Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bekommt angesichts einer drohenden Finanzkrise offenbar kalte Füße: Er zieht die regulär erst im November 2019 fälligen Parlaments- und Präsidentenwahlen um mehr als ein Jahr vor. Sie sollen bereits am 24. Juni stattfinden.
Erdogan stellt damit die Weichen für den Übergang zu einem Präsidialsystem, das ihm erheblich erweiterte Befugnisse verschaffen soll. Profitieren könnte Erdogan bei der bevorstehenden Wahl von seinen Militärinterventionen gegen kurdische Milizen in Syrien und im Nordirak, die bei der Mehrheit der Bevölkerung Zustimmung finden.
Pakt mit ultra-nationalistischer Partei
Die Türkei müsse „Unsicherheiten rasch überwinden“, begründete Erdogan am Mittwoch die Vorverlegung des Wahltermins nach einem Treffen mit dem Oppositionspolitiker Devlet Bahceli. Erdogan verwies auf „Entwicklungen von historischer Bedeutung in unserer Region“, wie den Kampf gegen kurdische Rebellen in Syrien und im Irak. Angesichts dieser Herausforderungen sollte die Türkei rasch zu einem Präsidialsystem wechseln, sagte Erdogan.
Bahceli, der Chef der ultra-nationalistischen Partei MHP, hatte bereits am Dienstag vorgezogene Wahlen gefordert. Die MHP und die von Erdogan geführte islamisch-konservative AKP hatten im März vereinbart, gemeinsam in einer „Volksallianz“ zu den nächsten Wahlen anzutreten.
Das sichert Erdogan bei der Präsidentenwahl Unterstützung aus dem nationalistischen Lager. Im Gegenzug kann die MHP in einer Art Huckepackverfahren im Wahlbündnis mit der AKP auf den Wiedereinzug ins Parlament hoffen, den sie aus eigener Kraft wohl kaum schaffen würde.
Noch mehr Macht für Erdogan
Nachdem sich Erdogan im Juli 2016 gegen einen Putschversuch behaupten konnte und seither mit umfangreichen „Säuberungen“ gegen seine Gegner vorgeht, billigten die türkischen Wähler vor einem Jahr in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit die Einführung eines Präsidialsystems. Es tritt nach der nächsten Wahl in Kraft.
Das Amt des Premierministers wird abgeschafft, seine Kompetenzen gehen auf der Staatspräsidenten über, der weitgehend unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten regieren kann.
Erdogan, der vor 15 Jahren erstmals Regierungschef wurde und seither ununterbrochen an der Macht ist, könnte unter bestimmten Umständen bis 2034 Staatsoberhaupt bleiben, wenn die Wähler mitspielen. Für eine Wiederwahl braucht er im ersten Abstimmungsdurchgang mehr als 50 Prozent der Stimmen. Wer gegen ihn antreten wird, ist noch unklar.
Volkswirte warnen vor Finanzkrise
Erdogan begründete die Vorverlegung der Wahlen auch mit anstehenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Die türkische Wirtschaft wuchs zwar 2017 im Rekordtempo. Das Bruttoinlandsprodukt legte um 7,4 Prozent zu. Der Zuwachs geht aber vor allem auf das Konto von Subventionen, Steuervergünstigungen, öffentlichen Großprojekten und staatlichen Kreditbürgschaften.
Fraglich ist, wie lange der künstlich angefachte Boom noch anhält. Volkswirte warnen vor der Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft, die zu einer Finanzkrise führen könnte.
Von Gerd Höhler/RND