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E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit (Nr. 1, Januar 2000, S. 15-18)


Hernando de Soto (1941 - )
Die Legalisierung des Faktischen

Hans H. Bass, Markus Wauschkuhn


Die von den Behörden drangsalierten "informellen" Kleinproduzenten und Straßenhändler in den großen Städten der Entwicklungsländer sind für de Soto keine Klientel für soziale Betreuung, sondern fähige Unternehmer, die nur einer einzigen Unterstützung bedürfen, um ihr wirtschaftliches Potenzial zu entfalten: der Beseitigung der bürokratischen Hürden. Staatskritisch, markt-optimistisch, das freie Unternehmertum predigend, vertritt Hernando de Soto doch zugleich einen emanzipatorischen Ansatz, der den Migranten in den großen Städten ihre Würde zurückgibt, indem er ihr Menschenrecht auf Eigentum und freie wirtschaftliche Betätigung einfordert.



I.

Der Lebensweg von Hernando de Soto, geboren 1941 in Arequipa, Peru, zeigte zunächst wenig Berührung mit dem Leben der Landflüchtigen in den großen Städten der Entwicklungsländer, mit ihrem Überlebenskampf im Kleingewerbe, in den Slums und Squattersiedlungen der Dritten und Vierten Welt. Mit seiner Familie verließ der Diplomatensohn Peru als Sechsjähriger und erhielt seine gesamte Ausbildung im Ausland. Ein wirtschaftswissenschaftliches Studium schloss er am Genfer Institut Universitaire des Hautes Études Internationales ab. Folgerichtig lagen erste berufliche Stationen auf dem Parkett der internationalen Diplomatie und in den Vorstandsetagen von Großunternehmen. So arbeitete er 1968-1971 als Volkswirt beim GATT, wurde von 1971 bis 1973 Präsident des Exekutivkomitees der Organisation Kupferexportierender Staaten (CIPEC) und 1973-1979 Direktor der Schweizer Bank Corporation Consultant Group. 1979 kehrte de Soto, zunächst als Manager eines Bergbauunternehmens, nach Peru zurück. Kurz darauf wurde er zum Gouverneur der Zentralbank Perus berufen (1979-1980).

Sein Heimatland befand sich zu dieser Zeit in einer tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Krise: Anschläge der maoistisch inspirierten Guerillagruppe des "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) legten wichtige Teile der Infrastruktur, etwa die Stromversorgung Limas, lahm und schüchterten die Bevölkerung ein; Armee- und Polizeieinheiten suchten eine ebenso gewalttätige wie diffuse Vergeltung. Inflation und Kapitalflucht waren wesentliche ökonomische Probleme, und zunehmend folgte die peruanische Mittel- und Oberschicht ihrem Kapital ins Ausland, um Bürgerkrieg und Güterknappheit zu entkommen.

Trotzdem aber gab es in Peru wirtschaftliches Leben - mehrheitlich allerdings außerhalb der offiziellen Regeln. De Soto bemerkte, welche große Bedeutung diese "informelle" Wirtschaft in seinem Heimatland hatte: unregistrierte Unternehmen, die Arbeitsgesetze oder Steuervorschriften missachteten; Häuser, die ohne Baugenehmigung auf Land ohne Eigentumstitel errichtet wurden und Beamte, die bestochen werden mussten, damit sie diese Gesetzesverstöße übersahen.

De Soto begann, die Bedeutung des "informellen Sektors" genauer zu untersuchen. Dazu gründete er 1980 das Instituto Libertad y Democracia (ILD). Hier entstand auch sein Hauptwerk, "El otro sendero" (1986: "Der andere Pfad"; erst 1992 ins Deutsche übersetzt als "Marktwirtschaft von unten").

Die aus den dort gewonnenen Erkenntnissen resultierende wirtschaftspolitische Strategie der Eigentumsverleihung an die "Informellen" versuchte de Soto anschließend durchzusetzen, in engster Abstimmung mit dem politischen Establishment Perus: Er wirkte zunächst als Berater des peruanischen Präsidenten Alan García Pérez in dessen letztem Amtsjahr (1989). Trotz der anfänglichen Unterstützung des im Wahlkampf unterlegenen Literaten Mario Vargas Llosa wurde de Soto schließlich wirtschaftspolitischer Berater und "besonderer Vertreter" des gewählten Präsidenten Alberto Fujimori (1990-1992). Das zur Erforschung und schließlichen Legitimierung der Schattenwirtschaft angetretene Institut wurde zu einer Art "Schattenregierung" und konnte große Teile der informellen Wirtschaft tatsächlich legalisieren sowie an einem Liberalisierungsprogramm für die peruanische Volkswirtschaft mitwirken.

Seit Präsident Fujimoris Putsch zur Machterhaltung, dem "autogolpe" von 1992, besteht de Soto auf seiner wissenschaftlichen Unabhängigkeit. Gegenwärtig arbeitet er an einem Werk über die ausbleibende Kapitalformation in Entwicklungs- und Transformationsökonomien.


II.
Entwicklungstheoretisch relevante
Aspekte seines Werkes

De Sotos Beitrag zur Entwicklungstheorie folgt einem interdisziplinären Ansatz, der Aspekte der Migrations- und Arbeitsmarkttheorie und der Theorie wirtschaftlicher Systeme, insbesondere der Institutionentheorie, umfasst.

Ältere Theorien über den Arbeitsmarkt in Entwicklungsländern (W. A. Lewis; Harris/Todaro) vermuteten, dass im Zuge des wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses Arbeitskräfte vom traditionellen Sektor (der Landwirtschaft) in den modernen städtischen Industriesektor abwanderten. Dort, wo eine Absorption nicht sofort möglich war, würden übergangsweise Gelegenheitsarbeiten angenommen. Erst im Laufe der 70er Jahre erkannte man,

  • dass diese Tätigkeiten keinesfalls temporär waren, sondern häufig eine lebenslange Beschäftigungsform;
  • dass es sich überdies um eine Lebens- und Arbeitsweise mit eigenen, entwicklungsländertypischen Charakteristika handelte; und
  • dass es sich schließlich um kein marginales Phänomen, sondern um ein zentrales Moment der Volkswirtschaften von Entwicklungsländern handelte.

Die neuere Sicht betonte zudem, dass diese Aktivitäten nicht schlechthin als rückständig und der Entwicklung hinderlich angesehen werden könnten, sondern im Gegenteil ein beachtliches unternehmerisches Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe mit großer Bedeutung für den Entwicklungsprozess darstellten.

Keith Hart prägte mit seinen Beobachtungen aus Accra (veröffentlicht 1973) den Begriff der "informellen Einkommensmöglichkeiten", unterschieden nach "legitimen" Tätigkeiten, wie Schneidern, Transport, Kleinhandel, sowie "illegitimen" Dienstleistungen wie Hehlerei, Drogenhandel, Prostitution, Schmuggel. Gleichzeitig (veröffentlicht 1972) definierte eine ILO-Studiengruppe in Kenia den "informellen Sektor" der Volkswirtschaft mit sieben Kennzeichen, darunter das Fehlen von Zutrittsbarrieren für Neuankömmlinge, die arbeitsintensive und den lokalen Verhältnissen angepasste Technologie, und die unregulierten und wettbewerbsintensiven Märkte.

In diesem Diskussionszusammenhang ist de Sotos Ansatz zu verorten. Seinen Begriff der Informalität definiert er aber mit nur einem zentralen Kriterium: der Nichtgesetzmäßigkeit der wirtschaftlichen Aktivität (Wohnen, Handel, Transport). Informalität ist bei ihm kein betriebliches oder den Arbeitsprozess betreffendes Charakteristikum, sondern ein institutionelles.

Die Betonung institutioneller Aspekte knüpft an Gedanken der Neuen Institutionenökonomie an, wie sie der Nobelpreisträger D. C. North vertritt. Zentrale Begriffe sind dort die Eigentumsrechte (property rights) und die bei deren Transfer anfallenden Transaktionskosten, d. h. die Kosten der Suche nach Informationen über Preise, Produkte, Märkte oder über den Geschäftspartner. Direkte Kosten beim Abschluss eines Vertrags und Kosten der Absicherung der Eigentumsrechte sind wichtige Bestandteile von Transaktionskosten, hinzu kommen Kosten der Überwachung des Vertrages und der Sanktionierung seiner Nichteinhaltung. Die Einführung von gesicherten Eigentumsrechten und von rechtlichen Institutionen guter Qualität können die Transaktionskosten der einzelnen Übertragungsvorgänge senken.

Hohe Transaktionskosten, wie sie typischerweise in Gesellschaften mit unzureichenden Institutionen vorherrschen, können unternehmerisches Handeln sogar verhindern, wenn sie die erwarteten Gewinne übersteigen. Wirtschaftliche Dynamik ist im Theorierahmen der Neuen Institutionenökonomie vor allem eine Frage der Art und der Entwicklung der Institutionen eines Landes - der Aufbau von Institutionen ist also ein essentieller Teil des Entwicklungsprozesses.

In seinem Werk kombiniert de Soto in beeindruckender Weise theoretische Überlegungen, empirische Wirtschaftsforschung und praktische wirtschaftspolitische Empfehlungen. Zur Erhebung der Daten über Transaktionskosten schlüpfte das Institut in die Rolle eines Existenzgründers, der sein Unternehmen offiziell anmelden will - unter möglichster Vermeidung von Bestechung und anderen außergesetzlichen Wegen. Nicht weniger als 289 Tage brauchte dieser Versuch im Rahmen einer experimentellen Wirtschaftswissenschaft - Nachweis nicht nur der vorhandenen bürokratischen Hürden, sondern wirtschaftswissenschaftlich betrachtet auch der Nachweis hoher Kosten der Formalisierung eines Unternehmens. Der Zugang zu formellem Grundeigentum erforderte nach anderen Erhebungen de Sotos für einen Armen sogar sieben Jahre Auseinandersetzung mit Behörden und Ämtern.

Kernstück der Argumentation de Sotos ist eine Aufrechnung der betrieblichen Kosten mit dem Nutzen der Informalität. Dazu gehören als Kosten der Formalität (bzw. deren Fehlen als Vorteile der Informalität) die Markteintrittskosten, also der entgangene Gewinn für die Wartezeit vor der Registrierung eines Unternehmens sowie die Kosten der Registrierung eines Unternehmens. Hinzu treten noch die Marktteilnahmekosten: Steuern und andere, insbesondere beschäftigungsabhängige steuerähnliche Abgaben.

Diese nur in der Formalität entstehenden Kosten zusammenrechnend könnte man meinen, es sei für einen Unternehmer ökonomisch rationaler, informell zu operieren. Dieser Vermutung widerspricht de Soto, indem er die Kosten der Informalität erläutert. Diese entstehen durch den Zwang, möglichst "unsichtbar" zu bleiben und das Risiko einer Entdeckung (etwa im Zuge von Slumsanierungen) zu minimieren. Werbung beispielsweise ist für ein informelles Unternehmen kaum möglich, und auch die Beschäftigten müssen auf mehrere Standorte verteilt werden, um der Entdeckung leichter zu entgehen ("Strafvermeidungskosten").

Dies alles bedeutet, dass für das Unternehmen keine Skalenerträge (die Vorteile der Großproduktion) realisierbar sind und ein geringerer Umsatz als in einem vergleichbaren formalisierten Unternehmen erzielt wird. Unterkapitalisierung tritt auf, weil Maschinen sich nicht verstecken lassen und sich zudem manche Anlagen nur lohnen, wenn eine große Anzahl von Arbeitern beschäftigt werden kann; große und langfristige Investitionen verbieten sich, wenn das Unternehmen durch eine Laune des lokalen Polizeichefs geschlossen werden könnte. Höhere Kosten entstehen auch, da keine handelserleichternden Instrumente wie der Besuch von Messen oder die Ausgabe von Handelswechseln einsetzbar sind.

Hinzu treten Transferzahlungen: Um trotz der Kontrollen durch die Behörden weiter operieren zu können, müssen die informellen Unternehmer weit höhere Bestechungsgelder bezahlen als formelle Unternehmen, ebenso wie für Ausgaben zur Vermeidung von Steuern und zur Umgehung von Arbeitsgesetzen. Da eine Umsatzsteuer nicht verrechnet werden kann, findet eine indirekte Besteuerung bei Käufen von Vorleistungen vom formellen Sektor statt. Absprachen und Verträge werden im informellen Sektor meist mündlich vereinbart - und damit ohne die Möglichkeit, sie vor Gerichten durchzusetzen. Langfristige Geschäftsbeziehungen und Transaktionen mit höherem Risiko werden so verhindert.

Da der Besitz der "Informellen", insbesondere der Immobilienbesitz, aufgrund der fehlenden Eigentumstitel nicht als Sicherheit anerkannt wird, bleiben ihnen auch die Türen des offiziellen Bankensektors verschlossen. Informelle Unternehmen sind so gezwungen, sich die notwendigen Kredite zu erhöhten Zinsen bei informellen Geldverleihern zu beschaffen; die erzwungene hohe Kassenhaltung bringt zudem im Falle einer Inflation Verluste gegenüber den zinstragenden Bankguthaben. Die fehlenden Eigentumstitel behindern auch den Kauf und Verkauf von Immobilien und Anlagen. De Soto nennt den Besitz der informellen Unternehmer "totes Kapital", denn obwohl sie über Häuser und Maschinen verfügen, sind sie nicht in der Lage, dieses Kapital ökonomisch zu nutzen, können es nicht veräußern, nicht beleihen. In Ägypten, so stellten de Soto und das ILD neuerdings fest, leben mehr als 90% der städtischen und mehr als 80% der ländlichen Bevölkerung in illegal errichteten Häusern - mit einem geschätzten Gegenwert vom Dreifachen des ägyptischen Sozialprodukts.

Die Schlussfolgerung dieser Argumentation lautet: Es ist entgegen einer ersten Vermutung tatsächlich weniger effizient für ein Unternehmen, informell zu operieren. Zwar ist die Gründung eines Unternehmens leichter, die laufenden Kosten sind jedoch höher als in der Formalität. Die Informalität wirkt wie ein Deckel für die unternehmerische Dynamik, sie behindert das wirtschaftliche Gedeihen.

Schon im Titel ist de Sotos bisheriges Hauptwerk auch eine Kampfansage gegen die revolutionären Ideen der bewaffneten Opposition des Sendero Luminoso. Während die kommunistischen Staatsfeinde die Lösung wirtschaftlicher Probleme von einem von ihnen beherrschten Staatsapparat erwarten, ist de Soto in wirtschaftlichen Fragen in nicht weniger extremer Weise "staatsfeindlich". Informalität ist für de Soto der Ausbruch der "echten" Marktkräfte aus der Zwangsjacke des "Merkantilismus" - der den Administrationen in Entwicklungsländern attestierten Idee, dass das wirtschaftliche Wohlergehen eines Landes durch staatliche Regulierung zu erreichen sei. Der informelle Unternehmer ist demnach kein marginaler, ineffizienter Produzent, sondern ein besonders unternehmerischer Akteur, der sogar überleben kann, obwohl der Staat seine Aktivitäten beschränkt (vor allem aus Gründen des Interessenschutzes der bereits Arrivierten, der urbanen Eliten, gegen die Neuankömmlinge vom Land).


III. Wirkungsgeschichte
a. Entwicklungstheorie

Viele der Kriterien der frühen Definition des informellen Sektors (ILO 1972) sind in späteren entwicklungsökonomischen Forschungsarbeiten als nicht hinreichend spezifisch kritisiert worden. Hingewiesen wurde vor allem auf die Heterogenität der Betriebe und Arbeitsverhältnisse, die als informell zusammengefasst werden sollten. Selbst der volkswirtschaftliche Begriff des "Sektors" - nach Kuznets' Standarddefinition (1971) abgrenzbar durch "die jeweils verwendeten technologischen und organisatorischen Produktionsprozesse" - sei in diesem Fall nicht sinnvoll verwendbar.

Wegen der Unschärfe des Begriffs haben einige Wissenschaftler das Konzept des "informellen Sektors" ganz aufgegeben und sprechen stattdessen unter Berücksichtigung vor allem der betrieblichen Organisationsform von einem Kleingewerbesektor. Eine Geburtsstunde dieses konkurrierenden Paradigmas "Kleingewerbe" ist, anders als beim Paradigma "Informeller Sektor", nicht festzumachen: Schon im 19. Jahrhundert haben sich Sozialphilosophen wie Proudhon (1848), politische Praktiker wie Schulze-Delitzsch (1848) und empirische Wissenschaftler wie Sombart (1870) mit diesem Thema beschäftigt. Allerdings wurde es immer als "Problem" im Industrialisierungsprozess gesehen. So unterschiedliche Ökonomen wie Marx (1867: Konzentrationstendenz des Kapitalismus), Schumpeter in seinem Spätwerk (1942) und Galbraith (1967) bewerteten es als untergehendes Organisationsmodell der Industriegesellschaft. Als positive institutionelle Möglichkeit ist es erst in jüngerer Zeit gesehen worden: von Schumacher ("Small is beautiful", 1972) und von Piore und Sabel (1984).

Bei anderen Erforschern des vordem so genannten informellen Sektors steht der "Haushalt" im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und Arbeitsverhältnisse und Einkommensmöglichkeiten werden im größeren Zusammenhang der Lebensbedingungen einer "community of the poor" diskutiert.

Zwar wählen Wissenschaftler, die den Begriff der "Informalität" weiterhin benutzen, meist zwei Hauptkriterien der Definition: einerseits die Vermeidung von staatlicher Regulierung ökonomischer Aktivitäten (und dadurch auch die fehlende Erfassung in volkswirtschaftlichen Statistiken) und andererseits das leicht operationalisierbare Kriterium der kleinbetrieblichen Organisationsform; der deutliche Schwerpunkt liegt jedoch auf dem zweiten Kriterium. Eine neuere Standarddefinition der ILO spricht von informellen Wirtschaftseinheiten, wenn das Hauptziel ist, Beschäftigungsmöglichkeit für die Betreiber selbst zu schaffen ("self-employment") und ein niedriger Grad von Organisation (Kleinbetrieb) mit geringer oder keiner Unterscheidung zwischen den Besitzern der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bestehe. Das Vermeiden von Regulierungen, wie etwa der Arbeitsgesetzgebung, wird jedenfalls nicht mehr als Kernbestandteil dieser Definition angesehen (ILO 1993).

So ist de Sotos theoretischer Ansatz angesichts der kurzen Lebenszyklen entwicklungsökonomischer Paradigmata gegenwärtig etwas "unmodern" geworden.


b. Entwicklungspolitik

Aus den oben diskutierten neueren theoretischen Überlegungen lassen sich entwicklungspolitisch einerseits betriebswirtschaftliche Förderprogramme ableiten, z. B. die Kreditvergabe an vielversprechende Unternehmer, gesichert etwa durch gegenseitige Bürgschaften einer Kleingruppe anstelle der nicht vorhandenen banküblichen Sicherheiten. Andererseits gibt es Projekte, die unabhängig vom vermuteten Wachstumspotential des Gewerbes Menschen dabei unterstützen, durch "self-employment" eigenes Einkommen zu erzielen, ergänzt durch eine Verbesserung der Lebensbedingungen, also Slumsanierung, basismedizinische Versorgung oder Frauenförderung.

De Soto zufolge bedürfen jedoch die informellen Unternehmer keiner speziellen Wirtschaftsförderung, sind sie doch meist sogar noch effizienter und innovativer als die Unternehmer des formellen Sektors. Allein die Deckelung der unternehmerischen Dynamik muss durchbrochen werden: durch die Verleihung von Eigentumstiteln - also durch die Legalisierung des Faktischen. Mit seinem ILD hat de Soto versucht, seine Überlegungen durch Vorschläge zur Vereinfachung der Verfahren, durch Dezentralisierung und Deregulierung in die Praxis umzusetzen.

De Sotos Einfluss auf die praktische Wirtschaftspolitik zeigte sich am stärksten in den ersten Jahren der Fujimori-Regierung. Hauptziel war der Abbau der vielfachen gesetzlichen Behinderungen und die Registrierung der informellen Eigentumsrechte der Kleingewerbetreibenden und Squatter in den Städten. In kurzer Zeit erwirkte er die Neufassung von 400 Gesetzen und trug im Übrigen dazu bei, ein umfassendes Liberalisierungs- und Stabilisierungsprogramm für die Wirtschaft zu formulieren.

De Soto erreichte, dass Eigentumstitel für städtische Informelle und De-facto- Landbesitzer gewährt wurden - in der Größenordnung von etwa 300 000 Unternehmensregistrierungen und 350 000 Legalisierungen von Immobilienbesitz. Solche Reformen fanden auch in anderen Ländern Nachahmung, so in El Salvador (1992: etwa 40 000 Registrierungen).

Die peruanischen Betriebe, die im Zuge der Reformen einen Eigentumstitel für ihren Besitz erreichen konnten, hatten im Durchschnitt eine um 40 Prozent höhere Produktion als diejenigen Betriebe, die noch in rechtlich unsicherem Rahmen produzierten. Etwa ein Viertel der neuen Eigentümer bekam erstmals Zugang zu Bankkrediten und konnte so die Zinsaufschläge informeller Kreditgeber vermeiden. Durch eine Reihe von Gesetzesänderungen wurde auch der Prozess der Unternehmensregistrierung drastisch verkürzt. De Soto schätzt, dass durch diese Maßnahmen eine halbe Million neuer Arbeitsplätze entstanden. Der Staatshaushalt des Landes profitierte ebenfalls, da trotz einer deutlichen Steuersenkung für die einzelnen Unternehmen die Neuregistrierungen zu einer Vervielfachung der gesamten Steuereinnahmen beitrugen.

Eine Übertragung dieses Ansatzes auf die Landwirtschaft führt dazu, dass Agrarreformen im Sinne einer Neuverteilung des Landes für unnötig erklärt werden. De Soto wies darauf hin, dass 90 % des Ackerlandes in Peru ohnehin bereits informell von Kleinbauern genutzt würden, die untereinander genau wissen, welches Stück Land wessen Eigentum ist, dies aber mangels eines staatlichen Katasters nicht nachweisen können. Es komme also darauf an, den auf dem Lande bestehenden Zustand der privaten Initiative zu akzeptieren und die traditionelle Landverteilung durch Einführung eines Katasters zu legalisieren.

Umgesetzt wurden de Sotos Ideen insbesondere in den Landgebieten des Alto Huallaga und am Rio Apurimac, gleichermaßen das wichtigste Operationsgebiet der Kommunistischen Partei Perus (Sendero Luminoso) und der "Koka-Barone". Über die Gewährung von Eigentumstiteln für das Land, das sie bearbeiten, erlangten die zum Koka-Anbau gezwungenen Kleinstbauern die Sicherheit einer längerfristigen ökonomischen Perspektive: Während der Erntezyklus der Kokapflanzen nur ein Jahr dauert, braucht man fünf Jahre, um aus der Palmölgewinnung wirtschaftlichen Ertrag zu ziehen - ohne Eigentum an Land ein viel zu hohes Risiko. Mit diesem Engagement schuf de Soto sich allerdings gefährliche Gegner: zweimal wurde sein Institut Opfer von Bombenanschlägen.


IV.

Der Beitrag de Sotos zur Entwicklungstheorie besteht vor allem in einer Neubewertung des Phänomens der "Informalität", eines wichtigen Teils der Volkswirtschaft in Entwicklungsländern, den er analysiert und empirisch dokumentiert. Er vermeidet den philanthropischen Blickwinkel, der Hilfsempfänger sieht, wo es um Unternehmer geht. Dass die internationalen Finanzorganisationen eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Eigentumsrechte fordern und fördern, ist sicherlich ebenso ein Verdienst seines Impulses wie der zunehmende Marktoptimismus mancher NROs.

Entwicklungstheoretisch krankt de Sotos Ansatz trotz der Interdisziplinarität der Herangehensweise an einer gewissen Verengung des Blicks, der beispielsweise die betriebsgrößenspezifischen Vor- und Nachteile des Kleingewerbes ausblendet. Allgemein fehlen bislang, abgesehen von Äußerungen in vielen Zeitungs- und Radiointerviews, Ausarbeitungen oder Erweiterungen seines Grundgedankens; eine wissenschaftliche Schule konnte sich auf dieser Basis nicht herausbilden. Allerdings fand kaum ein Entwicklungstheoretiker außerhalb der akademischen Welt ein solches Echo wie Hernando de Soto: Von Fortune wird er zu den fünfzig wichtigsten Denkern und Führungspersönlichkeiten der 90er Jahre gezählt, von Time zu den fünf wichtigsten lateinamerikanischen Forschern dieses Jahrhunderts.

Festzuhalten ist jedoch, dass de Soto nicht nur mit einem in verschiedene Sprachen übersetzten Bestseller entscheidende wissenschaftliche Impulse gegeben hat, sondern auch umfassende entwicklungspolitische Konsequenzen ermöglichte. De Sotos Hauptverdienst kann daher im Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis gesehen werden, in seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Berater für Regierungen und nationale wie internationale Organisationen der Entwicklungskooperation und in seinem Handeln als "Unternehmer" in der Wissenschaft.


Schriften von Hernando de Soto:
- 1986: El otro sendero: la revolución informal (mit Enrique Ghersi, Mario Ghibellini; Vorwort Mario Vargas Llosa). Lima, Editorial El Barranco (dt.: Marktwirtschaft von unten. Die unsichtbare Revolution in Entwicklungsländern. Zürich/Köln, Orell Füssli 1992)
- 1988: Why Does the Informal Economy Matter? sowie de Soto et al. (1988): Sector informal, economía popular y mercados abiertos, beide in: Estudios Públicos, 30 : www.cepchile.cl.
- 1991: de Soto, S. Schmidheiny (eds.): The New Rules of the Game: Toward Sustainable Development in Latin America. Bogotá (Colombia): Fundación para el Desarrollo Sostenible, Editorial Oveja Negra
- 1996: Securing Property Rights: The Foundation of Markets. An interview with Hernando de Soto by the Center for International Private Enterprise: www.usis.usemb.se/ERT/e19/desoto.html.
- (1999): Dead Capital and the Poor in Egypt (unveröffentlichtes Manuskript), Auszüge in: www.worldpaper.com/august99/desoto.html.

Schriften über Hernando de Soto:
T. Brockmeier (1997): Handlungsrechte (property rights) und Armut: Zur Brauchbarkeit neoliberaler Politikempfehlungen bei der Armutsbekämpfung; Versuch einer kritischen Würdigung von Hernando de Soto: "The other path". Marburg, Tectum
R. Bromley (1990): A New Path to Development? The Significance and Impact of Hernando de Soto's Ideas on Underdevelopment, Production, and Reproduction, in: Economic Geography, 328-348

Weiterführende Schriften:
K. Hart (1973): Informal Sector Income Opportunities and Urban Government in Ghana, in: Journal of Modern African Studies (1): 61-89
International Labour Organisation (1972): Employment, Incomes and Equality. A Strategy for Increasing Productive Employment in Kenya. Geneva
D. C. North (1991): Institutions, in: Journal of Economic Perspectives (1): 97-112
A. Portes, R. Schauffle (1992):The Informal Economy in Latin America: Definition, Measurement, and Policies. Program in Comparative International Development, Dept. of Sociology, Johns Hopkins University, Baltimore, Working Paper No. 5: www.jhu.edu/~soc/.5


Prof. Dr. Hans H. Bass lehrt Allgemeine Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der University of Applied Science / Hochschule Bremen.
Dipl.-Ök. Markus Wauschkuhn ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management der Universität Bremen.



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