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Arnulf Herrmann hat für die Oper Frankfurt „Der Mieter“ komponiert

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Auch wenn der Komponist Arnulf Herrmann gerne lacht ? seine neue Oper ist der reinste Horrorthriller.
Auch wenn der Komponist Arnulf Herrmann gerne lacht ? seine neue Oper ist der reinste Horrorthriller. © Michael Faust

Als Auftragswerk der Frankfurter Oper hat am Sonntag das Stück „Der Mieter“ von Arnulf Herrmann Premiere. Regie führt Johannes Erath.

Arnulf Herrmann ist ein Mann, für den Zeit keine Rolle spielt. Zeit, die er fürs Komponieren braucht. An einer Notenfolge kann er Tage feilen, Wochen, Monate oder Jahre. Wenn ihm seine musikalischen Einfälle kommen, empfindet er tiefes Glück und vergleicht diesen Zustand mit der Selbstvergessenheit eines Kindes beim Spielen. Allein fünf Jahre hat er an seiner neuen, für großes Orchester, Chor und acht Solisten geschriebenen Oper „Der Mieter“ gearbeitet. Morgen ist Uraufführung in Frankfurt.

Arnulf Herrmann lächelt viel, nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit seinen graublauen Augen. Immer wieder suchen sie konzentriert in der Ferne Fixpunkte, wenn er von seiner ersten, abendfüllenden Oper erzählt. Selten trifft man einen Mann, der sich derart sprachlich gewandt äußern kann. Bei einem solchen Talent liegt die Frage nahe, wieso er überhaupt einen Librettisten braucht. Wieso die Opernvorlage nicht selbst schreiben? Seine Antwort über Händl Klaus ist ein druckreifer Satz: „Er ist als Autor und Filmemacher Universalist – er verfügt über eine reiche Palette an Möglichkeiten, erzeugt eine dunkle Sprache mittels ganz alltäglicher Worte und arbeitet unentwegt an einer ungeheuer ausgefeilten Rhythmik.“

Echter Psychostoff

Alles begann mit Roman Polanskis Film „Der Mieter“ aus dem Jahr 1976. Der habe ihn dazu angeregt, die Buchvorlage des französischen Autors Roland Topor zu lesen. In dem Roman aus dem Jahr 1964 geht es um einen Mann, der in eine möblierte Wohnung im dritten Stock eines Mietshauses einzieht. Seine Vormieterin hat Selbstmord begangen, in dem sie sich aus dem Fenster stürzte. Im Laufe der Zeit erlebt der schüchterne Mieter einen Realitätsverlust. Durch Klopfgeräusche, die ihn zur Ruhe mahnen und generelles Misstrauen der Nachbarn, bei denen nicht klar wird, ob er sich diese Dinge nur einbildet oder ob sie real sind, verändert sich seine Psyche mehr und mehr. Schließlich verwandelt er sich in seine Vormieterin und begeht in einer Art Wiederholungszwang Selbstmord. Ein echter Psychostoff also, der genial zwischen Thriller- und Horrorgenre schwankt. Und ein typischer Herrmann, könnte man forsch behaupten. Der 48-jähriger Heidelberger vertonte bereits in seiner Kammeroper „Wasser“ (2012) den Identitätsverlust eines Mannes, in seinem Werk „Panorama“ (2003) dehnte er die letzten Sekunden eines Selbstmörders zu einer Viertelstunde Musik.  

Das Humorvolle also ist seine Sache nicht? Von wegen: „Sie werden sich wundern, wenn Sie den Mieter sehen“. Oft wisse man nicht, ob man lachen oder weinen solle. Da gebe es diesen Schlüsselbegriff im Libretto, der lautet: „Ein Spaß – kein Spaß“. Was das genau bedeute, wisse weder die Hauptfigur Georg, noch der Komponist und schon gar nicht die Zuschauer.

Der Blick in die Partitur verrät noch mehr: Am Anfang gibt es nur wenige Orchestertutti, die zart gehalten sind. Die Solisten formieren sich dann immer mehr zum Chor, ballen sich zur indifferenten Masse zusammen, und im Laufe der zwei Stunden schwillt auch das Orchester immer weiter an. Auch eine Reihe von Alltagsgeräuschen tauchen in Arnulf Herrmanns Partitur auf: Wassertropfen, Klopfgeräusche, die mit Tempelblocks vom Orchester aufgenommen werden, und brechendes Glas.

Ideale Besetzung

Zudem erzeugen Waldteufel (kleine Trommeln mit Membran und Feder) eine irreale Atmosphäre. „Die Klänge im ,Mieter‘ haben eine starke Körperlichkeit und Sinnlichkeit“, sagt der Komponist, „sowohl orchestral, als auch in der Elektronik.“ So werde das Klopfen durch den ganzen Zuschauerraum gehen und mittels 40 Lautsprechern im Raum wandern. „Und wir werden als Publikum gewissermaßen in der Glasscheibe sitzen, die beim Fenstersturz zerbricht.“

Mit dem Bariton Björn Bürger habe man den idealen Kandidaten für die Titelpartie gefunden, schwärmt Herrmann. Weil es im Bühnenbild von Kaspar Glarner Etliches zu sehen gebe, was die Schwerkraft aussetze, habe man einen Sänger gebraucht, der das körperlich umsetzen könne.

Auch mit Anja Petersen als Vormieterin Johanna hat sich der Komponist einen Besetzungstraum erfüllt. Die beiden verbindet eine Geschichte, die kaum zu glauben ist. Wie sie 2014 in seinen „Drei Gesängen am offenen Fenster“, die der „Mieter“-Oper zugrunde liegen, die Uraufführung bestritt, werde ihm immer im Gedächtnis bleiben. Weil die ursprünglich vorgesehene Sopranistin erkrankte, wurde Anja Petersen zwei Tage vor der Aufführung aus ihrem Urlaub gerissen, bestieg in Gummistiefeln den Flieger, lernte während des Flugs per iPad den Stoff, kaufte sich noch schnell auftrittskonforme Kleidung, und sang nach nur zwei Proben mit dem Orchester quasi vom Blatt. Der quirlige Komponist schüttelt noch jetzt den Kopf: „Das war ein Geschenk des Himmels.“

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