Kommentar

Erpressungsversuch gegen Alain Berset: Es geht die Schweiz nichts an, ob der Bundesrat eine Affäre hatte oder nicht. Es zählt eine andere Frage

Wie ist das nun mit Berset? Wir wissen es nicht. Und solange wir es nicht wissen, sollten wir uns vor voreiligen Schlüssen hüten.

Christina Neuhaus 82 Kommentare
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Während einer Pressekonferenz sind alle Augen auf Alain Berset gerichtet. Doch was der Bundesrat in seiner Freizeit macht, geht die Öffentlichkeit nichts an.

Während einer Pressekonferenz sind alle Augen auf Alain Berset gerichtet. Doch was der Bundesrat in seiner Freizeit macht, geht die Öffentlichkeit nichts an.

Peter Klaunzer / Keystone

Bundesrat Alain Berset hatte eine Bekannte, die ihn fotografiert hat. Was auf den Fotos ist, wissen wir nicht. Ein Kuss? Ein Joint? Eine Berührung? Jedenfalls sind die Aufnahmen acht Jahre alt. Bersets Anwalt sagt: «Die Bilder sind von beeindruckender Harmlosigkeit.» Kurz vor den Bundesratswahlen im Dezember 2019 wollte die Bekannte Berset damit erpressen. Am 12. Dezember erstattete der Bundesrat Anzeige. Einen Tag später wurde die Frau verhaftet und einvernommen. Die Polizei stellte mehrere Mobiltelefone, zwei Laptops und ein Tablet sicher. Später ordnete die Bundesanwaltschaft an, die Daten auf den Geräten zu löschen. Die Frau stimmte der Löschung zu.

Am 14. September 2020 ergeht ein Strafbefehl gegen die Bekannte. Das Verfahren endete mit einer rechtskräftigen Verurteilung per Strafbefehl. Am Samstag, 21. November, pusht die «Weltwoche» eine Online-Eilmeldung. Titel: «Berset – Erpressung und Vertuschung».

Das ist derzeit alles, was wir über den «rätselhaften Erpressungsfall Berset» («Blick») wissen. Hat sich Berset erpressbar gemacht? «Nein», sagt der Sprecher von Bersets Innendepartement. Zudem habe die Frau im Rahmen der Untersuchung «unwahre und ehrverletzende Aussagen» zurückgezogen. Natürlich sei Berset erpressbar, schreibt «Weltwoche»-Herausgeber und SVP-Nationalrat Roger Köppel. Die Bundesanwaltschaft habe ja selbst zu Protokoll gegeben, Berset hätte sein Amt nicht mehr richtig ausüben können, wenn das Material publik geworden wäre. «Das heisst: Berset ist erpressbar.»

Bundesrat Alain Berset ist nicht der erste Politiker der Schweiz, der in eine Affäre verwickelt wurde, die in den Medien landete. Was den meisten Affären gemeinsam ist: Sie haben sich in Luft aufgelöst. Die Schweiz ist ein liberales Land, die Schweizer sind tolerante Menschen. Wenn sich einer dabei erwischen lässt, wie er am Amtspult Teile seines Körpers fotografiert und die Bilder seiner Geliebten schickt, wird er zur Strafe höchstens abgewählt. Wenn einer seiner christlichen Wählerschaft eine aussereheliche Affäre beichtet, kann er es zum Staatsrat bringen.

Wie ist das nun mit Berset? Wir wissen es nicht. Und solange wir es nicht wissen, sollten wir uns vor voreiligen Schlüssen hüten. In welchem Verhältnis Berset zu seiner Bekannten steht, geht höchstens seine Frau etwas an. Uns kann es egal sein. Wir leben in einem freien Land. Bekannte zu haben, auch intime, ist kein Verbrechen. Relevanter sind die Fragen: Wem nützt die Veröffentlichung der «Affäre Berset», und wo war das Leck? Ist die Frau die Quelle der «Weltwoche», oder spielt jemand im Bundeshaus «House of Cards»?

Worauf die Öffentlichkeit ein Recht hat, ist die Beantwortung der Frage, ob sich Bundesrat Berset erpressbar gemacht habe. Ein erpressbarer Bundesrat sollte kein Bundesrat mehr sein. Dass die Erpresserin in die Löschung der Daten offenbar eingewilligt hat, deutet nicht auf einen willkürlichen Akt der Bundesanwaltschaft hin. Aber vielleicht hat die Bundesanwaltschaft etwas Druck gemacht? Wissen wir es? Nein. Haben wir ein Recht darauf, zu wissen, dass sich alles mit rechten Dingen zugetragen hat? Natürlich.

82 Kommentare
P. S.

Die Weltwoche buddelt unter Expeditionsleiter Roger Köppel weiter auf der Suche nach dem absoluten Tiefpunkt journalistischer Standards. Ich bin nicht der Ansicht, dass renommierte Medien überhaupt über diese Grabungen zu berichten brauchen.

Daniel Flury

Berset wurde nicht erpresst, sondern es wurde versucht, Berset zu erpressen. So wie es aussieht, ziemlich erfolglos. Also lasst den Mann in Ruhe und hört auf im Trüben zu fischen. Überlasst das der «Weltwoche», die kann das ziemlich erfolglos gut.

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