1 Einleitung

Die sozialwissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahren vielfach herausgearbeitet, dass das Schichtungsgefüge fortgeschrittener westlicher Gesellschaften in einem Wandel begriffen ist, der zu steigender Ungleichheit führt (z. B. Alderson et al. 2005; Atkinson und Brandolini 2011; Piketty 2014). Als ein wesentlicher Grund für diesen Prozess gelten die wirtschaftlichen Prozesse der Tertiarisierung und Globalisierung, welche zu einem Verlust gut bezahlter Industriejobs und zu einem Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung geführt haben (Dallinger 2013; Lucifora et al. 2005). Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft erhöht jedoch auch die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften (Acemoglu 2002; Autor et al. 2006; Buera und Kaboski 2012; Esping-Andersen 2007). Beide Entwicklungen führen dazu, dass die Mittelschicht in vielen westlichen Gesellschaften (stark) geschrumpft ist (u. a. Böhnke 2010; Foster und Wolfson 2010; Grabka und Frick 2008; Groh-Samberg et al. 2014; Massari et al. 2009; Mau 2012; Whelan et al. 2017).

Einen besonderen Stellenwert haben diese Entwicklungen in den Debatten der Stadtforschung eingenommen (u. a. Boterman et al. 2018; Butler 2003; Hamnett 2015; May et al. 2007; Savage et al. 2013). Die Polarisierung des Arbeitsmarktes (Sassen 2016; Tai 2006) und daraus resultierende Einkommensunterschiede (Burgers und Musterd 2002; Goebel et al. 2012; Hamnett 1994) sind in den Städten am deutlichsten ausgeprägt. Die Folgen sind wachsende Ungleichheit und eine zunehmende soziale Polarisierung städtischer Gesellschaften (Burgers und Musterd 2002; Goebel et al. 2012; Musterd et al. 2017). Das Ausmaß dieser Polarisierung ist jedoch umstritten. In zahlreichen Städten ist auch das Entstehen neuer Mittelschichten feststellbar (Hamnett 2015, S. 240). Zudem haben Städte die Möglichkeit, ökonomische Prozesse durch lokale Politik zu beeinflussen und der wachsenden Ungleichheit entgegen zu wirken (Le Galès 2002; Musterd und Ostendorf 2013).

Mit den vorliegenden Ausarbeitungen wollen wir zu dieser Diskussion beitragen, indem wir die Entwicklung der migrantischen Mittelschicht im urbanen Raum thematisieren. Einige Studien haben bereits explizit auf den Bedarf einer systematischen Untersuchung des Wandels der städtischen Sozialstruktur unter spezifischer Berücksichtigung des Faktors Migration hingewiesen (z. B. Bailey et al. 2017; Hamnett 2015; May et al. 2007; Watt 2008). Diese Studien zeigen, dass internationale Migration entscheidend zur Polarisierung der sozialen Schichtung im urbanen Raum beiträgt (McDowell et al. 2009; Tai 2006).Footnote 1 Wir wollen diesen Zusammenhang am Beispiel Wiens mithilfe von umfassenden statistischen Analysen detailliert untersuchen.

Wien ist für eine solche Untersuchung aus verschiedenen Gründen ein interessanter Fall. Zum einen hat die Stadt durch neue Formen der Zuwanderung in den letzten zwei Dekaden einen starken Bevölkerungszuwachs erlebt. Rund 29 % der in Wien lebenden Menschen sind keine österreichischen Staatsbürger, 1995 lag dieser Bevölkerungsanteil noch bei weniger als 12 %. Diese demografische Entwicklung korrespondiert mit einem Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, der für den Wiener Arbeitsmarkt massive Folgen hatte (Fassmann et al. 2009, S. 31; Stadt Wien 2016a). Aktuell sind nur noch 7,5 % der Erwerbstätigen in der Industrie tätig, damit gingen seit 1995 etwa 83.000 Industriejobs verloren,Footnote 2 gleichzeitig hat die Einkommensungleichheit in Wien stetig zugenommen (Aschauer et al. 2012, S. 62; Görgl et al. 2011). Wien spiegelt auch den internationalen Trend, dass Migranten von negativen Folgen ökonomischer Krisen besonders betroffen sind (z. B. Leschke und Galgögczi 2015; Lohmann 2010), wider: 40 % der Arbeitslosen in Wien besitzen eine ausländische Staatsbürgerschaft (AMS 2016). Der Anteil der Migranten nahm zwar in den letzten 20 Jahren in hoch qualifizierten Berufen und Berufen mit Managementaufgaben überproportional stark zu, doch Migranten gehen auch überdurchschnittlich häufig Hilfsarbeitstätigkeiten nach (Fritsch et al. 2018).Footnote 3 Damit ist die wachsende Zuwanderung in Wien ein substanzieller Faktor für die Restrukturierung des Schichtungsgefüges der Stadt.

In unserer Untersuchung wollen wir erörtern, welche Folgen die Veränderung der Migrationsströme für das städtische Schichtgefüge hat. Damit verknüpft beschäftigen wir uns mit der Frage, welche spezifische Relevanz Faktoren wie regionale Herkunft, (Aus)Bildung oder Sprachkenntnisse, aber auch verschiedene Facetten der Arbeitsmarktintegration für das Erreichen unterschiedlicher sozialer Positionen für Migranten besitzen. Der dazu herangezogene Datensatz zur Lebenssituation der Wiener Stadtbevölkerung in den Jahren 2003 und 2013 zeichnet sich durch Repräsentativität für die Wohnbevölkerung der Stadt, eine für detaillierte Analysen ausreichend hohe Fallzahl bei Personen mit Migrationshintergrund (n > 2000 pro Welle) und die Erfassung einer Vielzahl an migrationsspezifischen Charakteristika (z. B. Herkunft, Sprachkenntnisse) aus.

2 Literaturüberblick, Theorie und Hypothesen

2.1 Migration und der Wandel der Schichtung in der Stadt

Die Frage der Umwälzung des Schichtungsgefüges im Zuge von Tertiarisierung, Globalisierung und demografischem Wandel ist mittlerweile zu einem der dominanten Themen der Stadtforschung geworden (Burgers und Musterd 2002; Butler 2003; Hamnett 2015; Savage et al. 2013). Die entsprechende Debatte geht auf die von Friedmann (1986) und Sassen (1991) vertretene „Polarisierungsthese“ zurück. Dieser These zufolge benötigt der städtische Arbeitsmarkt auf der einen Seite hochqualifizierte Fachkräfte und auf der anderen Seite „preiswerte“ Arbeitskräfte mit geringen Qualifikationen (Burgers und Musterd 2002; Goebel et al. 2012; Tai 2006), was zu wachsenden Einkommensunterschieden und einer Polarisierung der sozialen Schichtung führt. Jene Mittelschichten, die einst das Rückgrat der industriellen Konsumgesellschaft bildeten, verlieren demnach an Bedeutung: „What [the city] needs least are the traditional modest middle classes so central to the era when mass consumption was the dominant logic“ (Sassen 2016, S. 98).

Friedmann (1986) und Sassen (1991) haben bereits früh die Bedeutung der Migration für die Re-Strukturierung und Polarisierung der urbanen Sozialstruktur hervorgehoben, was nur mit einer gewissen Verzögerung als Thema durch die empirische Forschung aufgegriffen wurde (Sanderson et al. 2015).Footnote 4 Großstädte nehmen in der Regel unterschiedliche Gruppen von Migranten auf, die sowohl die Nachfrage nach hochqualifizierten als auch nach geringqualifizierten Arbeitskräften bedienen. Dieser Zuzug kann die Polarisierung der sozialen Schichtung im urbanen Raum beschleunigen (McDowell et al. 2009; Tai 2006). Zwar sind Migranten an europäischen Arbeitsmärkten traditionell benachteiligt (Kalter und Granato 2018; Leschke und Galgögczi 2015), doch versuchen Städte wie Wien mittlerweile gezielt, hochqualifizierte Fachkräfte anzuziehen (Ewers 2007; OECD 2008; Reiner et al. 2017; Tai 2006). Unterschiedliche Charakteristika verschiedener Migrantengruppen führen jedoch zu unterschiedlichem Erfolg am städtischen Arbeitsmarkt und zu Spaltungen innerhalb der migrantischen Arbeitskräftepopulation (Davidson und Wyly 2012; McDowell et al. 2009; OECD 2018). Für Europa kann festgehalten werden, dass hochqualifizierte Migranten überwiegend aus (anderen) EU-Mitgliedsstaaten sowie Nordamerika kommen, während geringqualifizierte Migranten häufig aus der Türkei, dem Mittleren Osten oder Nordafrika stammen (Kalter und Granato 2018; OECD 2018). Vor diesem Hintergrund wollen wir in unserem Beitrag die Rolle von Migrationsdynamiken für die soziale Schichtung Wiens in den Mittelpunkt unserer Analysen rücken. Zu diesem Zweck berücksichtigen wir neben arbeitsmarktbezogenen Entwicklungen auch migrationsspezifische Indikatoren (wie z. B. regionale Herkunft und den Bildungsstand unterschiedlicher Migrantengruppen).

Erste Befunde zu Wien führen die Relevanz von Migration für die Veränderung der Schichtung bereits deutlich vor Augen. Mehrere Zuwanderungswellen haben die Stadt im letzten Vierteljahrhundert stark geprägt (Abb. 1 verdeutlicht die damit einhergehende Veränderung der Wiener Bevölkerung): Während in den 1990er Jahren zunächst vor allem Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Nachzug der Angehörigen früherer türkischer Migranten zu einem städtischen Bevölkerungswachstum führten, nahm ab der Jahrtausendwende der Anteil der EU-Bürger stark zu (Stadt Wien 2016b). Dabei handelte es sich primär um Menschen aus Ländern wie Deutschland, Polen oder Rumänien, die in der Regel wesentlich besser ausgebildet waren als frühere Generationen von Arbeitsmigranten. Auch die Zuwanderung nach Wien aus Drittstaaten nimmt seit 1990 kontinuierlich zu.

Abb. 1
figure 1

Die Entwicklung der Wiener Bevölkerung nach Staatsbürgerschaft 1990–2017. Quelle: Verwiebe et al. (2015, S. 27; adaptierte Darstellung)

Parallel zur Veränderung der Zuwanderung und der migrantischen Population nahm der Anteil der Mittelschicht in Wien seit Anfang der 2000er Jahre je nach Datenquelle um fünf bis zehn Prozentpunkte ab (von rund 46 auf unter 40 %; vgl. Online Appendix A 1.3). Die Gruppe der Migranten war jedoch wesentlich stärker vom Schrumpfen der Mittelschicht betroffen als Einheimische: Während der Anteil der Mittelschicht, EU-SILC Daten zufolge, zwischen 2004 und 2015 unter den in Österreich geborenen Personen nur von 47 auf 45 % abnahm, fiel er bei im Ausland Geborenen um dreizehn Prozentpunkte (von 43 auf 36 %).

2.2 Mögliche Ursachen für das Schrumpfen der migrantischen Mitte in Wien

Um mögliche Ursachen für das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht erörtern zu können, soll in diesem Abschnitt zunächst dargelegt werden, warum bestimmte Faktoren für die Schichtung von Relevanz sind, bevor zeitliche Veränderungen thematisiert und mögliche Entwicklungen in Wien diskutiert werden. Theoretische Überlegungen werden zu zwei Klassen von Faktoren vorgebracht, die Veränderungen der Mittelschicht in der Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund bewirken könnten: migrationsspezifische Faktoren auf der einen und arbeitsmarktbezogene Faktoren auf der anderen Seite. Damit fokussieren wir auf zwei zentrale Erklärungsebenen, die in der Migrationsforschung als relevant gelten (in den empirischen Analysen wird für weitere Einflussgrößen kontrolliert).

Zu den migrationsspezifischen Faktoren zählen zunächst Aufenthaltsdauer und rechtlicher Status (Staatsbürgerschaft). In der Literatur wird unter anderem angenommen, dass solche integrationsfördernde Faktoren einen positiven Einfluss auf die Schichtzugehörigkeit haben. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer verstärkt sich die Akkulturation und Einbindung in soziale Netzwerke, wodurch Migranten bessere Positionen im Schichtungsgefüge einnehmen können (Kalter und Granato 2002; Siegert 2013, S. 177 f.). Die Erlangung einer österreichischen Staatsbürgerschaft sorgt zudem für einen Wegfall rechtlicher Hürden. Sie erleichtert daher die Partizipation am Arbeitsmarkt (Zimmermann 2005) und gewährleistet darüber hinaus vollen Zugang zu wohlfahrtsstaatlichen Leistungen (Lohmann 2010, S. 25). Die zweite Generation, bereits in Österreich aufgewachsene Kinder von Migranten, besitzt im Vergleich zur ersten Generation häufiger die österreichische Staatsbürgerschaft, einen österreichischen Bildungsabschluss und ein regionales Netzwerk, die die Aufnahme von Erwerbstätigkeit erleichtern. Sie sollte daher seltener von sozialem Abstieg betroffen sein als die Generation ihrer Eltern.

Relevant ist zudem das Herkunftsland von Migranten. Personen aus der Türkei sowie den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens besitzen eine lange Tradition der Immigration nach Wien, die auf die Anwerbeabkommen aus den 1960er Jahren zurückzuführen ist (Bauer 2008; Gächter 2008). Im Gegensatz zu den Gastarbeitern der 1960er und 1970er Jahre sind diese Migrantengruppen inzwischen jedoch nicht mehr in vergleichbarem Ausmaß in gut bezahlten Industriejobs tätig (Giesecke und Verwiebe 2010; Wiedner und Giesecke 2017). Die Bürgerkriegsflüchtlinge der 1990er Jahre und durch Familienzusammenführungen eingewanderte Angehörige von Migranten aus der Türkei haben Schwierigkeiten, am Wiener Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Vor allem türkische Migranten leiden unter Bildungsnachteilen und stärkerer Diskriminierung (Dietze 2009; Verwiebe et al. 2016). Ihr Einkommen liegt rund ein Drittel unter dem Durchschnitt (vgl. Stadt Wien 2014; Statistik Austria 2015) und bestehende Benachteiligungen vergrößern sich in wirtschaftlichen Krisen oftmals. Ein Grund dafür ist auch, dass in diesen Gruppen die weibliche Erwerbstätigkeit, insbesondere bei Frauen aus der Türkei und Bosnien, sehr gering ist (Stadt Wien 2016a). Besonders problematisch ist die Arbeitsmarktlage zudem für Migranten aus Drittstaaten (ausgenommen USA, Kanada, Australien). Nur 56 % der Personen, die über einen Bildungsabschluss aus einem Drittstaat verfügen, sind erwerbstätig (Stadt Wien 2016a). Gerade die Anerkennung von Ausbildungstiteln stellt für diese Gruppe ein großes Problem dar. Migranten aus Drittstaaten üben daher häufig Tätigkeiten aus, für die sie (gemäß ihrer Ausbildung) überqualifiziert sind (Leschke und Galgögczi 2015; OECD 2018). Migranten aus EU-Staaten haben hingegen aufgrund des EU-Rechts einen besseren Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt als andere Migranten. Sie verfügen im Durchschnitt über höhere Qualifikationen als die einheimische Bevölkerung (Stadt Wien 2016b, 2016a; Verwiebe et al. 2015) und erzielen häufig auch höhere Einkommen (vgl. Stadt Wien 2014; Statistik Austria 2015). Die Charakteristika unterschiedlicher Migrationsgruppen lassen daher vermuten, dass in Wien überwiegend türkische und ex-jugoslawische Personen sowie Migranten aus Drittstaaten vom gesellschaftlichen Abstieg bedroht sind.

Wie viele Studien immer wieder bestätigen, ist auch das durch (Aus)Bildung erworbene Humankapital für den Status einer Person von entscheidender Bedeutung.Footnote 5 Es sind in erster Linie gering qualifizierte Personen, die von sozialem Abstieg bedroht sind (Mohr 2007). Höhere Bildung geht mit höheren Gehältern, verminderten Risiken temporärer Beschäftigung sowie geringerer Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung einher (z. B. Abrassart 2013; Vandecasteele 2011). Für Migranten ist Bildung am Arbeitsmarkt vermutlich noch zentraler als für Menschen ohne Migrationshintergrund, um migrationsbedingte Nachteile aus kultureller Fremdheit oder fehlenden sozialen Beziehungen vor Ort kompensieren zu können. Da gesellschaftliche Positionen zu einem guten Teil „vererbt“ werden, stellt Bildung für die Kinder der Einwanderer zudem oft die entscheidende Möglichkeit dar, einer höheren Schicht anzugehören als ihre Eltern (Esser 2006; King 2009).

Essentiell für die Positionierung am Arbeitsmarkt und innerhalb der sozialen Schichtung erscheint zudem der Erwerb der jeweiligen Sprache des Einwanderungslandes. Sprachdefizite erschweren die Nutzung des ansonsten vorhandenen Humankapitals (z. B. Fachausbildung) (Esser 2006; Riesenfelder et al. 2011). Ein Problem der Nutzbarmachung des eigenen Humankapitals stellt für die erste Generation des Weitereren die fehlende Anerkennung von im Herkunftsland erworbenen Bildungsabschlüssen dar (Nohl 2010; Riesenfelder et al. 2011). Die Anerkennung von Bildungstiteln aus EU-Mitgliedstaaten ist in der Regel einfacher als jene von Zertifikaten aus Drittstaaten. Doch selbst wenn Bildungsabschlüsse Migranten weniger gut vor Armut schützen als Personen ohne Migrationshintergrund (z. B. King 2009), so sind dennoch gerade mit geringer Bildung ausgestattete Migranten von größeren Armuts- und Abstiegsrisiken betroffen (Verwiebe 2010). Dies zeigt sich für Wien, wo es durch die Integration gut ausgebildeter neuer Migranten am Arbeitsmarkt zu einer Verdrängung traditioneller Einwanderungsgruppen kommt, deren Qualifikationen in der Regel geringer sind.

Zu den arbeitsmarktrelevanten Faktoren zählen schlussendlich auch Erwerbsintensität, berufliche Position und Branchenzugehörigkeit. Art und Ausmaß der Erwerbstätigkeit ist entscheidend dafür, ob ein Abrutschen in Armut – und somit in untere gesellschaftliche Schichten – verhindert werden kann (McKernan und Ratcliffe 2005). Viele Migranten finden sich jedoch in schlecht entlohnten Dienstleistungstätigkeiten wieder oder arbeiten in Branchen (Hotellerie, Bau), in denen die Reallohnentwicklung stagniert (Fritsch et al. 2018).Footnote 6 Der Wiener Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten zudem durch den Zuwachs an Teilzeitbeschäftigungen und Formen atypischer Beschäftigungen stark verändert. Zusätzlich sind viele Migranten seit 2011 wachsender Konkurrenz durch grenzüberschreitende Pendler ausgesetzt, die in der Regel besser ausgebildet und aufgrund der zumeist niedrigeren Lebenserhaltungskosten in ihren Herkunftsländern (z. B. Ungarn, Slowakei) auch bereit sind, niedrigere Löhne zu akzeptieren (Verwiebe et al. 2017; Wiesböck et al. 2016). Sie verdrängten in Wien lebende, geringer qualifizierte Migranten vom Wiener Arbeitsmarkt und sorgten für einen Anstieg der Arbeitslosigkeit (Schiman 2018).

Zusammenfassend formulieren wir vor dem Hintergrund der hier dargestellten Veränderungsprozesse und Wirkmechanismen drei Hypothesen, die das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht Wiens betreffen. Hypothese H 1 hat die Veränderung der Migrationsströme zum Gegenstand: Wir nehmen an, dass der Rückgang der Mittelschicht vor allem auf den Abstieg von Migrantengruppen aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien (H 1a) sowie Personen aus Drittstaaten (H 1b) zurückführen ist, nicht aber auf neuere Zuwanderergruppen aus den EU-Mitgliedstaaten (H 1c). Letztere sollten aufgrund ihrer hohen Qualifizierung und des leichteren Arbeitsmarktzugangs weniger stark von den Folgen der Wirtschaftskrise und den Verdrängungseffekten am Wiener Arbeitsmarkt betroffen sein. Die Hypothesen 2 und 3 beziehen sich auf arbeitsmarktrelevante Faktoren: Wir gehen zum einen davon aus, dass Unterschiede nach Herkunftsgruppen zum größten Teil auf diese Faktoren zurückzuführen sind (H 2).Footnote 7 In anderen Worten: Nicht die Herkunftsregion an sich bewirkt die Zugehörigkeit zu unteren Gesellschaftsschichten, sondern vielmehr Faktoren wie das Fehlen einer passenden Ausbildung, mangelnde Sprachkenntnisse, höhere Erwerbslosigkeit oder die Tätigkeiten in bestimmten Branchen. Zum anderen nehmen wir in diesem Zusammenhang an, dass zwei Entwicklungen am städtischen Arbeitsmarkt entscheidend beeinflusst haben, wie sich die Schichtung verändert hat (H 3). Die steigende Relevanz der Humankapitalausstattung dürfte nur hochqualifizierte Migranten begünstigt und vor dem sozialen Abstieg bewahrt haben (H 3a), während der Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse (u. a. der Teilzeitbeschäftigung) ein Hauptgrund für das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht darstellen könnte (H 3b).

3 Empirische Datenbasis und Methodik

3.1 Daten und Variablen

Für die folgenden Analysen werden zwei Datensätze herangezogen: Leben und Lebensqualität in Wien (LLQW 2003) und Sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung für Wien (SOWI 2013). Die Erhebungen fanden zwischen Mai und Oktober 2003 bzw. Oktober 2012 und Juli 2013 statt. Die Stichprobenziehung folgte einem RDD-Verfahren (Random Digit Dialing) unter Einbezug von Handynummern. Es wurden 8000 bzw. 8100 CATI-Interviews in deutscher Sprache und jeweils 300 CATI-Interviews in der Muttersprache von Personen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien geführt. Die Daten sind für die Wiener Bevölkerung ab 15 Jahren repräsentativ und die Fallzahlen von Personen mit Migrationshintergrund mit 2081 Personen 2003 und 2490 Personen 2013 für regionale Umfragen sehr hoch. Die Schätzung der Schichtzugehörigkeit von im Ausland geborenen Personen weicht nur geringfügig von den mit EU-SILC erzielten Ergebnissen ab.Footnote 8 Im Gegensatz zu EU-SILC erlauben die verwendeten Daten zu Wien detailliertere Betrachtungen nach Merkmalen wie der Herkunftsregion, Staatsbürgerschaft, Einbürgerung oder Sprachkenntnissen.

Zur Messung der Schichtzugehörigkeit greifen wir auf ein etabliertes Konzept zurück (Atkinson und Brandolini 2011; Burkhardt et al. 2013; Grabka und Frick 2008). Ausgangspunkt ist das jährlich verfügbare Haushaltsnettoeinkommen, das nach Anzahl der im Haushalt lebenden Erwachsenen und Kinder gewichtet wird. Auf Basis dieses äquivalisierten Haushaltseinkommens wird der österreichweite Median gebildet. Der Mittelschicht werden in der Folge Personen zugeordnet, deren Einkommen bei mehr als 80, aber unter 140 % des Medianeinkommens liegt (für das Medianeinkommen der Referenzjahre siehe Till-Tentschert et al. (2004) und Statistik Austria (2014a)). Oberhalb der Mitte findet sich die obere Mittelschicht (140 bis 200 % des Medianeinkommens) und die Oberschicht (über 200 % des Medianeinkommens). Dazu kommen die untere Mittelschicht (60 bis 80 % des Medianeinkommens) und die Unterschicht oder Schicht der Armutsgefährdeten (unter 60 % des Medianeinkommens).

Migrationsbezogene Faktoren. Die Herkunft der befragten Personen wurde anhand des Geburtslandes der Person selbst (bei der 1. Generation) oder ihrer Eltern (bei der 2. Generation) festgestellt und in fünf Kategorien erfasst: (1) Türkei, (2) Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (inkl. den EU-Staaten Slowenien und Kroatien), (3) EU-Mitgliedstaaten ab 1995, (4) sonstige EU-Mitgliedstaaten der Osterweiterung 2004 oder 2007, (5) Drittstaaten. Eine Person wird dann zur 1. Generation gezählt, wenn sie selbst im Ausland geboren wurde. Die 2. Generation umfasst Kinder von zugewanderten Personen, die aber selbst in Österreich zur Welt gekommen sind (zumindest ein Elternteil im Ausland geboren). Bei der Staatsbürgerschaft der Befragten werden drei Kategorien differenziert: (a) österreichisch seit Geburt, (b) durch Einbürgerung oder (c) Staatsbürgerschaft einer anderen Nation. Im Jahr 2013 wurden zudem die Sprachkenntnisse jener Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, anhand zweier Fragen erhoben: (a) Können Sie in Deutsch sehr gut, gut, mittelmäßig, eher schlecht oder gar nicht sprechen? (b) Können Sie in Deutsch sehr gut, gut, mittelmäßig, eher schlecht oder gar nicht schreiben? (jeweils 1 = sehr gut, 5 = gar nicht). Die Kombination aus beiden Antworten wurde herangezogen, um die Sprachkenntnisse wie folgt zu kategorisieren: (a) schriftlich und mündlich sehr gut, (b) schriftlich und mündlich gut (Durchschnitt von 1,5 bis 2,5), (c) mittelmäßig bis schlecht (Durchschnitt höher als 2,5).

Arbeitsmarktrelevante Faktoren. Der höchste Schulabschluss wird in vier Kategorien erfasst: (a) kein Abschluss oder Pflichtschulabschluss, (b) Lehrausbildung oder berufsbildende mittlere Schule, (c) höhere allgemein oder berufsbildende Schule oder Meisterschule, (d) Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Die Erwerbsintensität wird für selbständig tätige Personen sowie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer in den Kategorien Vollzeit (mehr als 36 h pro Woche) und Teilzeit (bis zu 36 Wochenstunden) erfasst. Bei nicht erwerbstätigen Personen wird zwischen Arbeitslosen, Personen in Pension (Rente), in Ausbildung (Auszubildende, Schüler, Studierende) und Sonstigen (Personen in Karenz, Hausmänner und Hausfrauen etc.) differenziert. Beim Berufsstatus wird zwischen freiberuflich tätigen Personen, selbständig tätigen Personen, kleinen und mittleren Angestellten, hochqualifizierten Angestellten, Facharbeitern und Hilfsarbeitern unterschieden. Nach Branchen differenziert wird (allerdings nur in der Erhebung 2013) zwischen (1) Fischerei, Land- und Forstwirtschaft, (2) Energie‑, Wasser- und Baugewerbe, (3) Handel, (4) Gastgewerbe, (5) Information und Kommunikation, (6) Finanzdienstleistungen sowie wirtschaftsnahe Dienstleistungen, (7) Öffentliche Verwaltung, Unterricht etc., (8) Gesundheits- und Sozialwesen, (9) Sonstige Dienstleistungen, (10) Anderes (inkl. verarbeitendes Gewerbe). Nachdem für Österreich Niedriglohnbeschäftigung häufig im Handel festgestellt wurde, dient dieser als Referenz, die mit anderen Wirtschaftsbereichen verglichen wird. Von Interesse für die Betrachtung sind dabei vor allem das Gastgewerbe, in dem ähnliche Bedingungen vorherrschen sollten, sowie die Finanzdienstleistungen und andere wirtschaftsnahe Bereiche, die ganz andere Beschäftigungsbedingungen aufweisen.

Das vorhandene Sample spiegelt einige wesentliche Entwicklungen der Zuwanderung und des Arbeitsmarktes in Wien. So hat vor allem auch der Anteil an Migranten aus den alten und neuen EU-Mitgliedstaaten zugenommen (von 19 auf 30 bzw. von 22 auf 29 %), während der Anteil der Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zurückging (von 28 auf 18 bzw. 18 auf 13 %). Migranten und ihre Kinder sind im Jahr 2013 im Durchschnitt höher gebildet als noch 2003. Allein der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss stieg von 16 auf 29 % an. Auch andere Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich im Sample, etwa ein Rückgang bei den Anteilen von Vollzeitbeschäftigten und Arbeitern, sowie ein Zuwachs sowohl bei niedrigqualifizierten als auch bei hochqualifizierten Angestellten (für Details s. Online-Anhang, Abschn. A2).

3.2 Analysestrategie und Methoden

Um Hypothese H 1 zu prüfen, werden in deskriptiven Analysen in einem ersten Schritt zwischen 2003 und 2013 stattgefundene Veränderungen im Schichtgefüge unter Personen mit Migrationshintergrund nach Herkunftsregionen analysiert. Zur Erklärung des Schrumpfens der Mittelschicht (Hypothese H 1 bis H 3) werden in der Folge logistische Regressionsmodelle geschätzt. In den Tabellen werden aus den Modellen resultierende Average Marginal Effects (AME) präsentiert, da diese am ehesten über verschiedene Modelle hinweg vergleichbar sind (siehe Best und Wolf 2012). Ein AME gibt den durchschnittlichen Effekt einer Variablen auf die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Schicht anzugehören wieder.

Um die Rolle der Herkunft der Migranten für die Veränderung der Schichtung genauer zu beleuchten (Hypothese H 2), wird der Unterschied zwischen der Schichtzugehörigkeit von Migranten in den Jahren 2003 und 2013 im zweiten Schritt in einem multinomialen Modell untersucht, in dem zwischen unteren Schichten, der Mittelschicht und oberen Schichten unterschieden wird. Dafür wird ein gepooltes Sample der beiden Datensätze herangezogen. In dieses Modell geht zunächst nur eine Dummy-Variable, die den Unterschied zwischen 2003 und 2013 festhält, und die Herkunft ein (Modell a1). Danach werden weitere migrationsspezifische Größen (Generation, Staatsbürgerschaft), arbeitsmarktrelevante und arbeitsmarktbezogene Charakteristika (Schulabschluss, Erwerbsintensität, Berufsstatus) sowie Kontrollvariablen (Haushaltsform, Geschlecht, Alter) in das Modell aufgenommen (Modell a2 bis a4). Die Unterschiede nach Herkunftsgruppen müssten kleiner werden oder gänzlich verschwinden, wenn Unterschiede in den zusätzlich einbezogenen Größen (Bildung etc.) für diese verantwortlich sind.

Im nächsten Schritt wird der zuletzt angesprochene Test separat für die Jahre 2003 und 2013 wiederholt. Zur Anwendung kommen diesmal allerdings binomiale Modelle, die nur zwischen der Zugehörigkeit zu einer unteren Schicht (unterhalb der Mittelschicht) oder anderen Schichten (ab der Mittelschicht) unterscheiden, da diese in weiterer Folge zur Durchführung statistischer Testverfahren (zur Absicherung der Befunde) sowie detaillierterer Dekompositionsanalysen herangezogen werden können. Die binomialen logistischen Modelle werden wiederum schrittweise aufgebaut: Zunächst wird als einziger Erklärungsfaktor die Herkunft der Personen mit Migrationshintergrund berücksichtigt (Modell b1). Danach werden zusätzlich weitere migrationsspezifische Charakteristika sowie Arbeitsmarktfaktoren in das Modell aufgenommen (Modell b2). Mithilfe der KHB-MethodeFootnote 9 wird nun jedoch explizit getestet, ob sich die festgestellten Unterschiede zwischen den Personen aus unterschiedlichen Herkunftsregionen verringern, wenn diese weiteren Variablen in das Modell aufgenommen werden (Modell b2). Mit der von Allison (1999) und Hoetker (2007) dargelegten Methode wird zudem getestet, ob sich die Koeffizienten in den separat für zwei Erhebungen geschätzten Modellen voneinander unterscheiden (für Details siehe den Online-Appendix, Abschn. A3).Footnote 10 Darüber hinaus wird in einem separaten Modell auch die Rolle der Branchenzugehörigkeit und der Sprachkenntnisse (nur im Jahr 2013 abgefragt) für die Schichtzugehörigkeit beleuchtet.

Im letzten Schritt wird mittels Dekompositionsanalysen konkreter geprüft, welche Bedeutung die veränderte Zusammensetzung der Migrantenpopulation für die Entwicklung der migrantischen Mittelschicht hat. Präsentiert werden zunächst detaillierte Ergebnisse für die binomialen Modelle (b1 und b2), die anhand der Methode von Fairlie (2006) und Jann (2006) gewonnen wurden. Diese erlauben die Diskussion einzelner Faktoren (z. B. auch einzelner Herkunfts- oder Bildungskategorien). Mit der von Sinning et al. (2008) dargelegten Dekompositionsmethode wird danach geprüft, ob die wesentlichen Resultate der binomialen Modelle auch in multinomialen Modellen, die zwischen drei oder fünf Schichten unterscheiden, und bei anderer Modellspezifikation Bestand haben. Die beiden zuletzt dargelegten Analyseschritte (Test auf Unterschiede in den Koeffizienten und Dekomposition) erlauben schlussendlich Rückschlüsse auf die Bedeutung der in Hypothese H 3 vorgebrachten Veränderungen am Arbeitsmarkt.

Sämtliche Analysen im Text beziehen sich auf Personen mit Migrationshintergrund. Analysen, in denen Unterschieden zwischen Einheimischen und Personen mit Migrationshintergrund nachgegangen wird, finden sich im Online-Appendix (Abschn. A3).Footnote 11

4 Ergebnisse: Was erklärt das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht?

4.1 Deskriptive Analysen zur Entwicklung der migrantischen Mittelschicht

Tabelle 1 bildet die Entwicklung des migrantischen Schichtgefüges in Wien nach Herkunftsregion ab. Es zeigt sich zunächst erwartungsgemäß und in Einklang mit der Literatur (vgl. Stadt Wien 2014; Statistik Austria 2015), dass der Anteil der Mittelschicht bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund am geringsten und bei Migranten aus EU-Mitgliedstaaten am höchsten ist. Während weniger als ein Fünftel der türkischen Migranten zur Mittelschicht zählt, gehören fast 50 % der EU-internen Migranten zur gesellschaftlichen Mitte. Die größten Veränderungen zwischen 2003 und 2013 zeigen sich für Personen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und aus Drittstaaten. Bei ihnen ging der Anteil der Mittelschicht jeweils um mehr als zehn Prozentpunkte zurück. Parallel dazu nahm der Anteil der Unterschicht in diesen Gruppen deutlich zu (für ähnliche Befunde zu Deutschland siehe Burkhardt et al. 2013; Tucci und Wagner 2005; Verwiebe 2010). Zwar kam es auch bei den EU-15 und EU-12 Migranten zu einer erkennbaren Abwärtsmobilität, doch fällt diese im Vergleich zu anderen Gruppen moderater aus.

Tab. 1 Zugehörigkeit zu Schichten nach Herkunftsregion (Angaben in %)

Die verwendeten Daten zeigen auch für andere Indikatoren Polarisierungstendenzen auf und unterstreichen somit die bislang diskutierten Befunde. Tatsächlich kennzeichnet die Migranten mit türkischen Wurzeln im Vergleich zu den anderen Gruppen die höchsten Anteile an Personen, die lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen (2003: 53 %, 2013: 34 %). Die Arbeitslosigkeit (15 bzw. 13 %) ist die höchste unter allen Migrantengruppen. Zudem ist bei den Türken auch der Anteil an Hilfsarbeitern, gemeinsam mit Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien (2003 noch rund 30 %), deutlich größer. Diese beiden Gruppen sind außerdem überproportional häufig im Handel tätig, während Personen aus den EU-Mitgliedsstaaten häufiger in hochqualifizierten Angestelltenpositionen (z. B. rund 25 % bei EU-15 im Jahr 2013) und im Wirtschafts- und Finanzdienstleistungssektor arbeiten. Etwas schwieriger sind Personen aus Drittstaaten einzuordnen. Sie sind zwar Großteils gut ausgebildet, aber auch seltener als andere Arbeitsmarktgruppen in Vollzeitjobs beschäftigt. Heraus sticht, dass bei ihnen der Anteil an Personen in kleinen und mittleren Angestelltenpositionen im Gegensatz zu den anderen Gruppen zwischen 2003 und 2013 rückläufig war. Zudem befinden sich viele Personen dieser Gruppe in einer Ausbildung (für Details siehe Online-Appendix, Abschn. A2). Die nun folgenden multivariaten Analysen sollen u. a. dazu beitragen zu klären, inwieweit die Unterschiede bei der Schichtung zwischen den Migrantengruppen auf diese Unterschiede zurückzuführen sind.

4.2 Multivariate Analysen der Schichtzugehörigkeit

Die Tab. 23 und 4 geben die Befunde mehrerer logistischer Regressionen wieder. Hier bestätigt sich zunächst anhand des gepoolten Samples (Tab. 2), dass die Wahrscheinlichkeit, der Mittelschicht anzugehören, im Vergleich zur Referenzgruppe der türkischen Migranten bei allen anderen Gruppen signifikant höher ist (vor allem bei Migranten aus EU-Mitgliedstaaten). Dasselbe gilt ebenso für die Zugehörigkeit zu einer Schicht oberhalb der Mittelschicht. Umgekehrt ist die Wahrscheinlichkeit, einer Schicht unterhalb der Mittelschicht anzugehören, bei Türken am höchsten. Letzteres bestätigen auch die separat für 2003 und 2013 durchgeführten binomialen Analysen (Tab. 3).

Tab. 2 Unterschiede der Schichtzugehörigkeit bei Personen mit Migrationshintergrund (Average Marginal Effects, AME)
Tab. 3 Einflussfaktoren auf die Zugehörigkeit zu unteren Schichten bei Personen mit Migrationshintergrund in den Jahren 2003 und 2013 im Vergleich
Tab. 4 Die Rolle von Sprachkenntnissen und Branche für die Schichtzugehörigkeit bei Personen mit Migrationshintergrund 2013 (Average Marginal Effects, AME)

Ein Vergleich der Modelle a1 bis a4 weist zudem darauf hin, dass die Unterschiede nach Herkunftsregion kleiner werden, wenn andere migrationsspezifische und insbesondere Arbeitsmarktfaktoren in die Analyse einbezogen werden (Tab. 2). Die entsprechenden Koeffizienten sind auch in Modell b2 geringer als in Modell b1 (Tab. 3). Sämtliche KHB-Tests auf Unterschiede zwischen den Koeffizienten in den Modellen b1 und b2 zeigen ein signifikantes Ergebnis. Zumindest teilweise können die Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen also auf die zusätzlich einbezogenen Faktoren zurückgeführt werden. Damit bestätigt sich tendenziell unsere Hypothese H 2.

Im Detail demonstriert Modell b2 weiter die Relevanz von Arbeitsmarktfaktoren für die Schichtzugehörigkeit. Höhere Bildung, eine bessere berufliche Positionierung und größere Erwerbsintensität verringern die Chance, unteren Schichten anzugehören. Ergänzende Berechnungen (Tab. 4) verdeutlichen außerdem, dass sich die Branchenzugehörigkeit wie erwartet auswirkt: Die Tätigkeit in einem hochspezialisierten Bereich, wie den Finanzdienstleistungen und anderen wirtschaftsnahen Dienstleistungen, führt im Gegensatz zu einer Beschäftigung im Handel oder im Gastgewerbe zu deutlich besseren Chancen, nicht einer Gesellschaftsschicht unterhalb der Mitte zugeordnet zu werden. Diese Befunde befinden sich im Einklang mit der bestehenden Literatur (z. B. Abrassart 2013; Mohr 2007; Vandecasteele 2011) und unserer theoretischen Argumentation (Hypothese H 3), dass die Arbeitsmarktentwicklung zu Veränderungen im Schichtgefüge geführt haben könnte.

Darüber hinaus deuten die Befunde in Tab. 3 darauf hin, dass die Integration in die Aufnahmegesellschaft in wirtschaftlichen Krisenzeiten an Bedeutung gewinnt. Menschen mit Migrationshintergrund, die von Geburt an im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sind, gehören 2013, aber noch nicht 2003 signifikant seltener unteren Schichten an (ähnliche Befunde finden sich bei Herzog-Punzenberger 2017, S. 235). Die Ergebnisse in Tab. 4 bestätigen zudem, dass die Sprachkenntnisse mitentscheidend dafür sein dürften, in höhere Schichten aufzusteigen. Je geringer sie sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den unteren Schichten anzugehören.

Mit einem Blick (zurück) auf Tab. 2 zeigt sich jedoch auch, dass weder Veränderungen in den migrationsspezifischen noch in den arbeitsmarktrelevanten Charakteristika der migrantischen Population die beobachtete Dynamik zur Gänze erklären können. Der Unterschied zwischen den beiden Erhebungsjahren 2003 und 2013 bleibt auch unter Einbezug dieser Faktoren bestehen (Modell a1 bis a4). Dass der Unterschied in den Modellen a3 und a4 sogar etwas größer als in den Modellen a1 und a2 ist, könnte bedeuten, dass das Schrumpfen der Mittelschicht sogar stärker ausgefallen wäre, wenn die Migranten 2013 ein ähnliches Bildungsniveau wie 2003 aufweisen würden. Dekompositionsanalysen können dies weiter aufklären (siehe Abschn. 4.3).

4.3 Dekompositionsanalysen zur Veränderung im Schichtgefüge

Um die Frage, wie sich die Veränderung der Migrationsdynamik und damit der Zusammensetzung der migrantischen Bevölkerung in Wien auf die Schichtzugehörigkeit ausgewirkt hat, abschließend zu beantworten, werden Befunde aus Dekompositionsanalysen herangezogen. Tabelle 5 fasst die Hauptergebnisse verschiedenster Dekompositionsanalysen zusammen, die sich auf unterschiedliche Schichtungsvariablen (zweistufig wie in Tab. 3 bis zu fünfstufig wie in Tab. 1) und Modellspezifikationen beziehen. Sämtliche Befunde in der Tabelle verdeutlichen, dass die Veränderung in der Zusammensetzung der Migrantenpopulation (Komposition der Sample-Charakteristika) einen ungleichheitsreduzierenden Effekt hatte. Sie dämpfte den Anstieg der Armut und wirkte somit dem Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht entgegen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von vorteilhaften Kompositionseffekten.

Tab. 5 Veränderung der Schichtzugehörigkeit bei Personen mit Migrationshintergrund

Woraus ergaben sich nun kompositionell vorteilhafte Veränderungen? Die detaillierten Befunde aus Tab. 3 (letzte Spalte) zeigen etwa, dass die Zunahme des Anteils von Migranten aus den EU-Staaten innerhalb der Bevölkerung einen ungleichheitsreduzierenden Effekt hatte. Da es 2013 anteilig deutlich mehr Migranten aus EU-Staaten als 2003 gibt, wirkt sich die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund positiv (d. h. vorteilhaft) auf die Risiken aus, der unteren Mittelschicht oder der Unterschicht anzugehören: Unter sonst gleichen Bedingungen würden die Schichten unterhalb der Mittelschicht allein aufgrund der vorteilhafteren Verteilung nach Herkunftsregionen schrumpfen. Daraus, dass innerhalb der migrantischen Bevölkerung Wiens der Anteil von Personen stark zunimmt, die seit Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, und dass der Anteil der gut qualifizierten und hoch gebildeten Migranten ansteigt, resultieren ebenfalls kompositionell vorteilhafte Entwicklungen. Auch die Zunahme der Beschäftigung von hochqualifizierten Angestellten und der Rückgang von Hilfsarbeitertätigkeiten zwischen 2003 und 2013 haben schließlich das Anwachsen der unteren Mittelschicht und der Unterschicht eher gedämpft. Diese vorteilhaften Kompositionseffekte haben kompositionell negative Veränderungen übertroffen. Mit Blick auf die Erwerbsintensität deuten die Befunde nämlich auch darauf hin, dass z. B. die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung innerhalb des Untersuchungszeitraums für eine Erhöhung der Armutsgefährdung gesorgt hat.

Allerdings ergaben sich zusätzlich zu negativen Kompositionseffekten Veränderungen in den Effekten (den Koeffizienten) der arbeitsmarktrelevanten Faktoren, die zu einem Schrumpfen der Mittelschicht und einem Anwachsen der unteren Schichten geführt haben.Footnote 12 Die veränderte Wirkung einzelner Faktoren deutet auf grundlegende Änderungen am Wiener Arbeitsmarkt hin (siehe Modell b2 in Tab. 3). So schützt z. B. ein Lehrabschluss 2013 nicht mehr gleichermaßen vor Zugehörigkeit zu den unteren Schichten wie noch 2003 (vgl. Mohr 2007; Vandecasteele 2011). Im Jahr 2013 haben auch Arbeitslose und Auszubildende gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ein erhöhtes Risiko der unteren Mittelschicht oder der Schicht der Armutsgefährdeten anzugehören. Menschen mit Migrationshintergrund, die als Hilfsarbeiter tätig sind, haben nicht nur besonders hohe, sondern auch im Zeitverlauf zunehmende Risiken, den unteren sozialen Schichten anzugehören (ähnliche Befunde für Deutschland zeigte Geißler 2014, S. 292 f.). In der Summe sprechen diese Befunde daher für Hypothese H 3: Es sind Entwicklungen am Arbeitsmarkt, die entscheidend zum Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht beigetragen haben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unsere Analysen fünf Schlussfolgerungen nahelegen: (1) Alle Migrantengruppen sind in ökonomisch schwierigeren Zeiten von sozialem Abstieg betroffen. (2) Vom Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht in Wien sind aber vor allem Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Drittstaaten betroffen. (3) Dieses Schrumpfen wäre ohne die hochqualifizierte Zuwanderung aus alten und neuen EU-Mitgliedstaaten noch deutlicher ausgefallen. (4) Unterschiede zwischen den Migrantengruppen sind zu einem guten Teil auf deren Charakteristika (Bildung, Beschäftigungsausmaß, Berufsposition) zurückzuführen. (5) In erster Linie dürften Veränderungen am Arbeitsmarkt zu den negativen Veränderungen im Schichtgefüge geführt haben – wie etwa die Zunahme an Teilzeitbeschäftigung oder der abnehmende Schutz vor dem sozialen Abstieg durch eine mittlere berufliche Ausbildung indizieren.

5 Diskussion

Städte sind zumeist Ausgangs- und Brennpunkte sozialen Wandels und auch Veränderungen in der Arbeitswelt und Migrationsbewegungen konzentrieren sich häufig auf Städte. Der städtische Arbeitsmarkt ist mittlerweile nahezu vollständig ein Dienstleistungsarbeitsmarkt, mit dem eine starke Polarisierung der Berufs- und Einkommensstruktur einhergeht (Burgers und Musterd 2002; Goebel et al. 2012; Sassen 2016). Migration trägt zu dieser Polarisierung entscheidend bei (McDowell et al. 2009; Tai 2006). Dennoch mangelt es bisher an Studien, die der Bedeutung der Migration für Veränderungen im städtischen Schichtgefüge systematisch nachgehen (Bailey et al. 2017; Sanderson et al. 2015). Der vorliegende Beitrag versuchte zum Schließen dieser Forschungslücke beizutragen, indem er das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht exemplarisch für den Fall der Stadt Wien untersucht hat.

Unsere Analysen verdeutlichen erstens, dass das Schrumpfen der migrantischen Mittelschicht in den 2000er Jahren alle Zuwanderergruppen erfasste, die nicht ohnehin bereits zum größten Teil unteren Schichten angehörten. Migranten waren und sind am Arbeitsmarkt in der Regel benachteiligt: Sie arbeiten häufiger in Branchen mit geringen Löhnen, werden öfter in prekäre Arbeitsverhältnisse gedrängt und sind größeren Unsicherheiten ausgesetzt, da sie über geringere Sozialleistungsansprüche verfügen (Kalter und Granato 2018; Leschke und Galgögczi 2015). Es verwundert daher nicht, dass sie in Zeiten wirtschaftlicher Umwälzungen vermehrt in untere Schichten abrutschen, denn Migranten waren von Deindustrialisierung, Prekarisierung und nicht zuletzt den Konsequenzen der Finanzkrise in Europa mit am stärksten negativ betroffen (Europäische Kommission 2016).

Die Analysen bestätigten im Einklang mit den Annahmen der Stadtforschung (Friedmann 1986; McDowell et al. 2009; Sassen 1991; Tai 2006) und unserer ersten Hypothese zweitens, dass verschiedene Herkunftsgruppen unterschiedliche Positionen im Schichtgefüge der Stadt einnehmen. Nicht jede Gruppe war gleichermaßen vom sozialen Abstieg betroffen. In erster Linie gehören Personen aus der Türkei, den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens und aus Drittstaaten prekären und armutsgefährdeten Schichten an. Tatsächlich sind Migranten in Wien allerdings heute zu größeren Anteilen EU-Bürger und deutlich höher gebildet als noch vor zwei Jahrzehnten (Stadt Wien 2016b; Verwiebe et al. 2015). Unsere multivariaten Berechnungen weisen darauf hin, dass dies für die Entwicklung der sozialen Schichtung äußerst relevant ist! Die migrantische Mittelschicht wäre noch viel stärker geschrumpft, wenn es diese Europäisierung der Zuwanderung nicht gegeben hätte.

Es zeigt sich zudem (vgl. Hypothese H 2), dass ein guter Teil der Unterschiede zwischen den Migrantengruppen mit Faktoren wie der Bildung und der Arbeitsmarktintegration (Ausmaß der Erwerbstätigkeit etc.) zusammenhängt. Ein Teil der Unterschiede dürfte jedoch auch auf die unterschiedliche Nähe zur Kultur der Aufnahmegesellschaft und unterschiedlicher Betroffenheit von Diskriminierung zurückzuführen sein (Verwiebe et al. 2016). Diese Faktoren konnten wir in unserer Studie nicht abbilden. Wir konnten jedoch zusätzlich anhand der Daten der zweiten Erhebung zeigen, dass Sprachkenntnisse als „Schlüsselkompetenz“ (Esser 2006; Riesenfelder et al. 2011) die Schichtzugehörigkeit von Personen mit Migrationshintergrund wesentlich beeinflussen.

Drittens implizieren einige Befunde unserer Analysen, dass Veränderungen am Arbeitsmarkt maßgeblich zum Abstieg der migrantischen Mittelschicht geführt haben. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass immer mehr Migranten in Teilzeitbeschäftigung arbeiten (müssen) und mittlere berufliche Ausbildungen zu weniger stabilen Erwerbsverläufen führen. Damit bestätigt sich auch unsere dritte Hypothese. Unsere Studie stimmt in dieser Hinsicht mit einer Vielzahl an Untersuchungen überein, die den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und im Besonderen die Zunahme prekärer Niedriglohnbeschäftigung als wesentliche Ursache der Zunahme sozialer Ungleichheit betrachten (Dallinger 2013; Lucifora et al. 2005).