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Kultur

29. November 2016 | 09:29 Uhr

Liebe oder Glaube : Meyerbeers «Hugenotten» in Berlin gefeiert

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Er galt lange als verfemter und vergessener Komponist, aber langsam wird Giacomo Meyerbeer wiederentdeckt. Mit den «Hugenotten» gelingt der Deutschen Oper in Berlin ein sensationeller Erfolg.

Drei flammende Kreuze zeichnen das Schlussbild in Giacomo Meyerbeers «Hugenotten» an der Deutschen Oper Berlin: Nach fünf Stunden Liebes- und Religionskampf werden Edelmann Raoul, die Hofdame Valentine und Diener Marcel von den katholischen Horden ermordet.

Es ist Bartholomäusnacht, und kein Protestant soll sie überleben. Die Mammutoper über religiösen Fanatismus hat auch 180 Jahre nach ihrer Entstehung nichts an Aktualität verloren.

Regisseur David Alden und seinem Starensemble mit Tenor Juan Diego Flórez und der Italienerin Patrizia Ciofi gelingt am Sonntagabend ein großer Wurf. Gewalt liegt in der Luft, durch Meyerbeers süffigen Klang sickert das Lebensbedrohliche und Abgründige durch. Keiner kann sich sicher sein in dieser Welt der Rechtgläubigen. «Eine feste Burg ist unser Gott» - das protestantische Kirchenlied ist tragendes musikalisches Motiv. «Dieu le veut» - Gott will es so, der Schlachtruf aus den Kreuzzügen, prangt an der Wand. Operette und Tragödie sind bei Meyerbeer unentrinnbar verwoben.

Bis heute gilt «Les Huguenots» als eines der wichtigsten Werke im französischen Repertoire. Mehr als tausend Mal wurde die Oper in Paris nach der Uraufführung 1836 gespielt. Meyerbeer (1791-1864) bestätigte damit seinen Ruf als bis dahin größter französischer Opernkomponist - obwohl er aus Berlin stammte und später preußischer Generalkapellmeister wurde.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist sein Ruhm verblasst, wozu vor allem Richard Wagner und sein Antisemitismus beigetragen haben. «Undeutsch» sei Meyerbeers Musik, schrieb Wagner - den Meyerbeer großzügig unterstützt hatte -, oberflächlich und nur auf den schnellen Effekt aus. Die Nationalsozialisten verboten Meyerbeers Opern. Erst langsam kommt eine Meyerbeer-Renaissance in Gang. Die Deutsche Oper hat bereits sein Entdeckerepos «Vasco da Gama» produziert, in der kommenden Spielzeit steht «Der Prophet» auf dem Programm.

«Großvater des Broadway» nennt Alden im Programmheft den Komponisten. Der New Yorker verzichtet aber wohltuend auf jede Aktualisierung des Stoffs. Kein IS-Kämpfer, kein Taliban, auch keine verschleierte Frau, höchstens ein paar Nonnen und katholische Kämpfer in Ku-Klux-Klan-Kapuzen. Blutige Handschuhe kündigen das kommende Unheil an (Kostüme: Constance Hoffman). Bühnenbilder Giles Cadle hat unter einem Kirchendach eine große Glocke aufziehen lassen - es ist die Glocke von St-Germain-l’Auxerrois, die am 23. August 1572 zum Massaker läuten wird.

Alden lässt die Oper in der Zeit ihrer Entstehung zwischen Französischer Revolution und Moderne spielen. Die Pariser Bürger genießen das lustige Leben. Auf Kirchenbänken wird wechselweise gebetet, gesoffen und geliebt, die Protestanten erscheinen wie die Geister aus einer verdrängten Zeit. Präzise choreographiert Alden den Chor und die Solisten, die sich wie in einem Gottesdienst stets frontal zum Publikum ausrichten. Was zunächst statisch wirkt, erweist sich bei näheren Hinsehen als fein austariertes Gestenspiel.

Dabei stützt sich Alden auf ein hervorragendes Ensemble. Neben dem peruanischen Startenor Flórez glänzen Olesya Golovneva als Valentine und Patrizia Ciofi in der Rolle der Marguerite von Valois, die aus Staatsräson die Liebesbeziehung zwischen dem Protestanten Raoul und der katholischen Hofdame einfädelt. Ciofi kokettiert mit ihren phänomenalen Belcanto-Koloraturen und nimmt sich dabei auch selber auf die Schippe.

Flórez lässt seine Tenorstimme glasklar schimmern. Er spielt den tragischen Helden, der sich zwischen Liebe und Glauben entscheiden muss und am Ende doch keine Wahl hat. Die katholischen Banden überfallen die Kirche, in der sich die Protestanten verschanzt haben. In letzter Minute traut Diener Marcel (stimmgewaltig: Ante Jerkunica) Raoul und die zum Protestantismus konvertierte Valentine. Rossini-Fachmann Michele Mariotti führt souverän das Orchester der Deutschen Oper durch diesen starken Abend. Regisseur Alden dürfte einzelne Buhrufe locker verkraftet haben.

Die Hugenotten

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erstellt am 14.Nov.2016 | 11:51 Uhr

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