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Chef von "Blood and Honour" war V-Mann

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c13f9e59-5a2f-4d8f-b577-deb158137e24.jpg © Laszlo Balogh (X00318)

Jetzt also doch: Der Verfassungsschutz räumt in einer geheimen Sitzung ein, dass der frühere Chef des militanten Neonazi-Netzwerks "Blood and Honour" jahrelang als V-Mann geführt wurde.

Am Donnerstag klang alles noch ganz anders. Da hatte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Abgeordnetenhaus noch eine mögliche V-Mann-Tätigkeit des früheren Deutschland-Chefs des militanten Neonazi-Netzwerkes „Blood and Honour“ (B&H), Stephan L., dementiert. „Nach jetzigem Kenntnisstand“ spreche nichts dafür, dass L. für die Berliner Polizei oder den Verfassungsschutz gearbeitet habe, sagte Geisel. Was der Innensenator offenbar nicht wusste: Bereits einen Tag zuvor hatte ein ranghoher Verfassungsschützer aus dem Kölner Bundesamt (BfV) im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages die brisante Spitzeltätigkeit von Stephan L. bestätigt.

Spitzname „Pinocchio“

Demnach habe der in der rechten Szene unter dem Spitznamen „Pinocchio“ bekannte L. von mindestens 2002 bis spätestens 2010 mit dem BfV zusammengearbeitet. L. habe dabei den Decknamen „Nias“ getragen. Seine Aufgabe sei unter anderem gewesen, das BfV bei der Aufklärung von Nachfolgestrukturen der im Jahr 2000 verbotenen deutschen B&H-Division zu unterstützen.

Vergangenen Dienstag hatte die ARD den V-Mann-Verdacht gegen L. erstmals öffentlich gemacht. Sie berief sich dabei auf einen offenbar aus dem Jahr 2000 stammenden Vermerk der Staatsschutzabteilung des Berliner Landeskriminalamtes. Darin heißt es, L. wurde durch das LKA „an das BfV vermittelt“. Vor dem Kontrollgremium des Bundestages legte nun der BfV-Vertreter ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass der Ex-B&H-Chef erst 2002 als V-Mann verpflichtet worden sein soll.

Offenbar will das Amt dem Vorwurf begegnen, man habe – wie es der LKA-Vermerk nahelegt – bereits vor dem Verbot der deutschen Blood-and-Honour-Sektion im Herbst 2000 mit deren Kader L. kooperiert und diesem gar Anweisungen gegeben.

Geld für die Neonazi-Szene

Dieser Verdacht ist damit aber keineswegs aus dem Raum. Üblicherweise geht der Verpflichtung eines Informanten als V-Mann eine längere Zeit der Werbung und Überprüfung des Kandidaten voraus. In dieser „Anwärmphase“ kommt es gemeinhin bereits zu regelmäßigen Treffen mit der Kontaktperson, bei denen auch schon Informationen abgeschöpft und Aufträge erteilt werden können. Neonazi-V-Leute hatten immer wieder ihren Spitzellohn in die Szene fließen lassen.

Das 1987 in Großbritannien gegründete militante Neonazi-Netzwerk Blood and Honour versteht sich als Elite der rechten Szene. Die „Divisionen“ in den einzelnen Ländern sind eng miteinander verbunden. Mit schätzungsweise 200 Mitgliedern gehörte der deutsche B&H-Ableger bis zu seinem Verbot 2000 zu den größten in Europa.

Ideologisch propagiert Blood and Honour die Vorstellung von einem „Rassenkrieg“ und verbreitete auch in Deutschland Schriften, die zu einem „führerlosen Widerstand“ aufriefen - ganz ähnlich, wie ihn die Neonazi-Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) später in die Tat umsetzte.

Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten gleich mehrere ranghohe Zuträger in der verschworenen B&H-Gemeinschaft. Dazu gehörten auch Führungskader der B&H-Sektionen in Thüringen und Sachsen. Diese hatten ab Januar 1998 den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bei ihrem Leben im Untergrund geholfen. Sie betreuten das flüchtige Trio, besorgten ihm Wohnungen, Geld und Waffen.

Der Kontakt hielt an: So sollen Mundlos und Böhnhardt im Jahr 2007 zusammen mit einem ehemaligen B&H-Führungskader aus Sachsen ein Nazi-Rockkonzert besucht haben, auf dem sich das alte Netzwerk traf. Beim Konzert dabei war auch Stephan L., der zu jener Zeit in Diensten des Bundesamts für Verfassungsschutz stand.

Dem NSU werden zehn Morde zugeschrieben, bis zum November 2011 konnte die Zelle ungestört agieren: Mundlos und Böhnhardt wurden tot aufgefunden, Zschäpe stellte sich.

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