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«Ich wollte mich gefährlicher machen, als ich bin»

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«Eine merkwürdige Kolportage aus Fiktion und Erlebtem»: Daniel Cohn-Bendit über seine umstrittenen Äusserungen.
Provokation gegen das Bürgertum: Cohn-Bendit auf einer Aufnahme im Jahr 1987.
«Eine merkwürdige Kolportage aus Fiktion und Erlebtem»: Daniel Cohn-Bendit über seine umstrittenen Äusserungen.

Die Debatte wurde im Vorfeld der diesjährigen Vergabe des Theodor-Heuss-Preises in Stuttgart neu entfacht: Der deutsche Verfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhle sollte bei der 48. Vergabe des Preises für Zivilcourage und bürgerliche Initiative die Festrede halten. Weil der Geehrte jedoch Daniel Cohn-Bendit hiess, verzichtete Vosskuhle auf seinen Auftritt. Seine Begründung: Der Preisträger habe sich auf «nicht unproblematische Weise zur Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern geäussert».

Er bezog sich auf umstrittene Aussagen, die Cohn-Bendit einst zum Thema Pädophilie von sich gab. In dem Buch «Der grosse Basar» aus dem Jahr 1975 thematisierte der Grünen-Politiker seine Zeit als Erzieher in einem antiautoritären Kindergarten der Universität Frankfurt/Main. Dabei werden auch Intimitäten zwischen ihm und kleinen Kindern beschrieben. Diese Passagen hatten bereits 2001 für eine kurze öffentliche Debatte gesorgt. Sie wurde jedoch eingestellt, weil man Cohn-Bendit nichts beweisen konnte. Auch seine ehemaligen Kindergärtner und deren Eltern bestritten stets, dass es zu sexuellen Kontakten gekommen sei.

Verzicht auf weiteren Preis

Jetzt, nach dem erneuten Aufkommen der Diskussion, scheinen die Konsequenzen weitreichender: Am kommenden 4. Juli sollte Cohn-Bendit der Deutsch-Französische Medienpreis übergeben werden. Der Europaparlamentarier entschloss sich jedoch, auf diese Ehrung zu verzichten. Zu laut war der Aufschrei seiner Gegner, dass ein mutmasslicher Kinderschänder solch hohe Ehre nicht verdient habe: «Ein Pädophiler ist nicht preiswürdig», kritisierte die CDU in Baden-Württemberg. Cohn-Bendit konterte: «Kritisiert mich für das, was ich geschrieben habe, aber jagt mich nicht für etwas, was ich nicht gemacht habe.»

Die Erklärung wirkte kaum besänftigend. Nun wird gar ein unabhängiges Expertengremium die Rolle der Grünen in der Vergangenheit überprüfen. Die Partei soll sich in den 1980er-Jahren für Pädophile eingesetzt haben, lautet der Vorwurf (siehe Box). Cohn-Bendit erhält derweil im Magazin «Der Spiegel» (Artikel online nicht verfügbar) Gelegenheit, sich differenziert über die verschwiegene Seite der sexuellen Revolution und seine damalige Rolle zu äussern. Der Politiker geht in die Offensive und streitet vehement ab, pädophil zu sein. Gleichzeitig räumt er aber ein, dass seine Sätze von Kinderschändern zur eigenen Rechtfertigung benutzt werden könnten: «Was ich damals geschrieben habe, ist totaler Unsinn.» Cohn-Bendit stellt sich als spätpubertär und Angeber dar: «Ich wollte mich gefährlicher machen, als ich bin.»

Nicht zum ersten Mal versucht der Alt-68er seine Aussagen mit dem damaligen Zeitgeist zu rechtfertigen. Vieles sei damals «eben so gewesen». Das könne «man sich heute nicht mehr erklären»: «Erst mit dem Bewusstsein von Kindesmissbrauch werden solche Aussagen, wie sie mir zur Last gelegt werden, einfach unerträglich.» Cohn-Bendit fühlte sich offenbar von konservativen Politikern zu solch provozierenden Aussagen gedrängt. Die repressive Haltung in der sexuellen Erziehung liefen ihm und seinen Parteimitgliedern zuwider. Mit seinem Buch «Der grosse Basar» hat er die sexuelle Befreiung von Kindern und Jugendlichen zur Basis politischer Mündigkeit erklärt. Das sei nicht nur «schlecht geschrieben» gewesen, so Cohn-Bendit, sondern auch «eine merkwürdige Kolportage aus Fiktion und Erlebtem».

«Geschmacklos, dumm, aber eben eine Provokation»

Das Buch enthält auch folgende umstrittene Passage: «Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Das stellte mich vor Probleme.» Solche Aussagen beschreibt Cohn-Bendit gegenüber «Spiegel online» im Nachhinein als «geschmacklos, dumm, aber eben eine Provokation». Doch dass seine damaligen Aussagen heute nochmals für so viel Wirbel sorgen, überrascht auch ihn: «Es scheint mir generell empfehlenswert, wenn wir die Empörungsfähigkeit redimensionieren würden.»

Mit dem «Spiegel»-Gespräch hofft Cohn-Bendit, dass das Thema ein für alle Mal begraben ist: «Ich habe jetzt alles gesagt, was ich dazu sagen kann. Jetzt ist Schluss.» Er rechnet jedoch damit, dass seine damaligen Aussagen nachhaltig in Erinnerung bleiben. Dabei beweist der Politiker Galgenhumor: «Irgendwann werde ich sterben, und dann wird an meinem Grab stehen: Er war ein toller Typ, aber auf Seite 143 des ‹Grossen Basar› hat er etwas ganz Schlimmes geschrieben. Da ich kein Grab haben, sondern an die Luft verfüttert werde, macht das auch nichts.»