Vor 50 Jahren
Der 16. Mai 1950. Mainz wird Regierungssitz von Rheinland-Pfalz.
Am 16. Mai 1950 stimmte der rheinland-pfälzische Landtag während seiner 81. Sitzung im Görresbau in Koblenz einer Verlegung des Regierungssitzes nach Mainz zu. Ausgangspunkt dieser Entscheidung war die Verordnung Nr. 57 der französischen Besatzungsmacht vom 30. August 1946, die Mainz zur Landeshauptstadt bestimmte. Die starken Kriegszerstörungen der Stadt machten es allerdings erforderlich, daß die Landesregierung ihren provisorischen Sitz in Koblenz einrichtete. Seit 1949 wurde die Hauptstadtfrage immer intensiver mit der Diskussion um die Neugliederung der Bundesländer und der Akzeptanz des Landes verknüpft. Ministerpräsident Altmeier, der diese Frage nutzen wollte, um die landespolitische Entscheidungskompetenz und die Zukunftsfähigkeit des Landes zu demonstrieren, sah allerdings nicht voraus, daß eine eindeutige Aussage erst bei der dritten Abstimmung im Landtag am 16. Mai 1950 erreicht werden konnte. Die Entscheidung für Mainz, die den Wünschen der Besatzungsmacht entsprach und landesweit weitgehend akzeptiert wurde, führte zur weiteren Konsolidierung des jungen Bundeslandes.
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"Vielleicht werden die deutschen Nachkriegsjahre seit 1945 neben anderen mehr oder weniger schmeichelhaften Bezeichnungen einmal als die moderne Epoche des unblutigen Städtekriegs in die Geschichte eingehen. [...] Frankfurt und Bonn machten der jungen Bundesrepublik das Leben schwer. Im Hintergrund wartet die alte Reichshauptstadt auf ihre große Stunde. Gestern wurde nun der jüngste Städtekrieg beendet. Er geht uns an. Der Landtag von Rheinland-Pfalz entschied sich nach dreimaligem Anlauf endgültig für Mainz." Dieser Kommentar der Trierischen Landeszeitung vom 17./18. Mai 1950 bezog sich auf die 81.Sitzung des rheinland-pfälzischen Landtages, die am 16. Mai im Görresbau in Koblenz stattgefunden hatte. Mit 49 gegen 32 Stimmen bei 3 Enthaltungen wurde ein Initiativantrag von 42 Abgeordneten der CDU und der SPD betreffend die Verlegung des Sitzes der Landesregierung angenommen und damit die monatelangen Auseinandersetzungen um die Frage der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt endgültig beendet.
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Der eigentliche Ausgangspunkt für diese Entscheidung war sehr eindeutig. In der von dem Oberkommandierenden der französischen Besatzungsmacht, General Pierre König, erlassenen Verordnung Nr. 57 vom 30. August 1946 war Mainz zur Landeshauptstadt bestimmt worden. Allerdings mit der Einschränkung, das in der stark kriegszerstörten Stadt erst "...die entsprechenden wohnlichen Voraussetzungen geschaffen werden..." mußten. In Übereinstimmung mit der Besatzungsmacht richtete die Landesregierung ihren provisorischen Sitz deshalb im November 1946 in Koblenz ein. Erst 1949 kam wieder Bewegung in die Hauptstadtfrage. Nachdem die Diskussion Ende des Jahres 1948 durch einen Vorstoß des Mainzer Oberbürgermeister Dr. Kraus begonnen hatte, wurde diese Frage seit 1949 mit der durch die Verabschiedung des Grundgesetzes aufkommenen Diskussion um die Neugliederung der Bundesländer (Art. 29 GG) verknüpft. Rheinland-Pfalz war in der Meinung einer breiten Öffentlichkeit zur damaligen Zeit " [...] eine
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Zwangskonstruktion, ein fehlerhaftes Gebilde, eine künstliche Verwaltungseinheit." Ministerpräsident Altmeier sah in der Hauptstadtfrage eine Möglichkeit, die eigenständige landespolitische Entscheidungskompetenz und damit die Zukunftsfähigkeit des Landes zu demonstrieren. Der Ministerpräsident war sich darüber im Klaren, daß im Süden des Landes und hier vor allem in der Pfalz nur Mainz als Landesmetropole akzeptiert werden würde. Dementsprechend setzte sich der Koblenzer Altmeier von Anfang an für Mainz ein. Allerdings waren insgesamt drei Anläufe nötig, um eine endgültige Entscheidung für die rheinhessische Metropole herbeiführen zu können.
Am 29. November 1949 wurde auf Antrag der CDU lediglich eine Aufschiebung der Entscheidung beschlossen, da die räumlichen Voraussetzung für einen Umzug noch nicht vorhanden waren. Eine endgültige Entscheidung konnte auch am 4. April 1950 nicht erreicht werden. Durch ein überraschendes Ergebnis von 43 zu 43 Stimmen wurde der Antrag auf Verlegung der Landesregierung abgelehnt. Ministerpräsident Altmeier stand nun gegenüber der französischen Besatzungsmacht, die intensiv auf eine baldige Entscheidung zu Gunsten von Mainz gedrängt hatte, in einem akuten Erklärungsnotstand. Die äußerst enttäuschten Franzosen, die dem Ministerpräsidenten doppeltes Spiel in dieser Frage vorwarfen, übten jetzt u.a. durch Wohnungsbeschlagnahmungen einen zunehmenden Druck auf die rheinland-pfälzische Regierung aus.
Erst durch den Initiativantrag vom 15. Mai konnte diese Situation entschärft werden. Der KPD Abgeordnete Schieder, der in seinem Redebeitrag der Besatzungsmacht Erpressungspolitik vorwarf, kritisierte während der Debatte über den Antrag am 16. Mai das Vorgehen der Regierung in der Hauptstadtfrage. "Man scheint also auf dem pfiffigen Standpunkt zu stehen, daß alles erlaubt sei, was nicht ausdrücklich verboten ist, und macht sich offenbar wenig Gedanken darüber, wie man einem neuen Beschluß jene Verbindlichkeit geben kann, die man der ersten Entscheidung kurzerhand nun unbegründet entziehen will. Doch wozu die Gedanken, wenn man ein souveränes Parlament hat. Wer will es daran hindern, sich selbst nicht ernst zu nehmen, und das Hauptstadtspiel, weil es nun einmal so schön und aufregend ist, ein drittes und viertes Mal zu wiederholen, falls auch der zweite Beschluß einigen nicht gefallen sollte." Der Ministerpräsident stellte in seiner Erwiderung fest, "[...] daß die Landesregierung den Beschluß des Hohen Hauses vom 4. April hingenommen hat. Wenn der jetzt vorliegende Antrag zahlreicher Mitglieder des Hauses den damaligen Antrag der Regierung und des Ältestenrates auf Verlegung der Landesregierung von Koblenz nach Mainz erneut aufgreift, kann ich namens der Landesregierung erklären, daß sie sich diesem Antrag anschließt."
Insgesamt wurden in dieser erneuten Hauptstadtdebatte allerdings nur sehr wenige kritische Stimmen gegenüber einer Verlegung laut. Der Staatssekretär des Wiederaufbauministeriums Schmidt stellte in Beantwortung einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Dr. Zimmer dar, daß ein Verbleib der Landregierung in Koblenz durch die Raumforderungen der Franzosen in beiden Städten für das Land mit mehr Kosten verbunden wäre als der Umzug nach Mainz. Vor dem Hintergrund der Diskussion um den Bestand des Landes bzw. der Länderneugliederung und des wachsenden Drucks der französischen Besatzer entschied sich der Landtag schließlich für eine Politik des Ausgleichs. Die eindeutige Mehrheit der Abgeordneten stimmte für die Verlegung des Zentrums nach Süden, um dadurch ein Zusammenwachsen der einzelnen Landesteile zu begünstigen.
Während die Mainzer Zeitungen über diese Entscheidung in einen verständlichen Jubel ausbrachen, war die Enttäuschung in Koblenz sehr groß. Mit Verbitterung kritisierte die Rhein-Zeitung am 17. Mai die Entscheidung des Landtages: "[...] Da mehrere Abgeordnete innerhalb von sechs Wochen ihre Auffassung in der Hauptstadtfrage auf den Kopf gestellt hatten, wurde Mainz Regierungssitz. Man kann mit Fug und Recht fragen: Wie lange? Wer stellt den nächsten Antrag? Wann ergibt sich die nächste neue Situation, die in der Hauptstadtfrage zum soundsovielten Male eine neue Entscheidung fordert? [...]" Der Koblenzer Oberbürgermeister Schnorbach betonte in der Rhein-Zeitung vom 19. Mai, daß er bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen habe, daß der Verbleib der Landesregierung für Koblenz eine Existenzfrage sei. Er bemängelte, daß weder dieser Einwand noch seine Warnungen über die sehr hohen Kosten eines Umzuges bei der Abstimmung am 16. Mai eine Rolle gespielt hätten. Nach Schnorbachs Ansicht war die Entscheidung für Mainz "eine Rechnung, die nicht aufgeht."
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Es zeigte sich allerdings, daß sich der Koblenzer Oberbürgermeister irrte. Die öffentliche Diskussion beruhigte sich sehr schnell. Der vom Landtag gebilligte Finanzrahmen für den Umzug in Höhe von einer Million DM konnte eingehalten werden. Am 24. Juli 1950 begrüßte der Mainzer Oberbürgermeister Franz Stein die ersten Beamten der rheinland- pfälzischen Staatskanzlei mit "Weck, Worscht und Wein". Bis zum Mai 1951 waren alle Ministerien und der Landtag in der rheinhessischen Stadt untergebracht, so daß am Verfassungstag des Landes, am 18. Mai 1951, die erste Sitzung des Landtages im Deutschhaus stattfinden konnte.
Quellen
- LHAKo Bestand 700,177, Nr. 24. Nachlaß Dr. Adolf Süsterhenn. Landeshauptstadt Mainz oder Koblenz?
- LHAKo Bestand 700,177, Nr. 70. Nachlaß Dr. Adolf Süsterhenn. Koblenz oder Mainz?
- LHAKo Bestand 709,2, Nr. 26. Rhein-Zeitung Ausgabe Koblenz. Mai 1950
- LHAKo Bestand 710, Nr. 2286. Ehemaliges Zeughaus.
- LHAKo Bestand 710, Nr. 3399. Ehemaliges Zeughaus nach dem Wiederaufbau. Staatskanzlei
- LHAKo Bestand 713, Nr. 60. Trierische Landeszeitung, Mai 1950
- LHAKo Bestand 713, Nr. 27. Die Rheinpfalz, Mai 1950
- LHAKo Bestand 713, Nr. 207. Staatszeitung. Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz, Mai 1950
- LHAKo Bestand 860, Nr. 993. Wiederaufbau Mainz
- LHAKo Bestand 860, Nr.1559. Grundsätzliches, Bd. 1. 1948-1950
- LHAKo Bestand 860, Nr. 1628. Landtag. Anfragen und Anträge
- Landtag Rheinland-Pfalz. Die Stenographischen Berichte. 1. Wahlperiode 5.7.1949 bis 16.05.1950
Literatur
- Peter Altmeier: Reden 1946-1951. Ausgewählt und herausgegeben von K.M. Graß und F.-J. Heyen. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 2, Boppard 1979
- P. Brommer: Koblenz oder Mainz? Die Verhandlungen über die Verlegung des Sitzes der Landesregierung, in: Landeskundliche Vierteljahrsblätter, Jahrgang 28, 1982, S. 65-73
- K.M. Graß: Von Koblenz nach Mainz - Die Hauptstadtfrage, in: Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945-1951, hg. v. F.-J. Heyen. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1984, S. 433- 449
- H. Küppers: Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946-1955. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 14, Mainz 1990
- Mainz. Die Geschichte der Stadt. Hg. im Auftrag der Stadt v. F. Dumont, F. Scherf und F. Schütz, Mainz 1998
- H. Mathy: 50 Jahre. Ein Querschnitt durch die Geschichte, in: Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. von Heinz-Günter Borck unter Mitarbeit von Dieter Kerber. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 73, Koblenz 1997, S. 23-60