Entwicklungsministerin Schulze warnt: „Größte Hungersnot seit dem 2. Weltkrieg“

Sie fürchtet Millionen Tote als Folge von Putins Krieg

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (53, SPD) in ihrem Büro. Im Hintergrund hängt die Uno-Flagge

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (53, SPD) in ihrem Büro. Im Hintergrund hängt die Uno-Flagge

Foto: Niels Starnick / BILD
Von: Thomas Block und Angelika Hellemann

Eigentlich ist Svenja Schulze ein fröhlicher Mensch. Doch Putins furchtbarer Krieg in der Ukraine und die Hungerfolgen in der Welt nehmen die Entwicklungsministerin spürbar mit.

Als wir sie am Donnerstag in ihrem Berliner Ministerium zum Interview treffen, lächelt sie zwar noch höflich, aber ihre berühmte gute Laune ist einem stillen Ernst gewichen.

Die Ministerin im Gespräch mit den BILD am SONNTAG-Reportern Angelika Hellemann und Thomas Block

Die Ministerin im Gespräch mit den BILD am SONNTAG-Reportern Angelika Hellemann und Thomas Block

Foto: Niels Starnick / BILD

BILD am Sonntag: Frau Schulze, was tun Sie konkret, um den Menschen in der Ukraine zu helfen?

Svenja Schulze: „Mir ist es wichtig, dass Deutschland die Ukraine nicht nur militärisch unterstützt, sondern auch das Leben für die Menschen erträglicher macht. Dafür haben wir jetzt das Sofortprogramm für die Ukraine von 122 Millionen auf 185 Millionen Euro aufgestockt. Damit wird die Trinkwasserversorgung wiederhergestellt, werden zerstörte Wohnungen, Schulen und Kindergärten wiederaufgebaut."

Die USA haben der Ukraine 31 Milliarden Euro zugesagt. Finden Sie Ihre 185 Millionen Euro daran gemessen nicht peinlich?

Schulze: „Keineswegs. Die 185 Millionen Euro sind nicht nur versprochen, sondern vom Entwicklungsministerium für konkrete Projekte fest eingeplant. Andere Ministerien geben noch mehr und auch wir werden noch mehr tun. Wo keine Bomben mehr fallen, wird auch Deutschland sich mit Milliarden am Wiederaufbau beteiligen. Mein Ministerium bereitet sich schon darauf vor.“

Der Krieg zerstört auch weite Teile der Weizenernte der Ukraine, die die Kornkammer der Welt ist. Droht jetzt eine globale Hungerkrise?

Schulze: „Die Lage ist hochdramatisch. Durch Corona, extreme Dürren und jetzt den Krieg haben sich die Lebensmittelpreise weltweit um ein Drittel erhöht und sind jetzt auf Rekordniveau. Das Welternährungsprogramm geht derzeit von weit mehr als 300 Millionen akut hungernden Menschen aus und muss seine Prognosen ständig nach oben korrigieren. Die bittere Botschaft ist: Uns droht die größte Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten.“

Vor den Augen seiner ElternDenis (†15) in Ukraine durch Granate zerfetzt

Quelle: BILD

Ist es in Ordnung, wenn wir unser Getreide zu Öko-Benzin verarbeiten, wenn woanders auf der Welt die Menschen hungern?

Schulze: „Nein! Niemand will beim Tanken dafür verantwortlich sein, dass der Hunger auf der Welt verschärft wird. Es muss aufhören, dass wir Lebensmittel in den Tank packen – egal ob Weizen, Palmöl, Raps oder Mais. 4,4 Prozent im Sprit sind Nahrungs- und Futtermittel. Das gehört auf null runtergefahren – nicht nur in Deutschland, sondern möglichst international. Wir kippen in Deutschland Kraftstoff aus Pflanzenölen im Umfang von 2,7 Milliarden Litern pro Jahr in die Autotanks. Das entspricht fast der halben Sonnenblumenölernte der Ukraine.“

Welche Rolle spielt Russen-Tyrann Wladimir Putin bei der drohenden Hungerkrise?

Schulze: „Putin führt Krieg mit dem Hunger. Er nutzt aus, dass viele Länder auf der Welt abhängig sind von russischen und ukrainischen Agrarprodukten. Er hat Getreide aus der Ukraine gestohlen und wird es nur mit Ländern teilen, die sich zweifelsfrei zu Russland bekennen. Auf der UN-Vollversammlung haben 40 Länder, in denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, Putins Angriffskrieg nicht verurteilt. Das ist auch ein konkretes Ergebnis der Erpressbarkeit durch Lebensmittel.“

Sollte Deutschland Ländern, die sich nicht von Putin abwenden, die Entwicklungshilfe streichen?

Schulze: „Im Gegenteil: Jedes Land, das wir nicht für uns gewinnen, treiben wir in die Arme von Russland. Das kann nicht der Weg sein. Wir müssen so viele Länder wie möglich unabhängig von Putin machen. Deshalb habe ich gerade erst zusätzliche 50 Millionen Euro für Moldau und 27 Millionen Euro für Georgien bewilligt. Moldau ist extrem abhängig von russischem Strom und Gas und beide Länder haben zu Recht große Angst vor russischer Aggression.“

Teaser-Bild

Foto: BILD

Indonesien hat Russland jetzt sogar zum G-20-Treffen eingeladen. Werden Sie sich da ganz normal mit Ihrem russischen Amtskollegen an einen Tisch setzen?

Schulze: „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Als der Vizefinanzminister aus Russland kürzlich bei der Weltbanktagung geredet hat, habe ich mit meinen Kollegen den Saal verlassen.“

Kann es je wieder eine normale Zusammenarbeit mit Putin geben?

Schulze: „Normal sicher nicht. Wie das Verhältnis zu Russland künftig sein wird, kann heute seriös keiner sagen. Wenn man den Maßstab anlegt, dass wir nur mit Demokratien zusammenarbeiten, bekomme ich in der Entwicklungszusammenarbeit arge Probleme. Klar ist: Solange dieser brutale Angriffskrieg tobt, verbietet sich eine Zusammenarbeit mit Putin.“

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