedlich - davon, als erster Mensch mit einem Boot unter dem Nordpol hindurch zu tauchen.

Eine französisch-spanisch-deutsche Entwicklung

Der Industrielle Friedrich Krupp liebäugelte hingegen ganz offen mit dem Bau von Kriegsschiffen. 1902 hatte er die Kieler Germaniawerft gekauft. Was Krupp fehlte, war ein Auftrag und ein Ingenieur. Zumindest auf diesen musste Krupp nicht lange warten. Mit Raymondo Lorenzo d’Equevilley-Montjustin trat ein Mann in deutsche Dienste, mit dem die Entwicklung der "SM U-1" letztlich ihren Anfang nahm - und die Beteiligung zahlreicher Staaten am deutschen U-Boot-Bau.

Denn Raymondo Lorenzo d’Equevilley-Montjustin war Spanier. Zuvor hatte er in Frankreich unter Leitung des französischen Konstrukteurs Maxime Laubeuf an der U-Boot-Entwicklung mitgearbeitet. Es mag Kränkung gewesen sein oder schlicht Perspektivlosigkeit, jedenfalls suchte sich der Spanier eine andere Arbeitsstätte, an der er seine eigenen Ideen einbringen könnte. Und so kam es, dass die Germaniawerft in Kiel mit dem Geld des Deutschen Krupp ein U-Boot baute, das auf den Plänen eines Spaniers und französischem Know-how beruhte. Das Projekt war geheim. In offiziellen Briefen schrieb man daher vom Bau einer Leuchtboje. Intern hieß das kleine Versuchsboot "Forelle".

Für Krupp ging es vor allem um eines: Er glaubte, in dem Geschäft mit U-Booten eine künftige Goldgrube entdeckt zu haben. 1903 war es soweit: Prinz Heinrich von Preußen bestieg das 13 Meter lange Bötchen höchstpersönlich für eine Testfahrt - und war entzückt. Nur die deutsche Marine wollte die Ansicht nicht teilen. Die russische dagegen schon: Weil Krupp noch immer auf der Suche nach einem Auftraggeber war, lud er zwei russische Marineoffiziere ein. Sie sahen der "Forelle" 1904 beim Schwimmen zu. Sie trotzte eineinhalb Meter hohen Wellen und tauchte und manövrierte unbeeindruckt vom starken Seegang. Krupp legte den Männern Pläne für ein weiterentwickeltes, deutlich größeres U-Boot vor. Die Russen orderten. Und Krupp jubilierte.

Auch Russland spielt mit

Die "Karp", "Karaß" und "Kambala" wurden wenige Monate später per Eisenbahn in den Osten ausgeliefert. Rund 40 Meter lang, ausgestattet mit einem Torpedorohr und drei Torpedos an Bord, konnten sie 30 Meter tief tauchen. Von der Seite betrachtet sahen die U-Boote aus wie kleine Schlachtschiffe: Mit spitz zulaufendem, erhöhtem Bug und abgeflachtem Heck, unter dem sich die Schiffsschrauben drehten. Aus der Ferne betrachtet hätte man Kommandoturm und Sehrohre für Aufbauten eines gewöhnlichen Schiffs halten können. Doch der Bau der russischen Boote provozierte eine kleine diplomatische Krise: Sie ähnelten frappierend Plänen des Franzosen Laubeuf, des früheren Chefs von Krupps Ingenieur d’Equevilley-Montjustins. Laubeuf prangerte die Entwicklung als Plagiat an. Bis heute ist dieser Vorwurf weder von Wissenschaftlern bestätigt noch widerlegt worden.

Die Russen hingegen scherten die diplomatischen Verwerfungen wenig: Sie waren zufrieden mit ihren Booten aus der Krupp-Werft - und die deutsche Marine begann zu grübeln. Sollte es doch an der Zeit sein, in die U-Boot-Entwicklung zu investieren? Am 11. Mai 1904 wagte der Abgeordnete Wilhelm von Kardorff den Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred von Tirpitz, das zu fragen, was viele Menschen im Kaiserreich schon länger beschäftigte: Warum war die Marine bisher nicht "an den Bau von U-Booten herangegangen"? Von Tirpitz, der U-Boote als Symbol des Schwachen verabscheute, antwortete knapp, man halte nicht viel von ihnen.

Unerwähnt ließ von Tirpitz, dass er bereits einen Monat zuvor zähneknirschend den Marineingenieur Gustav Berling mit dem Bau eines U-Boots beauftragt hatte. Berling teilte die Meinung seines Vorgesetzten zum U-Boot-Bau und beugte sich nur ungern dem Befehl: "Zuerst war ich ganz niedergeschlagen, denn ich hatte bisher das U-Boot-Wesen für großen Unsinn gehalten." Ein Jahr später war der Unsinn dem Kaiserreich im Haushalt von 1905 schon 1,5 Millionen Mark wert.

Die "U-1" war eine Weiterentwicklung der russischen Boote mit einigen Veränderungen durch Berling. So wuchs das Boot um zwei Meter auf 42 Meter, bekam einen größeren Kommandoturm und anders konstruierte Ballasttanks. Bei der Fahrt über Wasser rauschte "U-1" angetrieben von zwei 200-PS-Petroleummotoren durch die Wellen. Das Kaiserreich rühmte sich in der geheimen Dienstschrift des Reichsmarineamts 1911, "Benzin- und Gasolinmotoren wegen ihrer zu großen Gefährlichkeit grundsätzlich ausgeschlossen" zu haben. Erst die Entwicklung des Petroleummotors habe die "Sicherheit in unserer Marine" gewährleistet. Damit hatte das Reichsmarineamt insofern recht, als Experimente mit Benzinmotoren in anderen Ländern viele Opfer gekostet hatten. Unerwähnt bleibt, dass die "U-1" eine blendend weiße Abgasfahne hinter sich herzog. Wie eine Signalfahne wehte sie vor dem blaugrauen Hintergrund des Meeres.

Durchbruch und Untergang

Für den Einsatz unter Wasser war der Petroleum-Antrieb gänzlich ungeeignet, weil das Gemisch zum Zünden Sauerstoff brauchte. Der aber war verständlicherweise für die Mannschaft zum Atmen reserviert. Die "U-1" fuhr daher mit Hybrid-Antrieb: Ein Elektromotor brachte das Boot auf maximal 30 Meter Tiefe. Die Reichweite unter Wasser war beschränkt, weil die Akkus für den E-Motor nur mit Hilfe der Petroleummotoren aufgeladen werden konnten. "U-1" fuhr daher die meiste Zeit an der Oberfläche.

Dass das Boot dennoch eine todbringende Kriegswaffe sein konnte, bewies es im Frühjahr 1907. Während Kaiser Wilhelm II. an Bord des kleinen Kreuzers "SMS München" über die raue Nordsee stierte und nach einem vermeintlichen Feind Ausschau hielt, manövrierte "U-1" unbemerkt ganz nah an das Schiff heran. Das Torpedorohr war geladen, die drei Torpedos an Bord bereit zum Abschuss. Wäre "U-1" ein feindliches U-Boot gewesen, hätte es die "München" versenkt.

Spätestens jetzt musste auch dem letzten Zweifler klar sein, dass U-Boote nicht mehr aus dem Krieg wegzudenken sein würden. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 ging bereits "U-5" auf Fahrt. Seiner Majestät U-1 war zu diesem Zeitpunkt technisch längst überholt, das erste U-Boot der deutschen Marine feuerte entsprechend keinen einzigen Schuss auf einen Feind ab. Stattdessen übten die Seeleute auf "U-1" das Fluten der Trimmtanks, schnelles Tauchen und die Balance in einem von links nach rechts rollenden und um 20 Grad nach vorne gekippten Gefährt.

Mit Ende des Kriegs kam vorerst auch das Ende der deutschen U-Boote, sie mussten an die Alliierten ausgeliefert werden. Es ist dem Bauingenieur Oskar von Miller zu verdanken, dass "U-1" nicht zerstört wurde. 1903 hatte von Miller in München das Deutsche Museum gegründet und warb nun um das bereits teilweise abgewrackte "erste in Deutschland praktisch erprobte U-Boot". Die unschädlich gemachte Waffe kam schließlich in Einzelteilen per Bahn nach München. Seither liegt "U-1" dort rund 900 Kilometer von der Nordsee entfernt auf dem Trockenen.