Wenn man den Mythos und all jene Millionen Menschen heute abzieht, die damals mit an die 500.000 anderen Besuchern tatsächlich vor Ort dabei gewesen sein wollen: Es war der am besten dokumentierte Verkehrszusammenbruch der Geschichte. Die Tauernautobahn mit Animationsprogramm. Und mit besseren Drogen. Mit vielen, vielen Drogen. Und er lehrte die Menschheit, Großevents in Hinkunft näher bei öffentlichen Verkehrsmitteln, Pixi-Klos und gastronomischen Mindestangeboten wie Wasser und Brot zu veranstalten. Der Rest ist Musikgeschichte. Und diesbezüglich Ansichtssache.

Vor 40 Jahren, am 15. August, machten sich also hunderttausende junge Menschen in die Catskill Mountains im US-Bundesstaat New York auf, um draußen an der guten Luft 3 Days of Peace and Music zu feiern. Aufgrund von Problemen mit den lokalen Behörden fand das von den New Yorker Musikmanagern Michael Lang und Artie Kornfield konzipierte, chaotisch organisierte Festival zwar nicht im ursprünglich avisierten Woodstock statt. Stattdessen wurden Max Yasgur und eine Wiese seiner Milchfarm im benachbarten Ort Bethel weltberühmt. Aber die Plakate waren schon gedruckt. Ein Musikfilm mit dem Titel Bethel hätte zwar womöglich auch einen Oscar bekommen, der sich ab 1970 einstellende Welterfolg dieser als Markenname prächtig funktionierenden Woodstock Nation wäre aber wohl kleiner ausgefallen.

Der Film Woodstock verkauft der Welt bis heute ein heiteres, harmloses Stationendrama, in dem es rein um Musik und Liebe geht und alle am Ende glücklich nach Hause beziehungsweise ihre Autos suchen gehen, während Jimi Hendrix mit zarter Verspätung Montagfrüh vor einer Müllhalde und schütteren Rängen auf der Fender Stratocaster das Star-spangled Banner zerfetzt und sich den Acid-Rausch aus dem Schädel jault.

Gut, der Verkehr brach ein bisserl zusammen. Aber die Stimmung war im Publikum und auf der Bühne dank freundlicher chemischer Drogen, Drogen, Drogen gut. Wir sehen heute mit historischem Sicherheitsabstand eine friedliche Demonstration in trauter gemeinsamer Schlammpackung als Alternative zur bösen Welt da draußen.

Die Manson-Morde

Die Woche vor Woodstock hatte Charles Manson in Kalifornien zwar seine "Manson Family" die unfassbaren Morde an Sharon Tate und vier weiteren Personen im Haus von Roman Polanski begehen lassen und damit wohl auch einen Teil des Flower-Power-Traums gleich mitmassakriert. So sich die amerikanische Jugend nicht in Vietnam abschlachten ließ. Im Juni zuvor kam es in New York wegen Polizeiwillkür gegen die homosexuelle Community zu den berüchtigten Stonewall Riots. In Gewalt mündende Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen waren ebenso alltäglich wie Straßenschlachten im rassistischen Süden.

Parallel dazu wurden Höhepunkt und Fanal der Hippiebewegung auch in Filmen wie Easy Rider dokumentiert. Monate später, im Dezember, ermordeten Hell's Angels im kalifornischen Altamont während des Auftritts der Rolling Stones einen afroamerikanischen Konzertbesucher und zerstörten damit den Traum friedlicher Großfestivals gleich wieder. John Fogerty lieferte mit Creedence Clearwater Revival im Sommer 1969 mit dem Song Bad Moon Rising (I hear the voice of rage and ruin ...) einen Abgesang auf die Ära. Iggy Pop und seine definitiv nicht nach Woodstock eingeladenen Stooges sangen dazu zu brutaler Endzeitmusik nihilistische Botschaften, die einige Jahre später im Punk mündeten: Well, it's 1969, ok?! All across the USA. It's another year for me and you, another year with nothing to do?

Dennoch gelten die drei Tage von Woodstock zwischen 15. und 18. August als jener entscheidender Zeitraum, in dem die Subkultur in den Mainstream getragen wurde. Künstler wie Richie Havens, Arlo Guthrie, Crosby, Stills, Nash & Young, Canned Heat, Sly And The Family Stone, The Who, Jimi Hendrix, Joe Cocker oder Carlos Santana wurden kurz- oder längerfristig Weltstars. Neben Hendrix fielen nur Hippiefresser Pete Townshend und The Who aus dem Rahmen.

Als der umstrittene und undurchsichtige Abbie Hoffmann, Mitbegründer der Youth International Party, deren Anhänger damals als "Yippies" bekannt waren, während des Auftritts der Band eine Brandrede gegen die Gefangennahme von John Sinclair von der White Panther Party halten wollte, drang die Gewalt auch nach Woodstock vor. Er wurde von einem wütenden Townshend mit der Gitarre von der Bühne gedroschen.

Was bleibt also von Woodstock? Große Festivals sind längst bis ins Letzte durchkommerzialisiert, allerdings dankenswerterweise auch -organisiert. Rutschpartien im Schlamm, wie sie die Welt das erste Mal im Kino bei Woodstock sah, werden bei Schönwetterfestivals längst künstlich mit dem Feuerwehrschlauch inszeniert. Und junge weiße Mittelstandskinder, die sich ihren Ausstieg während der Studentenjahre und ihren Drogenkonsum von Mutter und Vater finanzieren lassen, gibt es heute zwar nicht mehr so häufig wie früher. Aber es gibt sie.

Apropos Drogen. Damals kam neben der Musik, der Mode und dem Postulat eines bestimmten Lebensstils auch die Droge in den Mainstream. Dort lebt sie noch immer. Gimme an F! Gimme a U! Gimme a C! Gimme a K! (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.8.2009)