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Transnistrien ist Putins Hebel In Moldau wird ein Krieg wahrscheinlicher

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Panzer bei einer Militärparade anlässlich des 30. Jahrestages von Transnistrien im Jahr 2020 in Tiraspol.

Panzer bei einer Militärparade anlässlich des 30. Jahrestages von Transnistrien im Jahr 2020 in Tiraspol.

(Foto: IMAGO/Panthermedia)

Der russische Angriff auf die Ukraine rückt auch Moldau in den Mittelpunkt. Mit Transnistrien weiß die Republik eine prorussische Separatistenregion auf dem eigenen Staatsgebiet, die der Kreml nutzt, um das Land zu destabilisieren. Putin sei nicht bereit, es "fallen zu lassen", sagt ein Osteuropa-Experte.

Die Republik Moldau ist offizieller EU-Beitrittskandidat, aber in der Realität meilenweit von einer Aufnahme in das Staatenbündnis entfernt. Das liegt an Transnistrien. Das prorussische Separatistengebiet liegt auf dem Staatsgebiet Moldaus, ist aber Russlands Außenstelle in Moldau und wird deshalb auch als Freilichtmuseum des Kommunismus oder kleine Sowjetunion bezeichnet. Ende Februar hat die transnistrische Regierung in Russland um "Schutz" gebeten. Ähnliches haben zwei Jahre zuvor auch die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk getan, als sie in Moskau um militärische Hilfe baten. In derselben Woche ließ Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine auf breiter Front angreifen.

Einen neuen Angriff erwartet Politikwissenschaftler Hannes Meissner im Fall von Transnistrien vorerst nicht. Er glaubt an eine PR-Aktion - oder einen Hilfeschrei der führenden Elite. "Die Unternehmer-Elite Transnistriens ist unter Druck geraten, insbesondere seit Ausbruch des Ukraine-Krieges und im Zuge der Annäherung Moldaus an die EU unter Präsidentin Maia Sandu."

Meissner ist Risikoanalyst und berät in dieser Rolle vor allem Unternehmen, die in den osteuropäischen Markt einsteigen wollen. Ihm zufolge ist Transnistrien primär daran interessiert, den Status quo zu erhalten. "Transnistrien hat über Jahre hinweg den Doppelstatus ausgenutzt, einerseits Gas kostenlos aus Russland bezogen und andererseits über das Freihandelsabkommen Moldaus mit der Europäischen Union Zugang zum europäischen Markt erhalten. 70 Prozent der Exporte Transnistriens gehen in die EU."

"Putin wird Transnistrien-Hebel drücken"

Zuletzt wurden die Bedingungen für die Separatisten aber verschärft. Das moldauische Parlament hat voriges Jahr ein Separatistengesetz verabschiedet, das abtrünnige Bestrebungen erstmals unter Strafe stellt und mit Gefängnis ahndet. Die Regierung in Chișinău hat zudem Anfang dieses Jahres Zollerleichterungen für transnistrische Firmen abgeschafft. Das hat dem Haushalt der Separatistenregion sehr geschadet. In Zukunft sollen transnistrische Unternehmen auch für Umweltschäden zur Kasse gebeten werden. Für die Separatisten ist das ein großes Problem, weil die Region anders als der Rest Moldaus stark industriell geprägt ist. Moldau denkt außerdem darüber nach, Autos mit transnistrischen Nummernschildern das Befahren von Nationalstraßen zu verbieten.

Das sei der Hintergrund, vor dem man das Schutzersuchen Transnistriens sehen müsse, sagt Meissner im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Die Separatisten hätten das Ersuchen "bewusst schwammig formuliert" und erst später konkretisiert, dass es um diplomatischen und nicht um militärischen Schutz geht. "Dieses Schutzersuchen wurde nicht nur an Moskau gerichtet, sondern auch an die EU, UNO, die OSZE und das Rote Kreuz. Das zeigt, wie breit man sich ausgerichtet hat und dass es eher um eine Wahrung der Interessen der herrschenden Elite Transnistriens geht. Eine andere Frage ist allerdings, wie Russland damit umgeht."

Meissner und andere Transnistrien-Kenner sind überzeugt, dass Putin den Transnistrien-Konflikt nutzen wird, um seine eigenen Interessen durchzusetzen. "Putin wird den Transnistrien-Hebel drücken, früher oder später, wenn er es für notwendig hält. Das besagen unabhängige Quellen in Russland. Sie haben offensichtlich keine Zweifel."

Separatistengebiet für EU angeblich kein Problem

Transnistrien steht zwischen den Stühlen. Die Separatisten sind stark abhängig von ihrer "Schutzmacht" Russland. Gleichzeitig grenzt das Gebiet direkt an die Ukraine und liegt selbst völkerrechtlich auf dem Staatsgebiet der Republik Moldau.

25 Jahre lang wurde im sogenannten 5+2-Format über eine Lösung des Konflikts verhandelt, seit 2019 fanden aber keine Gespräche mehr statt, und seit dem Großangriff der Russen auf die Ukraine - beide Parteien saßen in der Transnistrien-Frage am Verhandlungstisch - ist das Gesprächsformat eingefroren. Wladimir Putin widerrief im Februar 2023 ein Dekret, wonach bei der Lösung der Transnistrien-Frage die Integrität der Republik Moldau gewahrt bleiben müsse. Außerdem stellte er klar, dass Moskau einen Angriff auf die in Transnistrien stationierten etwa 1500 russischen Soldaten als einen Angriff auf Russland werten würde.

Seitdem sind die Fronten endgültig verhärtet. Die Republik Moldau denkt gar nicht mehr an Zugeständnisse für Transnistrien und verfolgt die Strategie, Transnistrien wirtschaftlich so eng zu binden, dass sie sich mit nach Europa bewegen. Die Region soll "konstitutionell, fiskalisch und finanziell" in den Rest des Landes eingebunden werden, erklärte Cristina Gherasimov, Vize-Ministerpräsidentin und Chefunterhändlerin für den EU-Beitritt Moldaus, zuletzt in einem Interview mit ntv.de.

Russland nutze Transnistrien, "um Druck auszuüben". Man werde jedoch "nicht in die russische Falle tappen", führte sie aus. Die Republik Moldau arbeite daran, Transnistrien friedlich einzugliedern. "Der Transnistrien-Konflikt wird in Brüssel nicht als Problem für unseren europäischen Integrationspfad gesehen", sagte Gherasimov.

Bringt Energie-Unabhängigkeit die Wende?

Der Schlüssel für die Republik Moldau könnte der Energiesektor sein. Bislang kauft Chișinău den Großteil seines Stroms aus dem Kraftwerk Kuchurgan in Transnistrien. Es ist das größte Kraftwerk auf dem Staatsgebiet der Republik Moldau, es gehört aber einem Moskauer Unternehmen und wird kostenlos mit russischem Gas betrieben. Laut der moldauischen Regierung finanziert Transnistrien mit den Stromverkäufen mehr als die Hälfte seiner Ausgaben.

Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine versucht Moldau, sich auf dem Energiemarkt breiter aufzustellen. Mittlerweile kommt hauptsächlich vom westlichen Nachbarn Rumänien mehr Strom ins Land, die Kapazitäten reichen aber erst nächstes Jahr, um die Geschäfte mit Transnistrien einzustellen.

Reicht der Energiehebel, um Transnistrien wirtschaftlich in die Knie zu zwängen und von Russland abzudrängen? Meissner ist skeptisch. Eher würde Moskau rechtzeitig dazwischengrätschen und den Konflikt eskalieren, vermutet der Osteuropa-Kenner. "Moskau wird nicht bereit sein, Transnistrien in irgendeiner Weise fallen zu lassen. Es ist der entscheidende Hebel in der Destabilisierung Moldaus, den Russland hat und auch spielen wird."

Putins bedrohliche Signale

Putin sende Signale der Eskalationsbereitschaft, die auch "Moldau betreffen" würden. "Es ist keineswegs eine Tendenz zu beobachten, die in Richtung eines Ausgleichs oder einer Wahrung des eingefrorenen Zustands geht. Das Gegenteil ist der Fall. Das macht einen Krieg in Moldau wahrscheinlicher."

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Zunächst werde Moskau aber weiter auf hybride Kriegsführung setzen, bevor es zu einer militärischen Eskalation kommen könnte. Es gehe Russland darum, mittels hybrider Kriegsführung zu versuchen, die Lage weiter zu destabilisieren, sodass der EU-Annäherungsprozess Moldaus "erschwert oder unmöglich gemacht wird", erklärt Meissner im Podcast. "Russland wird alles daran setzen, dass ein Regierungswechsel im prorussischen Sinne stattfindet. Denn damit wäre der Konflikt aus Moskaus Sicht auch gelöst."

Im nächsten Jahr wird in Moldau ein neues Parlament gewählt, bereits diesen Herbst stehen Präsidentschaftswahlen an. Die proeuropäische Maia Sandu will sich im Amt bestätigen lassen, ihre Wiederwahl ist allerdings alles andere als sicher. Russland arbeitet massiv an ihrer Abwahl, versucht das Land zu destabilisieren, unterstützt prorussische Parteien und Medien finanziell. Putin will den europäischen Kurs Moldaus untergraben. Wenn das nicht klappt, könnte der Kreml im schlimmsten Fall die militärische Karte ausspielen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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