Es beginnt in der Firmenzentrale eines Automobilzulieferers in der Gemeinde Gauting im Landkreis Starnberg bei München. Eine Frau aus China ist auf Geschäftsreise in Deutschland, um Seminare zu geben. Sie fühlt sich leicht unwohl, aber nicht wirklich krank. Zurück in China wird sie positiv auf das neue Coronavirus Sars-CoV-2 getestet. Ohne es zu ahnen, wird die Geschäftsfrau zur Patientin Null des Ausbruchs in Deutschland. Am Montagabend, dem 27. Januar, meldet das bayerische Gesundheitsministerium: Ein Mitarbeiter der Firma ist infiziert, er hatte zuvor Fieber und Husten entwickelt.

Das erste Infektionscluster, wie Medizinerinnen und Epidemiologen es nennen, ist rasch unter Kontrolle. Den Behörden gelingt es, alle Kontaktpersonen zu ermitteln und so jeden weiteren Menschen zu identifizieren, der sich ebenfalls angesteckt hat. Einen Monat später, Ende Februar, schaffen sie es nicht mehr, das Virus bis zum letzten Infizierten nachzuverfolgen und einzudämmen. Der Blick auf die ersten mehr als 1.000 Sars-CoV-2-Fälle zeigt, wie genau die Corona-Epidemie Deutschland erreicht hat und ab wann sich die Spur des Virus verliert – nämlich im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg.   

Corona in 219 Kreisen

Bis Dienstagabend, 10. März hatte das Robert Koch-Institut in Berlin Daten von 1.296 Menschen gesammelt, die sich nachweislich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hatten (RKI, Situationsbericht). Am Montag waren zudem die ersten beiden Menschen hierzulande an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben, ein weiterer deutscher Staatsbürger erlag zuvor der Krankheit in Ägypten. Das sind die offiziell bekannten Fälle, längst zählen Behörden aber schon weitere. Wie viele Menschen das Sars-CoV-2-Virus tatsächlich in sich tragen, lässt sich nicht sagen. Wahrscheinlich sind längst nicht alle bereits Infizierten auch als solche bekannt, weshalb sie nicht in der Statistik auftauchen. Lange blieb Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland von dem Virus verschont, meldete aber jüngst auch die ersten Infektionsfälle. Somit sind nun alle Bundesländer und insgesamt 219 von 401 Stadt- und Landkreisen in Deutschland von dem Ausbruch betroffen.

Ein Ausbruch mit unbekanntem Ursprung

Die Fallzahlen belegen, dass ein Kreis besonders stark unter dem Virus leidet: Heinsberg. Der heftige Ausbruch an der niederländischen Grenze stellt die Behörden vor ein Rätsel: Bei den ersten zwei bestätigten Fällen in Nordrhein-Westfalen, einem Ehepaar aus der Gemeinde Gangelt im Landkreis Heinsberg, ist bislang nicht klar, wo oder von wem sie sich das Virus eingefangen haben. Der 47-jährige Mann wurde am 25. Februar positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Er erkrankt schwer an Covid-19 und wird auf der Intensivstation im Erkelenzer Hermann-Josef-Krankenhaus behandelt. Seine Ehefrau zeigt leichtere Symptome.

Nicht nur die Suche nach dem Ursprung ihrer Infektion, sondern auch nach den möglichen Kontaktpersonen des Ehepaars gerät an seine Grenzen. Während bei den meisten anderen Fällen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr klar ist, wer wen möglicherweise infiziert hat, gerät der Ausbruch im Kreis Heinsberg zum Wendepunkt der Epidemie in Deutschland.

Denn am 15. Februar 2020, zehn Tage vor der bestätigten Infektion, feiert das Ehepaar auf der Kappensitzung des örtlichen Karnevalsvereins "Langbröker Dicke Flaa" in Langbroich-Harzelt. Um die 300 Karnevalisten, die meisten Einheimische, singen, trinken und unterhalten sich dort stundenlang. Der Krisenstab der örtlichen Behörden versucht noch, alle Besucherinnen und Besucher ausfindig zu machen. Sie, ihre Partner, Kinder und andere Mitbewohner müssen für 14 Tage in häusliche Quarantäne. Bislang (Stand 10. März 2020) haben sich im Landkreis Heinsberg 323 Menschen mit dem Sars-CoV-2-Virus infiziert. Die Region erklärt das Robert Koch-Institut als erste in ganz Deutschland zu einem "besonders betroffenen Gebiet".

0 bis 82 Jahre alt sind die mit Sars-CoV-2 Infizierten in Deutschland (Stand 10. März 2020)

Über die Personen, die sich nachweislich angesteckt haben und dem RKI übermittelt wurden, gibt es erste Daten. Durchschnittlich (im Median) sind sie 41 Jahre alt. Laut dem Lagebericht des RKI (Stand 10. März 2020) reicht die Altersspanne derjeniger, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, von null bis aktuell 82 Jahren. Zudem scheint das Virus tendenziell mehr Männer zu treffen als Frauen: Nachweislich angesteckt haben sich, sofern eines dieser Geschlechter bekannt ist, zu 54 Prozent männliche und zu 46 Prozent weibliche Personen.

Besonders gefährdet sind Menschen, die bereits Vorerkrankungen wie Asthma oder andere Atemwegsbeschwerden haben. Oft trifft dies auf ältere Menschen zu. Laut ersten Daten der chinesischen Seuchenschutzbehörde CCDC zu Covid-19 erreicht die Letalitätsrate, die das Verhältnis von Toten zu Erkrankten angibt, bei Personen über 80 Jahren fast 15 Prozent, während sie bei Patienten unter 50 Jahren weniger als ein Prozent beträgt (CCDC Weekly: Feng et al., 2020). Deshalb ist die Sorge um Senioren besonders groß.

In Deutschland wird sie spürbar Ende Februar: In einem Altenpflegeheim im baden-württembergischen Kreis Heilbronn verbreitet sich das Virus ausgehend von einem Pfleger, der sich vermutlich auf einer Reise in Italien angesteckt hatte. Mittlerweile haben sich eine weitere Pflegekraft und fünf Bewohner infiziert, darunter auch eine über 80-jährige Frau.

Aber auch Babys und Kleinkinder können das Virus bekommen. Schon bei den allerersten Infektionen im Umfeld des bayerischen Autozulieferers waren sie betroffen. Ein Mitarbeiter, der positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getestet wurde, infizierte zwei seiner drei Kinder im Alter zwischen einem halben Jahr und fünf Jahren. Sie zählen zu den jüngsten Menschen in Deutschland, von denen man weiß, dass sie sich hierzulande mit dem Erreger ansteckten.

Die Ersten sind wieder gesund

Noch gibt es nur wenige Daten über sie, doch sie dürfen nicht vergessen werden: All jene Menschen, die eine Infektion mit dem neuen Coronavirus überstanden haben. Die ersten 14 Infizierten aus Bayern haben das Krankenhaus schon wieder verlassen. Auch zwei Personen, die von der deutschen Bundesregierung aus China ausgeflogen und in Deutschland positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sind wieder gesund. Zwei positiv getestete Personen im baden-württembergischen Göppingen wurden mittlerweile in die Heimquarantäne entlassen. Ob allerdings nur diese 18 Personen in Deutschland das Coronavirus überstanden haben oder ob noch mehr Personen genesen sind, ist unklar. Denn die zuständigen Gesundheitsämter müssen dem bundesweit zuständigen Robert Koch-Institut nicht Bescheid geben, wenn ein Corona-Patient aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Wie lange die Infektionszahlen in Deutschland noch steigen werden, lässt sich nicht vorhersagen. Die zuständigen Behörden sind bundesweit weiter damit beschäftigt, Neuansteckungen zu dokumentieren und aufzuspüren. Den Weg des Virus noch zweifelsfrei zu bestimmen wird dabei von Tag zu Tag schwerer.