Zeitabschnitte > Römische Zeit





 

1. Römer in Westfalen

 
 
 
Bis zu dem Zeitpunkt, als im Jahre 1899 die Altertumskommission für Westfalen mit den archäologischen Ausgrabungen in Haltern begann, war die Zeit der Römer im heutigen Westfalen und den angrenzenden norddeutschen Gebieten nur durch Nachrichten antiker Historiker (Velleius Paterculus, Florus, Tacitus, Cassius Dio) bekannt. Da ihre Berichte teilweise erst 100 Jahre und mehr nach den Ereignissen abgefasst wurden und die Autoren selbst bis auf wenige Ausnahmen nicht vor Ort gewesen sind, ist die schriftliche Überlieferung der Vorgänge damals lückenhaft und ungenau; hinzukommen die allgemeinen Überlieferungsprobleme antiker Schriftquellen.

Deshalb erhalten wir nur durch die Zusammenschau literarischer und epigrafischer Quellen sowie archäologischer Zeugnisse aus mittlerweile mehr als 100 Jahren Ausgrabungstätigkeit in westfälischen Römerstandorten ein differenziertes Bild der Zeit der römischen Eroberungskriege im rechtsrheinischen Germanien zur Zeit des Augustus.

Obwohl die Präsenz der Römer in Westfalen nur etwa 30 Jahre dauerte, wissen wir über sie in dieser Zeit ungleich mehr als über die Germanen. Und selbst das Wissen über sie stammt in erster Linie aus römischen Quellen (Tacitus, Germania). Es gibt zwar von den rechtsrheinischen Germanen einige archäologische Hinterlassenschaften, aber keine eigenen schriftlichen Zeugnisse.

Den Ergebnissen der archäologischen Untersuchungen an den Militärstützpunkten bis hin zum Schlachtfeld von Kalkriese kommt somit besondere Bedeutung zu. Nur durch sie wurden die militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekte wieder deutlich, unter denen die letztlich gescheiterte Okkupation stattfand und die dazu geführt haben, dass die Zeit der Römer in Westfalen eine Episode blieb.

Eine der Hauptvormarschlinien der römischen Truppen in das Innere Germaniens verlief bei diesen Unternehmungen entlang der Lippe. Sie bildete eine wichtige Verkehrsader und bot die Möglichkeit, die vorrückenden Legionen sicher und schnell mit dem notwendigen Nachschub zu versorgen. Deshalb liegen die meisten der bekannten Römerlager in Westfalen auch direkt an der Lippe.
 
 
 
 
 
 

2. Die Zeit bis 8 v. Chr.

 
 
 
Seit dem Ende des "Gallischen Krieges" (58-52 v. Chr.) bildete der Rhein die Grenze zwischen dem römischen Reich und den Gebieten germanischer Stämme. Immer wieder waren diese über den Rhein in römisches Gebiet eingedrungen; das kulturelle Gefälle war groß und bot Anreize für Beutezüge. Im Jahre 16 v. Chr. wurde die 5. Legion unter dem Kommando des M. Lollius auf gallischem Gebiet sogar vollständig aufgerieben und verlor ihren Legionsadler.

Im Zuge der Neuorganisation Galliens während der Jahre 16-13 v. Chr., die von Augustus persönlich vorangetrieben wurde, wurde die Rheinlinie erstmals durch dort stationiertes Militär gesichert. Von Mainz bis Nijmegen wurden Militärlager angelegt, auch in Bonn, Neuss, Moers-Asberg und Xanten - Orte mit einer strategischen Ausrichtung nach Osten, teilweise gegenüber von Flussmündungen gelegen. Ob in der Folgezeit eine planmäßige Eroberung Germaniens bis zur Elbe vorgesehen war, ist umstritten. Sicher ist, dass Drusus, der Stiefsohn des Augustus als legatus Augusti pro praetore Statthalter Galliens und Befehlshaber der rechtsrheinischen Legionen ab 12 v. Chr. gegen die Usipeter, Sugambrer und gegen die Tenkterer vorging. In diesem Jahr hatten die Sugambrer mit ihren Verbündeten wieder den Rhein überquert. Sie wurden von den Truppen des Drusus zurückgeschlagen, der im selben Jahr trotz fortgeschrittener Jahreszeit mit einer Flotte rheinabwärts fuhr sowie über die Nordsee und die Ems in das Gebiet der Friesen und Chauken vordrang.

Diese nicht mehr rein vorwärtsgerichtete militärische Aktion wäre beinahe in einem Fiasko geendet: Durch nautische Unkenntnis lief die römische Flotte beim Rückweg in die Winterlager an der Nordseeküste auf Grund und konnte nur dank der mitgezogenen Fremdverbände gerettet werden.

Die Feldzüge wurden im Jahre 11 v. Chr. fortgesetzt. Nach Kämpfen gegen die Usipeter und Sugambrer erreichte man das Gebiet der Cherusker an der Weser. Auf dem Rückweg in die Winterlager wurde zwischen Lippe und Ruhr im Gebiet der Sugambrer ein Militärlager errichtet, wie Cassius Dio (54, 33, 4) schreibt: "...so dass Drusus um seinerseits sie genug einschätzte und am Zusammenfluss von Lippe und Elison ein Kastell gegen sie errichtete; ein weiteres Bollwerk legte er im Gebiet der Chatten in unmittelbarer Nähe des Rheins an."

Bei dem erstgenannten handelt es sich wohl um das Doppellegionslager von Oberaden (Stadt Bergkamen), das am heutigen Zusammenfluss von Lippe und Geseke nach Ausweis dendrochronologischer Untersuchungen an Bauhölzern im Spätsommer des Jahres 11 v. Chr. im Kerngebiet der Sugambrer errichtet wurde. Sein Zugang zur Lippe und damit zum wichtigsten Nachschubweg war gesichert durch das kleine Uferkastell von Beckinghausen (Stadt Lünen). Auch in Holsterhausen (Stadt Dorsten) und Haltern dürften während dieser Feldzüge Marschlager errichtet worden sein.

Die militärischen Bewegungen des Jahres 10 v. Chr. gingen von Mainz aus in das Gebiet der Chatten im heutigen Hessen. 9 v. Chr. schließlich wurde unter Drusus die Elbe erreicht. Vermutlich bei diesen Unternehmungen wurde die erste militärische Anlage bei Hedemünden (Landkreis Göttingen) errichtet.

Das Ende dieser Kriegszüge - und einen möglichen Triumph in Rom - erlebte Drusus nicht mehr: Er starb auf dem Rückweg von der Elbe nach einem Sturz vom Pferd. Sein Bruder Tiberius brachte die Unternehmungen im Folgejahr zu Ende; dabei wurde das Militärlager bei Oberaden planmäßig aufgelassen, wie auch alle anderen Standorte rechts des Rheins. Die Unruheherde waren vorläufig beseitigt, die Sugambrer wurden auf die andere Rheinseite zwangsumgesiedelt. Das unwegsame und größtenteils unbekannte Land, das bis dahin hauptsächlich durch Berichte Caesars und durch Beschreibungen des Geografen Strabon bekannt war, war nun erkundet.

Velleius Paterculus, Teilnehmer an diesen Feldzügen und Hofgeschichtsschreiber des späteren Kaisers Tiberius, schreibt dazu (2, 97, 4): "Er hat es (Germanien) so gänzlich bezwungen, dass er es beinahe zu einer tributpflichtigen Provinz machte".
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Römische Militärstützpunkte an Rhein und Lippe


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Kaiser Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.)


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Römisches Kurzschwert (gladius)


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Grabungsplan der Nordwestecke des Lagers Oberaden


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Pflanzenreste aus dem Römerlager Oberaden


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Tiberius (42 v. Chr.-37 n. Chr.)
 
 
 
 
 
 

3. Von 7 v. bis 4 n. Chr.

 
 
 
Die historische Überlieferung der folgenden Jahre ist ungleich lückenhafter und deshalb spielen die Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen - speziell in Haltern - eine wesentliche Rolle bei der Rekonstruktion dieses Zeitraumes. Nach dem Kommando des Tiberius gibt es keine schriftlichen Quellen über weitere militärische Vorgänge im rechtsrheinischen Gebiet bis auf den Elbübergang des L. Domitius Ahenobarbus, der zwischen den Jahren 6 v. Chr. und 1 n. Chr. in seiner Funktion als Statthalter von Illyrien eine Expedition an die Elbe führte.

Im Jahre 1 n. Chr. kam es erneut zu Unruhen im inneren Germaniens, die den gallischen Statthalter und Befehlshaber der Truppen am Rhein, M. Vinicius, veranlassten, militärisch einzugreifen. Es kam zu einem immensum bellum, an dem auf germanischer Seite neben den Cheruskern und Brukturern auch die Attuarier, Chauken und Langobarden beteiligt waren.

Erst in den Jahren 4 und 5 n. Chr. gelang mit der Kommandoübernahme des Tiberius die zeitweilige Unterwerfung Germaniens. De Bericht des Velleius Paterculus zeigt den neuen Schwerpunkt der militärischen Auseinandersetzungen an (2, 108, 1): "In Germanien gab es nicht mehr zu besiegen als das Volk der Markomannen [...]." Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss die Aufmarschlinie mit den Militärlagern an der Lippe befestigt gewesen sein. Mit den Cheruskern hatte Tiberius sich friedlich einigen können, zumal römische Truppen bereits bis an die Weser vorgedrungen waren. Das Markomannenreich (im heutigen Böhmen) aber, mit König Marbod, der über gewaltige Truppenkontingente verfügte, wurde von Rom als Bedrohung empfunden, da sein Einfluss bis in die mittlere Elbregion hinaufreichte und dadurch auch zu einem Rückzugsgebiet für Aufständische geworden war.

Für einen Präventivschlag gegen die Markomannen zogen im Jahre 6 n. Chr. römische Truppen unter Führung des Legaten C. Sentius Saturninus von Mogantiacum (Mainz) nach Südosten und die Truppen unter Tiberius marschierten von Carnuntum (Bad Deutsch-Altenburg, östlich von Wien) in Richtung Norden. Da es jedoch fast gleichzeitig zu einem Aufstand der Pannionier und Illyrer kam, musste dieser Feldzug notgedrungen abgebrochen werden, zugunsten einer vertraglichen Einigung mit Marbod. Die Niederschlagung dieses Aufstandes auf dem Balkan, in dem bis zu 15 römische Legionen eingesetzt wurden, dauerte noch bis zum Jahre 9 n. Chr.
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Germanicus (15 v. Chr.-19 n. Chr.)
 
 
 
 
 
 

4. Von 7 n. bis 16 n. Chr.

 
 
 
Mit diesen Ereignissen auf dem Balkan scheint auch eine neue Phase der römischen Germanienpolitik eingesetzt zu haben. Auch wenn Cassius Dio über diese Zeit berichtet (56, 18, 1): "Die Römer hatten gewisse Teile des Landes in ihrer Gewalt, nicht ein zusammenhängendes Gebiet, sondern nur solche, wie sie gerade hier und da von ihnen unterworfen worden waren...", gab es erst jetzt ernsthaft das Ziel, die rechtsrheinischen Gebiete auf Dauer zu besetzten. Dies wird auch deutlich an der Einsetzung des P. Quinctilius Varus ab 7 n. Chr. als Legatus Augusti pro praetore für die gallischen Provinzen, der damit auch die Aufgabe übertragen bekam, die germanischen Gebiete in den Status einer römischen Provinz zu überführen. Das bedeutete den Ausbau der Infrastruktur, die Erhebung von Steuern, die Einführung des römischen Rechts und das Schlichten innergermanischer Streitigkeiten. Unter seinem Kommando standen vier bis fünf Legionen sowie Hilfstruppen, die auch germanische Einheiten umfassten. Man versuchte, wie in anderen Provinzen auch, auf die vorhandenen politischen Strukturen zurückgreifen und kooperierte mit der einheimischen Machtelite. In diesem Zusammenhang ist auch der Aufstieg des Arminius vom Stamme der Cherusker zu sehen. Nach Ausbildung in Rom und Erhebung in den Ritterstand wurde er Befehlshaber einheimischer Hilfstruppen, der eng mit Varus zusammenarbeitete und sein Vertrauen genoss. Nur so ist es zu erklären, dass Varus mit seinen Legionen im Spätsommer des Jahres 9 n. Chr. auf dem Rückweg in die Winterquartiere an Rhein und Lippe vom Wege abwich, um eine (wohl vorgetäuschte) Revolte niederzuschlagen. Cassius Dio (63,18, 23) berichtet ausführlich über den Ablauf der Kampfhandlungen.

Auf dem Marsch wurden die 17., 18. und 19. Legion sowie drei Reiterabteilungen, sechs Infanteriekohorten und ein großer Tross, von heimlich zusammengerufenen Kriegern verschiedener Stämme, der Brukterer, Cherusker, Marser, Chatten und germanischer Hilfstruppen, unter Führung des Arminius überraschend angegriffen und in mehrtägigen Kämpfen in unwegsamem Gebiet fast völlig aufgerieben. Nur wenigen gelang die Flucht. Im Angesicht der Niederlage und um der Gefangenschaft zu entgehen, beging Varus zusammen mit einigen anderen Offizieren Selbstmord. Nach dem Sieg über die römischen Legionen stürmten die germanischen Allianztruppen die Militärlager im rechtsrheinischen Gebiet und konnten sie fast vollständig unter ihre Kontrolle bringen. Lediglich das bisher nicht identifizierte Aliso (Cassius Dio 56, 22, 2; Velleius Paterculus 2, 120, 4; Tacitus, Annales 2, 7) blieb als römischer Stützpunkt in Germanien erhalten.

Arminius versuchte in der Folge der Varusschlacht die germanische Widerstandsbewegung durch ein Bündnis mit dem Markomannenkönig Marbod zu festigen, doch blieb dieser dem im Jahre 6 n. Chr. mit Tiberius geschlossenen Friedensvertrag treu.

Die Örtlichkeit dieser Kämpfe war lange Zeit umstritten, da es nur die ungenaue Ortsangabe in den Annales des Tacitus (1, 60, 3) gibt. Danach befand sich Germanicus 15 n. Chr. im Gebiet der "Äußersten" Brukterer, zwischen Ems und Lippe, als er die Nachricht von dem Schlachtfeld in de Nähe erhielt, "nicht weit vom Teutoburger Wald" (haud procul Teutoburgiensi saltus). Bei Cassius Dio (56, 18, 5) wird außerdem berichtet, dass die Legionen des Varus zur Weser in das Gebiet der Cherusker unterwegs waren.

Seit fast 20 Jahren finden in Kalkriese bei Bramsche im Osnabrücker Land umfangreiche Forschungen zur Varusschlacht statt. Das Gelände hier zwischen dem Großen Moor im Norden und dem Kalkrieser Berg im Süden bot eine Engstelle, in der römische Truppen in einen Hinterhalt gerieten. Hier konnten sie angegriffen werden, da ihre Marschordnung die Truppen sehr weit auseinanderzog und ein von Germanen errichteter Wall die Situation noch verschärfte. Weit mehr als 6000 fragmentierte Ausrüstungsgegenstände, Waffen, Werkzeuge und Münzen belegen Kampfhandlungen. Daneben als deutliches Indiz Menschen- und Tierknochen, auch Schädelknochen mit Hiebspuren. Die fehlende Übereinstimmung mit der Ortsangabe bei Tacitus und Cassius Dio sowie die nicht eindeutig nachgewiesene Datierung dieser Kampfhandlungen lassen eine Lokalisierung der Varusschlacht immer noch nicht zweifelsfrei zu und bieten weiterhin Stoff für ungezählte Vorschläge und kontroverse Diskussionen.

Diese begannen mit der Entdeckung einer Abschrift der Annalen des Tacitus 1507 im Kloster Corvey. Die einsetzende Suche nach der Örtlichkeit der Varusschlacht, die in Westfalen gesucht wurde, führte unter anderem dazu, dass der als "saltus Teutoburgiensis" des Tacitus angesehene Osning im 17. Jh. durch den Paderborner Bischof Ferdinand v. Fürstenberg in Teutoburger Wald umbenannt wurde. Seitdem wurden hunderte andere Theorien über die Örtlichkeit der Varusschlacht entwickelt.
 Arminius - Varus. Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. Ein Kooperationsprojekt des Internet-Portals "Westfälische Geschichte mit dem LWL-Römermuseum Haltern und dem Lippischen Landesmuseum Detmold mit vielfältigen Informationen und Ressourcen.


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Luftbild des Römerlagers Anreppen


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Modell des römischen Lagers Anreppen (Ausschnitt)


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Modell der Speicherbauten im römischen Lager Anreppen


Materialien für den Schulunterricht: Reinhard Stupperich über  Römischer Import in Westfalen


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Fundkarte römischer Importobjekte in Westfalen
 
 
Nachdem vor allem die deutschen Humanisten, unter ihnen Ulrich von Hutten, die positive Schilderung des Arminius und der Germanen überhaupt herausstellten, entstand im 18. und 19. Jh. eine Vielzahl von Schauspielen, Gedichten und Dramen über die "Hermannschlacht" und Arminius sowie zahlreiche Werke der bildenden Künste, die um die nationale Einigung, Selbstbehauptung und Identität der Deutschen kreisen. Sichtbares Zeichen dafür ist das 1875 eingeweihte Hermannsdenkmal bei Detmold, das noch bis in die Neuzeit für politische Propaganda genutzt wurde.


Während Oberaden mit den Feldzügen des Drusus (11 v. bis 8 v. Chr.) in Zusammenhang gebracht werden, kann Anreppen dem Aufenthalt des Tiberius (4 n. bis 6. Chr.) zugeordnet werden kann und Haltern mindestens bis zur Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. besetzt gewesen sein dürfte, gibt es für die Feldzüge des Germanicus zwischen 14 und 16 n. Chr. keinen römischen Stützpunkt in Westfalen und Norddeutschland überhaupt, der sich mit ihnen gesichert in Verbindung bringen lässt. Dabei waren gerade in jenen Jahren bis zu acht Legionen und weitere Truppenverbände im Inneren Germaniens unterwegs.

Tacitus schreibt dazu (1, 3, 6): "Zu dieser Zeit wurde nur noch gegen die Germanen Krieg geführt, mehr zur Tilgung der Schmach über den Verlust des Heeres unter Quinctilius Varus als aus dem Verlangen heraus, das Reich zu erweitern, oder im Hinblick auf einen angemessenen Lohn." Nachdem in den Jahren 10 und 11 n. Chr. zunächst Tiberius von der linken Rheinseite aus militärische Vorstöße unternommen hatte, wurden diese Unternehmungen nach dem Tod des Augustus 14 n. Chr. unter seinem Nachfolger Tiberius durch Germanicus von 14 n. bis 16 n. Chr. tief nach Germanien hinein fortgeführt. Diese sogenannten Rachefeldzüge, in denen 15 n. Chr. auch das Schlachtfeld der Varusschlacht aufgesucht wird, gipfeln im Jahre 16 n. Chr. in zwei großen, für die Römer erfolgreichen Schlachten bei Idistaviso und am Angrivarierwall gegen eine Koalition germanischer Stämme. Trotz großer militärischer Erfolge (oder gerade deswegen) wird Germanicus im selben Jahr durch Tiberius abberufen und erhält 17 n. Chr. einen Triumph in Rom.

Tiberius leitet damit eine politische Kehrtwende ein, die mehr die Bewahrung des Erreichten und den Schutz Galliens zum Ziel hatte. Es wurde das Ende einer kurzen Episode für den Nordwestdeutschen Raum, die mit dem Einmarsch römischer Truppen im Jahre 12 v. Chr. begonnen hatte, zwischenzeitlich so weit gediehen war, dass zumindest in Haltern schon städtische Strukturen aufgebaut wurden und schließlich abrupt mit der Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. und dann 16 n. Chr. mit der Abberufung des Germanicus endete.

Die römischen Truppen wurden auf die linksrheinischen Standorte zurückverlegt, das flussnahe rechtsrheinische Gebiet wurde von den Römern nur noch als Vorfeld betrachtet. Der Rhein wurde im Verlauf des 1. Jhs. n. Chr. lediglich für vereinzelte militärische Aktionen überschritten. Die spätere römische Provinz "Germania inferior" befand sich ausschließlich auf linksrheinischem Gebiet. In den wenigen schriftlichen Quellen sind weitere Kontakte Roms - politisch und diplomatisch - überliefert zu den Cheruskern, Friesen, Chauken, Ampsivariern und Brukterern.

Die archäologischen Quellen sprechen hier ein deutlicheres Bild: östlich des Rheins und nördlich der Donau bis zur Weichsel und weit nach Skandinavien hinein, finden sich große Mengen an römischen Gütern, die in erster Linie als Importe durch friedlichen Handel anzusehen sind und erst dann als Diplomatengeschenke oder gar als Kriegsbeute.

Die aus der antiken Literatur bekannten germanischen Stammesnamen können in Norddeutschland nur in seltenen Fällen mit einer bestimmten Region verbunden werden; so mit einiger Vorsicht bei den Chatten oder den Langobarden. Kartierungen bestimmter Fundgruppen, Siedlungsformen oder Beigabensitten lassen dabei regional abgrenzbare Verbreitungen erkennen. Vor allem in Westfalen aber sind die archäologischen Funde und Befunde so gleichartig, dass sie sich nicht den bekannten Stämmen wie Brukterern, Cheruskern oder Sugambrern zuordnen lassen.

Die bäuerliche Wirtschaftsweise war verbunden mit einer kleinräumigen Mobilität, um neue Wirtschaftsflächen zu gewinnen. So wurde es nach dem Fall des Limes möglich, dass z. B. elbgermanische Stammesgruppen in früheren römischen Gebieten siedelten. Im Verlauf der Völkerwanderungszeit tauchen andere große Stammesverbände auf: Franken, Alamannen, Sachsen, die fortan die Geschichte Mitteleuropas bestimmen sollten.
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Drusus (38 v. Chr.-9 v. Chr.)


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Die Restaurierung des Hermannsdenkmals in den Jahren 1952 und 1962-1963


Materialien für den Schulunterricht: Anne Roerkohl über das  Hermannsdenkmal



Philipp von Hugo:  Rezeption der "Hermannschlacht" im Film
 
 
 

5. Die römischen Militäranlagen im rechtsrheinischen Germanien

 
 
 

5.1 Wesel

 
 
 
Auf der Xanten gegenüberliegenden Rheinseite bei Wesel wurden Gräben von Marschlagern entdeckt, die lediglich als Übungslager der Truppen von der anderen Rheinseite interpretiert werden können, da in ihnen jegliche Befunde und Funde fehlen.

Ein notwendigerweise anzunehmender Brückenkopf am rechtsrheinischen Ufer im Lippemündungsgebiet gegenüber von Castra vetera konnte bisher nicht entdeckt werden.
Materialien für den Schulunterricht: Hermann-Josef Höper über
 Römerlager an der Lippe
 
 
 
 
 

5.2 Holsterhausen (Stadt Dorsten)

 
 
 
Am Nordufer der Lippe, ca. zwei Tagesmärsche vom Rhein entfernt wurden Spuren von insgesamt neun Marschlagern entdeckt. Von diesen Lagern ohne feste Innenbebauung fanden sich Reste der Umwehrungsanlagen (Spitzgraben und Erdwall) sowie von Backöfen und Abfallgruben im Inneren. Die meisten der Lagergräben überschneiden Spuren einer ca. 40 m breiten, unbefestigten Heerstraße, die von Westen nach Osten führt. Wie bei kurzzeitig belegten Marschlagern zu erwarten, blieben nur sehr wenige aussagekräftige Fundstücke erhalten. Die Datierung reicht von der Drususzeit bis möglicherweise in die Germanicuszeit. Holsterhausen bildet somit eine wichtige Durchmarschstation auf dem Weg in die weiter östlich gelegenen Stützpunkte.
 
 
 
 
 
 

5.3 Haltern

 
 
 
Rund 20 km lippeaufwärts von Holsterhausen liegt Haltern. Hier sind mittlerweile mindestens sieben Befestigungsanlagen bekannt und die zugehörige Gräberstraße - die bedeutendste bisher bekannte Konzentration militärisch genutzter Anlagen auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reiches.
Auf dem Gelände des Lagers befindet sich heute das LWL-Römermuseum Haltern
 
 
 
 
 

5.3.1 Annaberg

 
 
 
Das "Kastell" auf dem Annaberg war ca. 7 ha groß und hatte eine annähernd dreieckige Form. Die Umwehrung soll aus einer Palisadenwand mit dahinter aufgeschüttetem Erdwall und Spitzgraben bestanden haben. Obwohl dieser Befund für römische Anlagen eher untypisch ist, dürften die römischen Truppen die topografisch herausgehobene Lage des Annabergs sicher genutzt haben.
 
 
 
 
 
 

5.3.2. Die Anlage am Wiegel

 
 
 
Östlich des Annabergs, auf der Flur "Am Wiegel" erstreckte sich nach den Grabungsergebnissen vom Beginn des 20. Jhs. über ca. 300 m am Lippeufer entlang eine sogenannte "Anlegestelle". Bei den Grabungen wurden mehrere Gräben beobachtet, die allerdings nicht sinnvoll gedeutet werden konnten. Nach neueren Grabungen im weiter westlich gelegenen Gräberfeld können einige Gräben in Verbindung mit en seitlichen Straßengräben einer römischen Straße gebracht werden. Einige Überschneidungen von Befunden belegen, dass auf diesem Areal in römischer Zeit wiederholt gravierende Veränderungen vorgenommen wurden. Unter den wenigen Baubefunden fällt ein 13 x 18 m großes Haus auf, das vom südlichen Straßengraben durchschnitten wurde. Demnach muss das Haus bei Baubeginn der Straße niedergelegt worden sein. Die alte Deutung als Anlegeplatz basiert auf dem Fund von verkohlten Getreidekörnern und größeren Mengen Amphorenscherben. Am ehesten wird man die Befunde und Funde mit der bis heute nicht eindeutig lokalisierten Lagervorstadt, den sogenannten cannabae legionis in Verbindung bringen dürfen.
 
 
 
 
 
 

5.3.3 Die Uferkastelle an der Hofestatt

 
 
 
Von den am Nordufer der Lippe gelegenen Uferkastellen an der Hofestatt sind vier zeitlich aufeinanderfolgende Bauphasen bekannt. Kennzeichnend für alle Bauphasen ist, dass die Anlagen durch eine Holz-Erde-Mauer und einen Spitzgraben geschützt sind und längs des ehemaligen Lippeufers keine Befestigung aufweisen. Der Befund eines 55 x 40 m großen, in der älteren Literatur als Speicher angesprochenen Gebäudes der vierten und damit jüngsten Phase, konnte als Grundriss von acht Schiffshellingen mit einer Länge von jeweils 28 m und einer lichten Weite von 6 m gedeutet wurde. Sie bildete eine Marinebasis, die wahrscheinlich schon im ersten Jahrhundert. v. Chr. angelegt wurde.


5.3.4 Das Hauptlager

Die Lagerfläche hatte die Form eines unregelmäßigen Rechtecks mit Längenausdehnung von Westen nach Osten von 560 m. Zwei Ausbauphasen sind bekannt: die erste mit einer Größe von 16,7 ha, die zweite mit einer von 18 ha. Die Umwehrung bestand aus zwei 5,5-6 m breiten und bis zu 3 m tiefen Spitzgräben und einer ca. 3 m breiten Holz-Erde-Mauer. Trotz des unregelmäßigen Lagerumrisses war die innere Lagerstruktur weitgehend rechtwinklig angelegt. Zwischen West-Tor und Ost-Tor verlief die ca. 30 m breite via principalis. Vom Süd-Tor führte die ca. 50 m breite via praetoria auf die principia zu. Auf der Innenseite der Holz-Erde-Mauer verlief die 15-18 m breite via singularis. In den Straßen waren die Entwässerungskanäle verlegt; einige Bauten, darunter auch Töpferöfen engten den Verkehrsraum ein. Im Schnittpunkt von via praetoria und via principalis lagen die principia mit den Ausmaßen von 49 x 54 m. Das hinter den principia gelegene praetorium bestand im wesentlichen aus mehreren kleinen Raumgruppen, die sich teilweise um ein atrium gruppierten.

In unmittelbarer Nähe von principia und praetorium befanden sich die Tribunenhäuser. Kennzeichnend für diese Bauten ist der säulenumstandene Innenhof, um den die einzelnen Raumgruppen angeordnet waren. Inklusive zweier weiterer Gebäude dieses Typs befanden sich im Hauptlager 12-13 sogenannte Tribunenhäuser, ungewöhnlich viele für ein Legionslager.

Die Mannschaftsunterkünfte lagen vornehmlich entlang der Umwehrung. Den bis zu 7 m langen Kasernen war ein verbreiterter, sogenannter Kopfbau vorangestellt: Wohn- und Arbeitsräume des Centurios. Das größte Lagergebäude war das etwa 80 x 44 m große valetudinarium (Lazarett) dessen Krankenzimmer sich um einen Innenhof gruppierten. Oberhalb des Lazaretts befand sich die fabrica, das Handwerkerzentrum. Aus der Erweiterung im östlichen Lagerareal sind nur die Grundrisse von zwei Tribunenhäusern und einem großen Speicher bekannt.

Das Hauptlager ist die bedeutendste unter den römischen Anlagen von Haltern. Mittlerweile mehr als 100 Jahre Ausgrabungstätigkeit haben es zu dem am besten und vollständigsten erforschten Legionslager aus der Zeit des Kaisers Augustus gemacht. Die Funktion des Hauptlagers als ein zunächst rein militärisch bestimmter Stützpunkt hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Als Anzeichen dafür sind hauptsächlich die zusätzlich errichteten und über den Bedarf einer regulären Legion hinausgehenden Gebäude zu sehen, die dem Bereich der Führung und Logistik zuzurechnen sind. Haltern hat sich vermutlich im 1. Jh. n. Chr. zu einem Hauptort in der neu zu errichtenden Provinz entwickelt.
Materialien für den Schulunterricht: Hermann-Josef Höper über das  Alltagsleben römischer Legionäre


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Modell der römischen Marinebasis auf der "Hofestatt" Haltern am See


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Modell der Bootshäuser auf der "Hofestatt", Haltern am See


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Modell des römischen Hauptlagers Haltern am See
 
 
 
 
 

5.3.5 Das Feldlager

 
 
 
An gleicher Stelle war vorher das sogenannte Feldlager gegründet worden, das im Gegensatz zum Hauptlager wohl keine feste Bebauung besaß. Es wurde gebildet durch eine Umwehrung aus einem ca. 4 m breiten und 1,5 m tiefen Spitzgraben mit aufgeschüttetem Erdwall dahinter und bot Platz für zwei Legionen, die hier offensichtlich in Zelten untergebracht waren.
 
 
 
 
 
 

5.3.6 Töpfereibezirk südlich des Hauptlagers

 
 
 
Ein beim Museumsneubau entdeckter Spitzgraben, der von Norden nach Süden verläuft, deutet auf ein weiteres Marschlager oder Sommerlager hin, dass vor dem sogenannten Feldlager angelegt worden sein muss.

Knapp außerhalb des Hauptlagers wurde in unmittelbarer Nähe der porta praetoria auch ein Töpferbezirk mit mindestens zehn Töpferöfen entdeckt. Der Bauweise nach handelt es sich um runde und viereckige Schachtöfen mit einer Lochtenne. Gebrannt wurde hier hauptsächlich einfache Gebrauchskeramik, aber auch Lampen, Terrakotta und Terrasigilata-Imitationen. In der Arbeitsgrube eines der Öfen wurden Skelettreste von mindestens 24 männlichen Toten gefunden. Das Zustandekommen dieses Massengrabes ist am ehesten mit Kämpfen zwischen römischen Legionären und Germanen in Verbindung zu bringen. Berücksichtigt man die völlig unrömische Bestattungsweise (unverbrannt und ohne Beigaben), so dürfte es sich hier am ehesten um Germanen handeln, die wohl bei einem erfolglosen Angriff auf das Hauptlager von Haltern getötet und hier notdürftig bestattet worden sind.

Da allerdings jegliche Beifunde fehlen, ist eine 100%ige ethnische Zuordnung nicht möglich. Ein Problem bildet auch die genaue Datierung: Grob datiert in die Belegungszeit der römischen Anlagen in Haltern, genauer vielleicht gegen Ende oder auch im Zusammenhang mit Kämpfen um oder nach der Varusschlacht.
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Modell eines Töpferbezirks im römischen Hauptlager Haltern am See
 
 
 
 
 

5.3.7 Das sogenannte Ostlager

 
 
 
Durch Zufall wurde 1997 der Spitzgraben eines neuen römischen Feldlagers entdeckt. Der Fundplatz liegt allerdings nicht wie die übrigen zwischen Lippe und Silverberg, sondern auf einer Geländehöhe, ca. 1,5 km Luftlinie östlich der bisher bekannten Fundstellen. Der Lagergraben konnte auf einer Länge von 320 m untersucht werden: Er ist bis zu 5 m breit und bis zu 2 m tief. Direkt am südwestlichen Grabenkopf setzte hier ein Fundamentgräbchen an, das halbkreisförmig in den Innenraum des Lagers reichte. In dem Gräbchen waren einst die Hölzer eines Palisadenzauns eingelassen. Diese Konstruktion endete gegenüber dem anderen Grabenkopf. Auf diese Weise wurde ein in die Länge gezogener und damit gut zu verteidigender Tordurchgang erreicht. Eine solche Torform bezeichnet man auch als clavicula-Tor. Dieser besondere Schutz eines Tores war bislang im Lagerbau der Zeit des Augustus unbekannt.

Außer den Fundamentzügen eines kleinen Gebäudes fanden sich im Lagerinneren die Reste von Feldbacköfen und Abfallgruben - wie schon von anderen Marschlagern bekannt. Die wenigen aussagekräftigen Funde erlauben lediglich eine Datierung in das 1. Jh. n. Chr. Allerdings wird wegen seiner exponierten, vom übrigen Halterner Stützpunkt entfernten Lage die Frage aufgeworfen, ob die Anlage vielleicht in die Zeit nach der Varusschlacht gehört.
 
 
 
 
 
 

5.3.8 Die Gräberstraße

 
 
 
Während die Halterner Anlagen zu den am besten erforschten Militäranlagen aus der Zeit des Augustus gehören, gab es bis 1982 dagegen fast keine Kenntnisse über Gräber und Grabfunde in Haltern, die eine mehr als 10-jährige Besetzungszeit mit etwa 4.000 Soldaten und dazugehörigem Tross zwingend erwarten lassen dürfte. In einem Geländestreifen südlich der vom Annaberg zum Hauptlager führenden Straßen konnten seit den 80er Jahren mehr als 100 römische Brandbestattungen geborgen werden. Bei vielen dieser Gräber wurden Reste ursprünglicher, kreisförmiger, oktogonaler oder rechteckiger Holzeinbauten sichtbar. Die Kreisförmigen kann man sich am ehesten als Grabhügel vorstellen. Als Beigaben kommen Salbölflaschen, kleine Krüge, Amphoren, Teller und Becher, vereinzelt Glasfläschchen und Münzen vor. Unter den herausragenden Funden aus diesen Gräbern befinden sich auch geschnitzte beinerne Reste von sogenannten Totenbetten, die z. T. mit Blattgold verziert waren. Aus den Untersuchungen der Leichenbrände der Toten geht hervor, dass hier auch Frauen und Kinder aus der Lagervorstadt bestattet worden sein müssen.


5.3.9 Datierung

Kriterien für eine absolute Datierung der einzelnen Anlagen von Haltern liegen nicht vor. Die Datierungsansätze basieren auf einer Analyse der Keramik, besonders der Terra Sigillata, der Untersuchungen der Fundmünzen und auf allgemeinen historischen Überlegungen. Bezogen auf den kompletten Ausbau des Hauptlagers einschließlich der zusätzlich errichteten Bauten und der Lagererweiterung wird mit einer Belegungszeit von mindestens 10 Jahren gerechnet. Dies bedeutet eine Anfangsdatierung um Christi Geburt, nicht sehr weit entfernt vom Ende der Drususfeldzüge, in die der Annaberg sowie die älteste Anlage auf der Hofestatt und das Feldlager gehören könnten. Ansonsten besteht über die innere Chronologie der einzelnen Anlagen keine Klarheit außer an den Stellen, wo die Befunde sich überschneiden.

Vorläufig wird das Enddatum im Zusammenhang mit der Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. zu sehen ein. Nach der Inschrift auf einem Bleibarren war hier zumindest zeitweise die in der Varusschlacht untergegangene 19. Legion stationiert.

Verschiedene nachträgliche Einbauten im Hauptlager, seine teilweise luxuriös anmutenden Wohnquartiere, die Häufung militärischer Anlagen an diesem Ort allgemein und die eigentlich für die Nachwelt angelegte Gräberstraße zeigen an, dass Haltern während der Okkupationsphase unter Augustus eine besondere Rolle zugekommen sein muss. Vielleicht befand sich hier die militärische Schaltstelle für die geplante Eroberung Germaniens und wahrscheinlich wurde hier die Gründung einer zivilen Siedlung, vielleicht sogar eines Hauptortes für die neu zu erobernden Gebiete geplant - ähnlich wie im hessischen Waldgirmes bei Wetzlar.
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Modell eines Grabtumulus im römischen Hauptlager Haltern am See


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Grabstein des Marcus Caelius, gefunden vermutlich am Fürstenberg bei Xanten


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Kleine Maske aus Elfenbein mit eingelegten Augen aus Glas, Haltern am See
 
 
 
 
 
 

6. Kurzbiografien

 
 
 
Publius Cornelius Tacitus (* um 55 † ca. 120 n. Chr.)
Der Historiograf Publius Cornelius Tacitus stammte vermutlich aus einer Familie des römischen Ritterstandes und begann eine erfolgreiche politische Ämterlaufbahn (cursus honorum) unter den flavischen Kaisern Vespasian, Titus und Domitian (70-96 n. Chr.). Als Schriftsteller hinterließ er der Nachwelt eine Biographie seines Schwiegervaters Gnaeus Iulius Agricola sowie geografische und historische Werke.

In seinen Annales (bzw. Ab excessu divi Augusti, geschrieben um 110-120 n. Chr.) gibt Tacitus einen ausführlichen Bericht über die Kampfhandlungen der Römer gegen die Germanen nach dem Tode des Augustus. Das Werk stellt eine wichtige Quelle zu den Ereignissen im rechtsrheinischen Germanien in der Folgezeit der verheerenden Niederlage des P. Quintilius Varus (9 n. Chr.) und der Feldzüge des Germanicus (14-16 n. Chr.) unter der Herrschaft des Tiberius dar.


Marcus (?) Velleius Paterculus (*19 v. Chr † 31 n. Chr.)
Velleius Paterculus diente zunächst als Militärtribun in Thracia und Macedonia und war Zeuge des Treffens zwischen C. Caesar und dem Partherkönig Phraates V. Paterculus wurde ab 6 n. Chr. Tiberius als legatus zunächst bei den Aufständen in Pannonien eingesetzt, später nahm er an den Feldzügen des Tiberius in Germanien teil. Bei dem Triumph des Tiberius im Jahre 12 n. Chr. war Paterculus ebenfalls in Rom zugegen.

Von seiner schriftstellerischen Tätigkeit zeugt sein heute unter dem Titel "Historia Romana" bekanntes Geschichtswerk in zwei Büchern, das um das Jahr 30 verfasst worden sein könnte. Von der Geschichte Germaniens unter Augustus und Tiberius, den Paterculus als Augenzeuge kannte, handeln große Teile des zweiten Buches.


Lucius Claudius Cassius Dio Cocceianus (*155 † 235 n. Chr.)
Der Schriftsteller und Historiograf Dio Cassius entstammte einer Senatorenfamilie aus der römischen Provinz Bithynien und begann seine erfolgreiche politische Karriere mit dem Eintritt in den Senat in der Regierungszeit des Kaisers Commodus (180-193 n. Chr.). In den folgenden Jahrzehnten bekleidete Dio Cassius als Praetor, Verwalter (curator) der Städte Pergamon und Smyrna sowie Statthalter (proconsul) der Provinzen Africa, Dalmatia und Pannonia superior hochrangige Staatsämter. Sein zweites Konsulat (229 n. Chr.) führte er gemeinsam mit dem Kaiser Alexander Severus, was eine seltene Ehre für einen römischen Konsuln darstellt und Dios Aufstieg in die höchsten Kreise der römischen Gesellschaft verdeutlicht.

Sein Hauptwerk, eine Abhandlung der römischen Geschichte von den mythologischen Anfängen bis zur Regierungszeit des Alexander Severus, umfasste ursprünglich 80 Bücher in griechischer Sprache. Die Geschichte Germaniens in augusteischer Zeit wird in den Büchern 55-57 behandelt.


L. oder P. Annaeus Florus
Florus, ein aus Afrika stammender Geschichtsschreiber kann zeitlich lediglich in die 1. Hälfte des 2. Jh. n. Chr. eingeordnet werden.

In seinen "Epitome bellorum omnium annorum DCC" beschreibt er hauptsächlich die römischen Kriege bis in die Zeit des Augustus nach Vorlagen aus Livius, Sallust, Caesar u. a.
 
 
 
 

7. Literatur

7.1 Allgemeine Geschichte

Bengston, Hermann
Grundriss der römischen Geschichte mit Quellenkunde I. Republik und Kaiserzeit bis 284 n. Chr. 2. Aufl. München 1970.

Bleicken, Jochen
Augustus. Eine Biographie. Berlin 1998.

Brepohl, Wilm
Neue Überlegungen zur Varusschlacht. Münster 2004.

Dahlheim, Werner
Geschichte der römischen Kaiserzeit. Oldenbourg-Grundriß der Geschichte, Bd. 3. 3. Aufl. München 2003.

Eck, Werner
Augustus und seine Zeit. 3. Aufl. München 2003.

Goetz, Hans-Werner / Welwei, Karl-Wilhelm (Hg.)
Altes Germanien. Auszüge aus den antiken Quellen über die Germanen und ihre Beziehungen zum Römischen Reich. Quellen der Alten Geschichte bis zum Jahre 238 n. Chr. 2 Bde. Darmstadt 1995.

Heuß, Alfred
Römische Geschichte. 6. Aufl. Braunschweig 1998.

Kienast, Dietmar
Augustus. Princeps und Monarch. 2. Aufl. Darmstadt 1992.

Riemer, Ulrike
Die römische Germanienpolitik von Caesar bis Commodus. Darmstadt 2006.

Schnurbein, Siegmar v.
Augustus in Germanien. Neue Archäologische Forschungen. Amsterdam 2002.

Wiegels, Rainer (Hg.)
Die Varusschlacht. Wendepunkt der Geschichte? Stuttgart 2007.
 
 
 
 
 
 

7.2 Westfälische Geschichte

Aßkamp, Rudolf / Wiechers, Renate
Westfälisches Römermuseum Haltern. 1996.
Im LWL-Römermuseum (früher Westfälisches Römermuseum Haltern) werden erstmals alte und neue Funde aus den Römerlagern an der Lippe unter einem Dach gezeigt. Das Buch gibt die Texte des Museums in erweiterter Form wieder und zeigt die wichtigsten Exponate in einem Erscheinungsbild, das an die grafische Gestaltung der Ausstellung angelehnt ist.

Beck, Heinrich u.a. (Hg.)
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde [RGA]. Zweite völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter.
Eine Reihe von Beiträgen im Reallexikon der germanischen Altertumskunde, dem grundlegenden wissenschaftlichen Lexikonwerk der Vor- und Frühgeschichtebefasst sich speziell mit den augusteischen Militäranlagen an der Lippe sowie mit den einzelnen Personen:
RGA 13, 1999, 460-469 s. v. Haltern (J.-S. Kühlborn).
RGA 15, 2000, 83-84 s. v. Holsterhausen (J.-S. Kühlborn).
RGA 18, 2001, 498-502 s. v. Lippelager (J.-S. Kühlborn).
RGA 21, 2002, 457-463 s. v. Oberaden (J.-S. Kühlborn).
RGA 25, 2003, 449-452 s. v. Rüthen (J.-S. Kühlborn).
RGA 30, 2005, 364-368 s. v. Teutoburger Wald (R. Wolters).
RGA 32, 2006, 81-86 s. v. Varus (R. Wolters).
RGA 32, 2006, 575-578 s. v. Volksaufgebote (R. Wolters).

Beck, Hans - Isenberg, Gabriele - Trier, Bendix (Hg.)
Bodenaltertümer Westfalens. Berichte des Westfälischen Amtes für Bodendenkmalpflege / Westfälisches Museum für Archäologie [BAW].
Die römischen Militärstationen an der Lippe zählen wegen der exakten Datierbarkeit zu den wichtigsten Fundorten für die provinzialrömische Archäologie in ganz Europa. Deshalb sind Materialpublikationen aus ihnen für die gesamte Fachwelt jedes Mal von besonderem Interesse, die in loser Reihenfolge in den Bodenaltertümern Westfalens (BAW) vorgelegt wurden:
Schnurbein, Siegmar v. (Hg.), Die unverzierte Terra Sigillata aus Haltern, BAW Bd. 19. Münster 1982.
Galsterer, Brigitte (Hg.), Die Graffiti auf der römischen Gefäßkeramik aus Haltern, BAW Bd. 20. Münster 1983.
Schnurbein, Siegmar v. (Hg.), Das Römerlager in Oberaden III. Die Ausgrabungen im nordwestlichen Lagerbereich und weitere Baustellenuntersuchungen der Jahre 1962-1988, BAW 27. Münster 1992.
Rudnik, Bernhard, Die verzierte Arretina aus Oberaden und Haltern, BAW 31. Münster 1995.
Harnecker, Joachim, Katalog der römischen Eisenfunde von Haltern, BAW 35. Mainz a. Rh. 1997.
Rudnik, Bernhard, Die römischen Töpferöfen von Haltern [=Die römischen Töpfereien von Haltern], BAW 36, Mainz 2001.
Müller, Martin, Die römischen Buntmetallfunde von Haltern, BAW 37. Mainz a. Rh. 2002.
Roth-Rubi, Katrin u.a., Varia Castrensia. Haltern, Oberaden, Anreppen, BAW 42. Mainz 2006.

Kühlborn, Johann-Sebastian (Hg.)
Germaniam pacavi - Germanien habe ich befriedet. Archäologische Stätten augusteischer Okkupation. Münster 1995.
Für die Zeit der römischen Feldzüge in Germanien sind die schriftlichen Quellen äußerst summarisch und zudem lückenhaft. Hier kann nur die Archäologie weiterhelfen, Überblick über die Ausgrabungsbefunde und ihre historische Auswertung in den Militärstandorten an der Lippe (Forschungsstand 1995) sowie thematisch verbundene Orte wie Nijmegen (Nl) und Kalkriese werden hier von den Fachleuten aus der Bodendenkmalpflege gegeben.

Neujahrsgruß. Jahresbericht der LWL-Archäologie für Westfalen und der Altertumskommission für Westfalen.
Der Rechenschaftsbericht der Bodendenkmalpflege, der Museen und der Altertumskommission erscheint jährlich und stellt die neusten Ergebnisse ungewöhnlich aktuell und präzise einer breiten Öffentlichkeit vor.

Rudnick, Bernhard
Kneblinghausen, Gemeinde Rüthen, Kreis Soest. Römerlager in Westfalen, Heft 1. Münster 2008.
Auftakt einer populären Reihe "Römerlager in Westfalen", in der alte Forschungen und neueste Grabungsergebnisse einem breiten Publikum präsentiert werden.

Trier, Bendix (Hg.)
2000 Jahre Römer in Westfalen. Mainz 1989.
Informationstext fehlt

Trier, Bendix (Hg.)
Die römische Okkupation nördlich der Alpen zur Zeit des Augustus. Kolloqium Bergkamen 1989, Bodenaltertümer Westfalens, Bd. 26. Münster 1991.
Aus Anlass der Ausstellung "2000 Jahre Römer in Westfalen" veranstaltetes Kolloquium vom 4. bis 7.10.1989 in Bergkamen zu Themen der römisch-germanischen Auseinandersetzungen in augusteischer Zeit. Im Mittelpunkt der Beiträge stehen neueste Ausgrabungsergebnisse (Forschungsstand ca. 1988) in entsprechenden Militärlagern nördlich der Alpen vor allen an der Lippe. Daneben wird die Problematik der Datierung der entsprechenden Fundplätze ebenso behandelt wie Einzelphänomene z. B. Gräberstraßen oder Militärhäfen.

Wolters, Reinhard
Die Römer in Germanien. 4. Aufl. München 2004.
Informative und populäre Darstellung der Geschichte der Römer in Germanien, die natürlich) nicht mit dem Jahr 16 n. Chr. endet. Die römischen Unternehmungen bis zum Verzicht unter Tiberius auf Germanien nehmen allerdings breiten Raum ein. Im letzten Kapitel wird die Rezeptionsgeschichte der Römer in Germanien , die durch die Varusschlacht und das Bild des Arminius bestimmt wird, in Literatur, bildender Kunst und Musik bis hin zur Politik dargestellt.
 
 
 
Stand des Haupttextes: 2004.