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Medizin-Promotionen Akademische Ramschware

Mediziner-Dissertationen stehen in einem schlechten Ruf, nicht erst seit den Plagiatsvorwürfen gegen Ursula von der Leyen. Wissenschaftsverbände fordern seit Jahren ein Ende der Schmalspurpromotion - bisher vergebens.
Mediziner in Hamburg (Archiv): Die Promotion gehört dazu

Mediziner in Hamburg (Archiv): Die Promotion gehört dazu

Foto: Angelika Warmuth/ picture alliance / dpa

Ein opulentes Werk war es ohnehin nicht, das Ursula von der Leyen die begehrten zwei Buchstaben vor dem Namen brachte. Gerade einmal etwas mehr als 60 Seiten umfasst die Dissertation der CDU-Politikerin. Und selbst dieser schmale Band entspricht laut der Plagiatsexperten der Internetplattform VroniPlag Wiki  nicht den wissenschaftlichen Standards. Auf zahlreichen Seiten wollen sie Plagiate entdeckt haben.

Die Ministerin und ausgebildete Ärztin ist nicht die einzige, deren wissenschaftliche Meriten zweifelhaft sind: Mit von der Leyens Doktorarbeit rücken die traditionell dünnen Dissertationen in der Medizin in den Fokus.

Auf die Mediziner sind die Plagiatsexperten bereits seit längerer Zeit aufmerksam geworden: Von den 152 Arbeiten, die VroniPlag Wiki dokumentiert, stammen mittlerweile mehr als 80 von Medizinern und Zahnmedizinern. Zum Teil mit atemberaubenden Plagiaten: Ein Doktorand der Universität Münster hatte demnach seine ganze Arbeit von einem Vorjahres-Promovenden abgeschrieben. Und auch die Vorlage war schon zusammengeschustert: Bei dem Doktoranden wiederum fand die Internetplattform auf 94,44 Prozent der Seiten Plagiate. Ähnliche Plagiatsketten fanden sich an der Charité in Berlin - und sie werfen ein schlechtes Licht auf die Promotionskultur im Fach.

Kaum ein Arzt ohne Titel

In kaum einer Disziplin wird so schnell, so schlecht und so uninspiriert promoviert wie in der Medizin. Während Absolventen anderer Fächer erst nach ihrem Abschluss mit der Promotion beginnen können, dürfen Mediziner oft bereits während des Studiums ihre Dissertation verfassen. Für die Mehrheit der angehenden Ärzte ist der Doktortitel immer noch eine Selbstverständlichkeit.

Mediziner machen zwar nur rund sechs Prozent aller Studenten aus, stellen aber einen Großteil der Doktoranden. 7326 Mediziner haben im Jahr 2014 laut Statistischem Bundesamt  die Hochschule mit einem Doktortitel verlassen. Damit entfallen auf die Medizin mehr Promotionen als auf alle Sprach-, Kultur-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zusammen.

Gleichzeitig gehen die Mediziner auffällig leidenschaftslos an ihre Doktorarbeit, wie eine Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung  zeigt: Nur 63 Prozent der Medizin-Doktoranden entscheiden sich für die Promotion, weil sie an einem interessanten Thema forschen wollen. Unter allen Doktoranden sind es 77 Prozent. Nur 39 Prozent der Mediziner wollen mit ihrer Doktorarbeit fachlichen Neigungen folgen - auch das ein Negativrekord unter den Disziplinen.

Zu viel Ehrgeiz wird zudem mitunter durch die Hochschulen gebremst. In den Richtlinien der Medizinischen Fakultät in Gießen etwa heißt es: "Der Umfang der Doktorarbeit sollte mindestens 50 Seiten Hauptteil umfassen, jedoch den Umfang von circa 100 Seiten nicht überschreiten". In Würzburg galt lange Zeit eine Maximallänge von 40 Seiten für medizinische Doktorarbeiten. Dort bekam zum Beispiel eine Zahnmedizinerin 2002 mit einer gerade einmal 24 Seiten langen Dissertation den ersehnten Titel.

Kritik vom Wissenschaftsrat

Auch unter Hochschulexperten haben die Doktorarbeiten der Medizin keinen guten Ruf. Der Europäische Forschungsrat beschloss vor fünf Jahren, dass der Dr. med. nicht mit Promotionen anderer Länder gleichzustellen sei. Deutsche Mediziner, die sich um Fördergeld der EU-Institution bewerben, müssen deshalb ihre wissenschaftliche Eignung gesondert nachweisen. Für alle anderen reicht die Promotion.

Der Wissenschaftsrat, das wichtigste Beratungsgremium der Politik in Fragen rund um Forschung und Lehre, rügte die Mediziner-Promotion bereits 2004: "Medizinische Dissertationen und Habilitationen, abgesehen von den auch hier existierenden hervorragenden Arbeiten, erreichen oftmals nicht das wissenschaftliche Niveau, das in anderen Disziplinen üblich ist", urteilte das Gremium.

In der Disziplin habe sich ein bedenkliches "Gewohnheitsrecht entwickelt, demzufolge die Verleihung des Doktorgrades weitgehend unabhängig von der Qualität der Promotionsleistungen erfolgt", schreiben die Gutachter des Wissenschaftsrates. Immer wieder hat das Gremium in der Folge seine Kritik erneuert. Getan hat sich bislang wenig.