Der Möglichkeitsdenker – Egon Bahr R.I.P.

Egon Bahr ist 93-jährig an Herzversagen gestorben – ein gesegnetes Alter, das er bei klarem Kopf und “rüstig” erleben konnte.  Bis ins hohe Alter war er einer der wenigen (Ex-)Politiker, auf deren kluge, weise, gewitzten Ansichten und Urteile ich wirklich etwas gab.  Die Entspannungspolitik Richtung Ostblock, die er seit Mitte der 60er Jahre mit seinem Chef Willy Brandt betrieb,  sorgte dafür, dass er  in meiner CDU-dominierten Provinzheimat damals als “Vaterlandsverräter” beschimpft wurde – und ich mit 17 in die SPD eintrat. Um nach ein paar Monaten mein Parteibuch unter Protest wieder zurück zu schicken, nachdem der zum Verteidigungsminister bestellte Georg Leber verkündet hatte, dass man die vor der Wahl versprochene Abschaffung der “Gewissensprüfung” für Kriegsdienstverweigerer doch noch beibehalten wolle. Die alte Kommunisten-Parole “Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!” kannte ich damals zwar nicht, fühlte mich aber persönlich verarscht, weshalb es mit der SPD-Liebe nichts mehr wurde. Die Ostpolitik von Brandt und Bahr fand ich aber nach wie vor absolut richtig, zumal sie – wiederum persönlich als nunmehr Student in Westberlin – dank Transit,-und Passierscheinabkommen konkrete Reisereleichterungen mit sich brachte. Dass die deutsche Wiedervereinigung 1989 so nicht stattgefunden hätte ohne diese frühe Ostpolitik, für die Egon Bahr das Motto “Wandel durch Annäherung” prägte, wird in den Nachrufen auf das sozialdemokratische “Urgestein” sicher überall vermerkt. Weniger aber wird wohl die Frage gestellt werden, warum eigentlich auf diesen visionären”Architekten”, “Baumeister” und “Wegbereiter” einer friedensfördernden und  erfolgreichen Politik in der SPD niemand mehr hört. Nötig wäre das angesichts der fatalen Rusland,- und Ukrainepolitik allemal.

Weil ich ihn in unserem Buch “Wir sind die Guten” zweimal zitiert hatte, schickte ich Egon Bahr ein Exemplar in sein Büro im SPD-Haus – und fiel fast vom Hocker als er mich Anfang März anrief und sagte: “Ich habe ihr Buch gelesen und finde es großartig. Habe viel darin gelernt.” – “Herr Bahr, ich werde rot”, sagte ich, “dass ein junger Spund einem alten Meister wie ihnen…” – “Wie alt sind Sie denn ?”  – “60” – Na dann sind Sie ja wirklich ein junger Spund. Aber alt genug. Als Brandt mich zum ersten Mal mit nach Bonn zu Adenauer mitnahm, sagte der: `Politiker unter 50 sind nicht ernst zu nehmen, die sind noch in der Pubertät´, was mich maßlos aufregte. Heute würde ich sagen, er hatte recht.” Nach dem Lacher sprachen wir noch ernst und fast eine halbe Stunde über die politische Lage und Bahr erzählte, dass er gerade an einer Rede schreibe, zu der er Ende März von der Deutsch-Russischen-Gesellschaft eingeladen worden sei. “Ich fahre aber jetzt erst mal in Urlaub und weiß nicht, ob ich sie überhaupt halten werde.” – “Warum nicht?” – “Die Lage ist brisant, wenn sie weiter eskaliert sind Jahrzehnte der Ostpolitik in Trümmern. Und auf einem Scherbenhaufen will ich nicht reden.”

Egon Bahr hat diese Rede dann – nach dem Minsker Abkommen –  Ende März gehalten. Bettina Gaus, deren Vater ein lebenslanger Freund Bahrs war, mußte sie für den Abdruck in der taz kürzen und sich das OK für die Streichungen einholen. Darüber und über Egon Bahrs Kichern hat sie in ihrem Nachruf geschrieben: “Möglichkeiten, immer und überall”.

7 Comments

  1. Bahr war einer der wenigen aus der politischen Klasse, dessen Ableben ich ehrlich bedaure. Er hatte Erfolg, weil er Realist und nicht Ideologe war: “In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.”

    Warum man jetzt nicht mehr auf ihn gehört hat? Er hat sich mit der Friedens- und Ostpolitik für deutsche Interessen eingesetzt (die Amis waren darüber nicht so glücklich). Heute ist politischer Konsens, dass genau dies unschicklich ist (Merkel: “Ein deutscher Weg ist immer der falsche Weg.”). http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Sicherheitskonferenz/2004-merkel.html

    Daraus folgt: Wenn die “anderen” aka “westliche Wertegemeinschaft”, für deren “richtigen Weg” man sich stattdessen meint einsetzen zu müssen, heute Spannungs- und Kriegspolitik betreiben, dann wird man sich – jener eigenwilligen Logik folgend – auch daran beteiligen.

    Anders als für Bahr gilt für die politische Klasse heute: Hauptsache “korrekt”, Hauptsache mainstream, Hauptsache keinen Ärger.

  2. Ich habe Egon Bahr geschätzt,obgleich uns politi-
    sche Welten trennten.Friede seiner Asche und mein
    Mitgefühl für die Hinterbliebenen.

  3. Chapeau, Herr Bröckers, von einem wie Egon Bahr geschätzt zu werden – das kann man als Autor politischer Bücher als echten Ritterschlag verbuchen. Dass er einer der hellsten Köpfe unter den Politikern des letzten halben Jahrhunderts war wird aus den Würdigungen zu seinem Tod ja allenthalben deutlich.

    Nach wie vor interessant ist, was Bahr über die sog. “Kanzleakte” schrieb, deren Existenz offiziell bestritten wird

    http://www.zeit.de/2009/21/D-Souveraenitaet

    Die aktuelle, äußert “nicht-souveräne” Politik der Bundesregierung scheint dafür zu sprechen, dass es einen solchen Geheimvertrag sehr wohl gibt und er auch mit den 2+4-Verträgen nicht obsolet geworden ist

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