Die neusten Entwicklungen

Pandora Papers: Ermittlungen gegen Chiles Präsidenten Sebastián Piñera

Dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten sind fast zwölf Millionen vertrauliche Dokumente zugespielt worden, die Dutzende von Staatschefs und Hunderte von Politikern belasten. Das sind die Hintergründe.

Gioia da Silva, Thomas Schürpf
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Nicht nur Velotouren: Beim Verkauf einer Mine an seinen Freund Carlos Alberto Delano (r.) soll Chiles Präsident Sebastián Piñera auch Offshore-Strukturen genutzt haben. Zudem soll er zugesichert haben, dass es nicht zu Umweltauflagen kommt in dem Gebiet (Bild von 2011).

Nicht nur Velotouren: Beim Verkauf einer Mine an seinen Freund Carlos Alberto Delano (r.) soll Chiles Präsident Sebastián Piñera auch Offshore-Strukturen genutzt haben. Zudem soll er zugesichert haben, dass es nicht zu Umweltauflagen kommt in dem Gebiet (Bild von 2011).

Rodrigo Garrido / Reuters

Die neusten Entwicklungen

  • Der chilenische Generalstaatsanwalt Jorge Abbott hat nach den Veröffentlichungen aus den «Pandora Papers» Ermittlungen gegen Chiles Präsidenten Sebastián Piñera angeordnet. Piñera werden Korruption, Bestechung und Steuervergehen im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf der Mine «Minera Dominga» im Norden Chiles vorgeworfen, wie aus einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom Freitag hervorgeht.
  • Die britische Steuerbehörde will mit Hinweisen aus den Pandora Papers eigene Untersuchungen durchführen. Dies sagte der britische Finanzminister Rishi Sunak am Montag (4. 10.) dem Sender Sky News. In Grossbritannien sorgte vor allem für Aufsehen, dass ein Spender der konservativen Partei von Premierminister Boris Johnson in einen Korruptionsfall um Telekommunikationsrechte in Usbekistan verwickelt sein soll. Sunak und Johnson betonten, alle Geldgeber würden genau überprüft. Der betroffene Spender wies die Vorwürfe zurück.
  • Die australische Steuerbehörde (ATO) will die Pandora Papers mit eigenen Dokumenten abgleichen und kündigt Untersuchungen an. Dies sagte Will Day, der Vize-Chef von ATO, am Montag (4. 10) vor den Medien. Die Behörde erhofft sich mit den Untersuchungen, Steuerhinterziehungen aufdecken zu können. Laut lokalen Medienberichten tauchen mehr als 400 Australierinnen und Australier in den «geleakten» Dokumenten auf.

Was sind die Pandora Papers?

Unter dem Namen Pandora Papers haben am Sonntagabend (3. 10.) zeitgleich verschiedene Medienunternehmen eine Recherche publiziert, die zeigt, wie wohlhabende Privatpersonen und Firmen mithilfe von Briefkastenfirmen Steuerzahlungen vermeiden. Dies wird aus Dokumenten ersichtlich, die dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) zugespielt wurden. Betroffen sind über 330 Politikerinnen und Politiker und 35 Staats- oder Regierungschefs aus fast 100 Ländern.

Woher stammen die Daten?

Die «geleakten» Geschäftsunterlagen stammen aus 14 Kanzleien in verschiedenen Steueroasen – darunter Zypern, Hongkong, Panama, die Seychellen, Belize und die Britischen Jungferninseln. Die neusten Daten stammen aus dem Jahr 2021, die ältesten aus den 1970er Jahren.

Die Pandora Papers bestehen aus PDF- und anderen Textdokumenten, E-Mails, Tabellen, Bildern und Audiodateien. Insgesamt hat das ICIJ laut eigenen Angaben über 11,9 Millionen Dokumente im Umfang von knapp 3 Terabytes ausgewertet. Gemessen an den Datenvolumen handelt es sich um das grösste Leak, das das ICIJ bisher ausgewertet hat.

Pandora Papers sind das bisher grösste Datenleak

Datenvolumen, in Terabytes

Das ICIJ legt nicht offen, wer ihm die Dokumente zugespielt hat. Es beruft sich damit auf den Quellenschutz. Dies ist bei Leaks dieser Grössenordnung üblich, schliesslich sind in vielen Ländern Whistleblower schlecht oder gar nicht gesetzlich geschützt. Ausserdem ist die Weitergabe von internen Firmendokumenten in vielen Ländern verboten.

Wen betreffen die Enthüllungen?

Laut verschiedenen Zeitungen werden durch das Leak 35 amtierende und ehemalige Staatsführer belastet, unter ihnen Könige, Präsidenten und Autokraten. Aus der Schweiz, Deutschland und Österreich sind weder Politikerinnen und Politiker, noch sonstige Würdenträger betroffen. Allerdings haben Schweizer Anwälte für ihre Kunden Briefkastenfirmen verwaltet. (Siehe auch Abschnitt «Ist die Schweiz betroffen?»)

Hier folgt eine Auflistung der betroffenen Staats- und Regierungschefs:

  • Der tschechische Regierungschef Andrej Babis hat laut den Berichten über mehrere Briefkastenfirmen unter anderem ein französisches Landschloss für über 15 Millionen Euro gekauft, angeblich ohne dies in seiner Heimat offenzulegen. Für ihn kommen die Enthüllungen zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt, schliesslich stehen am kommenden Freitag und Samstag Parlamentswahlen an, die über seine weitere politische Laufbahn entscheiden könnten. Babis wies die Anschuldigungen zurück: Es sei klar, dass er weder etwas Illegales noch etwas Verwerfliches getan habe, sagte er der Nachrichtenagentur CTK am Sonntagabend. Die tschechische Polizei hat angekündigt, die neuen Veröffentlichungen aus den sogenannten «Pandora Papers» auf mögliche Rechtsverstösse zu überprüfen. Dies betreffe nicht nur Ministerpräsident Andrej Babis, sondern auch alle weiteren erwähnten Bürger des Landes, teilte die Nationale Zentrale für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen am Montag mit.
  • Dem jordanischen König Abdallah II. wird vorgeworfen, dass er über mehrere Briefkastenfirmen Immobilien für über 100 Millionen Dollar in den USA und in Grossbritannien gekauft habe. Der Monarch bestritt gegenüber dem ICIJ, mit manchen der Immobilien etwas zu tun zu haben. Allerdings liessen seine Anwälte dem ICIJ mitteilen, dass er bisweilen anonym handle, um seine Familie zu schützen.
  • Weiter finden sich Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin in den Akten, darunter angeblich auch seine Ex-Geliebte. Ihnen wird vorgeworfen, dass ihr Reichtum kaum erklärbar sei, weil sie durch ihre Berufe – angeführt wird das Beispiel eines Metzgers –, kaum dermassen viel Geld verdienen könnten. Ein direkter Link zu Putin wurde aber nicht nachgewiesen.
  • Auch Familienangehörige und Vertraute des aserbaidschanischen Autokraten Ilham Alijew tauchen in den Unterlagen auf. Sie sollen über Briefkastenfirmen Immobilien für um die 600 Millionen Franken in London gekauft haben.
  • Der ukrainische Staatspräsident Wolodimir Selenski wird mit mehreren Offshore-Firmen in den Dokumenten erwähnt. Er war als Saubermann zu den Wahlen angetreten, jetzt bringen ihn die Pandora Papers unter Druck. Er und Freunde von ihm sollen hinter  zehn Briefkastenfirmen stehen. Rein formell hatte er sich von den Firmen zum Amtsantritt zurückgezogen. Seine Anteile hatte er Freunden übertragen. Allerdings soll laut einem Dokument aus den Pandora Papers eine Firma, die früher ihm, später seiner Frau gehörte, offenbar nach seinem Amtsantritt noch Dividenden von einer Offshorefirma auf den Jungferninseln erhalten haben. Der Öffentlichkeit blieben diese Einkünfte bisher verborgen.
  • Die Enthüllungen, wonach die Familie von Chiles Präsident Sebastián Piñera ein millionenschweres Geschäft mit «Minera Dominga» auf den britischen Jungferninseln getätigt habe, haben in Chile Aufregung verursacht. Die Abschlusszahlung für den Verkauf der Mine an eine befreundete Familie hing demnach von der Weigerung der Regierung - damals unter Präsident Piñera - davon ab, die Gegend im Norden Chiles zum Naturschutzgebiet zu erklären. Piñera hat die Beteiligung an Geschäften mit einem umstrittenen Bergbauprojekt im Norden Chiles auf den Virgin Islands von sich gewiesen. «Über den Verkauf von Minera Dominga 2010 bin ich weder informiert noch dabei konsultiert worden», sagte er am Montag an einer Medienkonferenz. 
  • Weiter soll der Präsident von Zypern, Nikos Anastasiadis, mit einer eigenen Kanzlei im Offshore-Geschäft mitgemischt haben. Heute führen laut der «Süddeutschen Zeitung» seine Kinder den Betrieb weiter.
  • Auch aus Libanon sind mehrere Würdenträger in den Akten erwähnt. So sollen die Dokumente belegen, dass sowohl der heutige libanesische Ministerpräsident Najib Mikati als auch dessen Vorgänger Hassan Diab mit Briefkastenfirmen agierten, ebenso der Gouverneur der Zentralbank. Mikatis Sohn erklärte gegenüber dem ICIJ, dass es in Libanon üblich sei, Offshore-Firmen zu nutzen. Das geschehe allerdings nicht, um Steuern zu hinterziehen, sondern weil die Gründung so leicht sei. Premier Mikati liess über eine Presseagentur verlauten, dass seine Vermögenswerte und Besitztümer seit seinem Eintritt in die Politik offengelegt seien.
  • Ausserdem tauchen die Namen der amtierenden Staats- und Regierungschefs von Kenya, des Kongos, der Elfenbeinküste, von Gabon, der Vereinigten Arabischen Emiraten, der Dominikanischen Republik, von Ecuador, Montenegro, der Ukraine und Katar in den Unterlagen auf. 

Weiter zerren die Pandora Papers Besitztümer und Beteiligungen von 336 Politikerinnen und Politikern ans Licht. Under den Bekanntesten ist der ehemalige britische Premier Tony Blair. Gemeinsam mit seiner Frau Cherie Blair hat er seit dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 2007 insgesamt 38 Immobilien gekauft. Eine davon soll das Paar, anstatt sie direkt zu erwerben, über eine Briefkastenfirma gekauft haben. Dadurch konnten die Blairs die Steuer umgehen, die in Grossbritannien beim Kauf einer Immobilie fällig wird. Dank diesem legalen Trick sparten die Blairs 312 000 Pfund (ca. 400 000 Franken). Cherie Blair teilte der BBC mit, dass nicht sie, sondern die Verkäufer den Deal so strukturieren wollten.

Warum sind die Pandora Papers wichtig?

Nach dem letzten grossen Datenleck der Panama Papers im Jahr 2016 versprachen Politikerinnen und Politiker in vielen Ländern, Sitzgesellschaften strenger zu regulieren. Die Pandora Papers zeigen, dass dies an vielen Orten nicht konsequent geschehen ist.

Weiter zeigen die Pandora Papers, dass manche Politiker, die Steuervermeidungsstrategien kritisiert haben, ihr eigenes Vermögen in Briefkastenfirmen und Trusts anlegen. Der ehemalige libanesische Aussenminister Marwan Kheireddine kritisierte im Jahr 2019 Steuerhinterziehungen, war aber selbst Eigentümer einer Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, der eine 2 Millionen Dollar teure Jacht gehörte. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, der seinen Vorgänger Petro Poroschenko für dessen Offshore-Geschäfte kritisierte, hatte eigene Briefkastenfirmen. Weiter forderte der kenyanische Präsident Uhuru Kenyatta mehr Transparenz bei Vermögen von Beamten. Nun zeigen die Pandora-Dokumente aber, dass er und seine Mutter als Begünstigte einer geheimen Stiftung in Panama fungieren.

Ist die Schweiz betroffen?

Laut Angaben der Tamedia-Zeitungen, die an der Auswertung der Dokumente mitgearbeitet haben, haben Schweizer Anwälte, Treuhänder und Beraterinnen bei einer grossen Kanzlei in der Karibik 7000 Offshore-Firmen betreut. Das Datenleck, das dies belegen soll, stamme aus dem Jahr 2018. Zu den Kunden der Schweizer würden Autokraten gehören sowie Personen, die inzwischen wegen Geldwäscherei oder Korruption verurteilt worden seien.

Die Nichtregierungsorganisation Public Eye fordert den Bundesrat auf, Gesetzeslücken, welche Steuerschlupflöcher ermöglichten, unverzüglich zu schliessen. Als Beispiel führt sie an, dass von den 20 000 Offshore-Strukturen, die allein von der panamaischen Firma Alcogal geschaffen worden seien, mehr als ein Drittel mit Schweizer Anwälten, Treuhändern und anderen Beratern verbunden sei. Im Frühling habe sich das Parlament geweigert, das Geldwäschereigesetz auf die Beratung von Offshore-Strukturen (und damit auf Anwälte) auszuweiten. Vom wichtigsten Mittel gegen finanzielle Intransparenz – der Einrichtung öffentlicher Firmenregister, welche es ermöglichen, die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen zu identifizieren – wolle auch der Bundesrat nichts wissen. Dabei hätten sich inzwischen mehr als hundert Länder zu diesem Schritt verpflichtet.

Sind Briefkastenfirmen illegal?

Nein. In der Schweiz sind Briefkastenfirmen als Sitzgesellschaften reglementiert. Wenn der Eigentümer einer Briefkastenfirmen diese den Behörden offenlegt und ihre Gewinne versteuert, handelt er in der Regel im Rahmen des Gesetzes. Es ist denn auch davon auszugehen, dass viele der aufgedeckten Praktiken nicht illegal sind.

Um Steuerzahlungen einzusparen, lassen sich Firmen und reiche Einzelpersonen von fachkundigen Steuerspezialistinnen und Spezialisten beraten, die Schlupflöcher im internationalen Steuerrecht kennen und sie ausnützen. Manche wohlhabende Personen verschleiern ihren Besitz hingegen aus legitimen Gründen, zum Beispiel weil sie sich vor Erpressungen oder Entführungen von Familienmitgliedern fürchten.

Allerdings werden Netzwerke aus Briefkastenfirmen in unterschiedlichen Ländern immer wieder auch von Kriminellen genutzt, die Steuern hinterziehen oder Geld waschen. So nutzen auch Drogenbanden oder Waffenhändler diese Strukturen.

Wie haben sich ähnliche Enthüllungen bisher ausgewirkt?

Die bisherigen grossen Steuer-Recherchen, die Panama Papers und die Paradise Papers, führten dazu, dass der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif wegen Korruptionsvorwürfen sein Amt verlor, dass in Malta frühzeitige Neuwahlen stattfanden und dass in Island der damalige Ministerpräsident Sigmundur Gunnlaugsson zurücktrat. Weiter wurden Unternehmen zu Straf- und Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe verpflichtet.

Allerdings kam es kaum zu namhaften Verurteilungen. Geldwäscherei und Steuerhinterziehung, wenn sie in Netzwerken aus Briefkastenfirmen in unterschiedlichen Ländern getarnt werden, sind schwierig nachzuweisen. Dazu müssen Millionen von Finanztransaktionen nachverfolgt werden, was für Strafverfolgungsbehörden ein enormer Aufwand bedeutet.

Ob die Recherche hinter den Pandora Papers legale Steuervermeidung oder die illegale Steuerhinterziehung aufdeckt, werden nun Gerichte entscheiden müssen. Für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist der Effekt sowieso ähnlich: Sie werden um Geld geprellt, das eigentlich in der Staatskasse sein müsste.

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