1. BuzzFeed
  2. News
  3. Trending

Studentin klagt Problem bei Freikirchen an – „zum Austritt geführt“

KommentareDrucken

Helena will in einer freikirchlichen Gemeinde Gemeinschaft finden, sieht sich jedoch mit Ausgrenzung konfrontiert.

Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Homofeindlichkeit.

Jeden Sonntag geht es in die Kirche – das ist bei immer weniger Deutschen der Fall. Seit Jahren gehen die Mitgliederzahlen der Volkskirchen zurück. Edgar Wunder, Soziologe und Mitglied des sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), spricht von einer „gesamtgesellschaftlich tendenziell sinkenden Religiosität“. Dabei sind nicht nur die evangelische und die katholische Kirche betroffen, sondern auch sogenannte Freikirchen.

Was sind Freikirchen

Der Begriff Freikirchen ist nicht klar definiert. Ursprünglich, erklärt der Soziologe Edgar Wunder, seien damit Kirchen „in protestantischer Tradition, die historisch zu keinem Zeitpunkt Staatskirchen waren“ gemeint gewesen. Religionswissenschaftler Martin Radermacher erklärt außerdem, dass sich sogenannte Freikirchen „zwar in der Regel zu größeren Verbänden zusammenschließen“ und „manchmal auch mehrere Standorte“ hätten, doch im Kern seien sie „unabhängige Einzelkirchen“.

Eine zeitgemäßere Definition ist laut Wunder: „Freikirchen in einem weiteren Sinne sind alle Kirchen, die sich nicht als ‚Volkskirchen‘ verstehen und deren Mitglieder überwiegend keinen Migrationshintergrund haben, sondern aus Deutschland stammen, wobei es gleichgültig ist, aus welcher christlichen Traditionslinie sie historisch stammen.“

Zwar präsentieren sich einige Freikirchen, von denen sich viele unter dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden zusammenfinden, auf ihren Webseiten häufig als offen und modern, doch auch sie verlieren Mitglieder. Schon seit Jahrzehnten seien die Mitgliederzahlen rückläufig, erklärt Wunder. „Es waren in den 1950er Jahren etwa doppelt so viele wie heute“, sagt der Wissenschaftler. Dennoch sei die Zahl der großen Freikirchen „relativ stabil“.

Eine Person betet, auf dem Tisch vor ihr ist eine Bibel aufgeschlagen.
Die deutsche Gesellschaft ist immer weniger religiös. (Symbolbild) © Pond5 Images/IMAGO

Freikirchen: Ein Gottesdienst wie ein Ted-Talk

Helena, eine Lehramtsstudentin aus Berlin, wollte in einer Freikirche Gemeinschaft finden und mit anderen zusammen ihren Glauben teilen. Etwa zwei Jahre ging sie regelmäßig zu den Gottesdiensten. Es habe sich immer sehr inklusiv angefühlt, erzählt sie BuzzFeed News Deutschland.

Aber wie laufen diese Gottesdienste eigentlich ab? Helena erzählt von ihren Erfahrungen in Freikirchen in Berlin, München und auch Bulgarien: „Es ist auf Englisch und der Pastor ist oft sehr stilisiert – es fühlt sich eher an wie ein Ted-Talk. Viele Christen sagen, dass der Heilige Geist in sie fährt. Und da ist dann auch dieses intensive Anbeten. Die Arme sind oben, Leute fallen auf die Knie und weinen. Das ist alles sehr intensiv.“

Diese Intensität beschreibt auch Soziologe Wunder: „Mitglieder von Freikirchen haben im Durchschnitt eine erheblich höhere Religiosität als Mitglieder von Volkskirchen. Gleichzeitig erwarten viele Freikirchen auch ein hohes Maß an aktiver Beteiligung am Gemeindeleben.“ Dazu zählt auch, dass sie sich durch Spenden ihrer eigenen Mitglieder finanzieren und diese auch während der Gottesdienste einfordern.

Mehr zum Thema: 7 Dinge, für die Deutschland weniger Geld opfert als für die Kirche.

Nach homophoben Aussagen in Freikirche zieht Studentin einen Schlussstrich

Im Februar 2024 zog Helena einen Schlussstrich, denn „ab Januar haben sich die Gottesdienste in eine andere Richtung bewegt“, erklärt die 24-Jährige. Ausschlaggebend sei schließlich das Verhalten eines Pastors gewesen, von dem sie in einem TikTok-Video berichtet und das sie BuzzFeed News Deutschland schildert: „Der Pastor hat gesagt, ‚wir möchten, dass ihr nach der Bibel lebt und nur weil gewisse Arten der Hochzeit in weltlichen Gesetzen erlaubt sind, heißt das nicht, dass sie in der Bibel erlaubt sind und dass wir das wertschätzen‘“.

Die Bibel (die Kurt Krömer weniger effektiv findet als die Bild-Zeitung) sei immer mehr in den Hintergrund getreten, stattdessen sei es vor allem um die Mission des Pastors gegangen, so beschreibt es die 24-Jährige. „Und das ist das, was dann für mich zum Austritt geführt hat, weil die Mission eben homophob ist“, sagt sie. BuzzFeed News Deutschland hat Hillsong Berlin mit dem Vorfall konfrontiert. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels äußerte sich Hillsong Berlin jedoch nicht dazu.

Mehr von TikTok: „Dein Körper gehört dir“ – TikTokerin macht sich für Aufklärung stark.

Homophobie – ein Freikirchenproblem?

„Das ist kein Hillsong-Problem. Das ist ein Freikirchen-Problem. Sei dir dessen bewusst“, antwortet ein User auf Helenas Video. Dennoch gibt es viele Leute, die gläubig und queer sind – wie geht das? Sind also wirklich alle Freikirchen homofeindlich, vielleicht sogar radikal, wie es einige Leute in den Kommentaren vermuten? Nein.

In vielen Dingen unterscheiden sich die verschiedenen Gemeinden untereinander zu sehr, als dass sich allgemeine Aussagen über sie treffen lassen. „Die Mitgliedschaft in einer Freikirche ist allein kein Grund für Einzelne, radikale Ansichten zu vertreten. Wenn solche Kritik laut wird, dann entzündet sie sich oft an Einzelfällen“, sagt Religionswissenschaftler Radermacher von der Universität Bochum. „Allgemein kann man aber sagen, dass viele Freikirchen für sich in Anspruch nehmen, traditionelle christliche Werte zu vertreten, die sie ihrem Verständnis zufolge aus der biblischen Überlieferung ableiten“, erklärt Radermacher.

Dass die Bibel häufig als Rechtfertigung für homofeindliche Aussagen genutzt wird, zeigt sich in den Kommentaren unter Helenas Video.

Zwei Regenbogenflaggen hängen im Vordergrund, im Hintergrund die verschwommene Mariensäule in München.
Von wegen Nächstenliebe: Häufig wird die Bibel zur Rechtfertigung für Homophobie. (Symbolbild) © Wolfgang Maria Weber/IMAGO

Studentin wünscht sich Gemeinschaft statt Ausgrenzung

„Warum regst du dich darüber auf, dass der Pastor sagt, die Ehe ist nur für Mann und Frau bestimmt. Ist halt bibeltreu“, schreibt ein User. Eine weitere Person kommentiert „Meinst du, dass er nicht recht hat damit, zu sagen, dass homosexuelle Ehe falsch ist und gegen das Wort Gottes spricht? Weil, damit hat er schon recht.“ Neben mehrerer ähnlicher Aussagen, kommentierten einige Leute außerdem die Bibelstellen, die Homosexualität und die LGBTQ+-Community ihrer Meinung nach verdammen würden.

Diese Kommentare waren für Helena ein Schock, wie sie BuzzFeed News Deutschland erzählt. „Der viele Hass, die viele Wut“, habe sie zum Nachdenken gebracht. Sie ist weiterhin überzeugt, „dass man als Gemeinde eine Verantwortung hat und vor allem auch für marginalisierte Gruppen und dass man die Bibel eben in einem historischen Kontext sehen muss.“

Die Bibel solle nicht dazu dienen, Menschen auszugrenzen und zu verletzen, findet die Theologiestudentin. Sie wünscht sich Gemeinschaft statt Ausgrenzung in einer Gemeinde, also das, was Freikirchen eigentlich immer predigen.

Mehr zum Thema: „Dreiste Lüge“: Queere Community kritisiert Vorgehen bei Segnung homosexueller Paare.

Auch interessant

Kommentare