Zu mehr als flüchtigen Satzfetzen findet Samuel Hirsch selten Zeit: Auf einem Notizblock hält der 30-jährige Kaufmann aus der burgenländischen Kleinstadt Mattersburg die Chronik der ersten Tage nach dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich fest. Seine Schrift ist krakelig, die Sprache halb jiddisch, halb deutsch: "Laufen herum die Burschen mit der Hakenkreuzbinden (...) um 6 h Abend werden die Rufe imer grösser um 7 h bricht das Unglück über die Juden herein." Es ist der 11. März 1938. Übers Radio hat der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg erklärt, er weiche der Gewalt. Im Morgengrauen des nächsten Tages beginnen deutsche Soldaten, Bürokraten und Geheimpolizisten das kleine Nachbarland in Besitz zu nehmen.