Dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten sind fast zwölf Millionen vertrauliche Dokumente zugespielt worden, die Dutzende von Staatschefs und Hunderte von Politikern belasten. Das sind die Hintergründe.
Unter dem Namen Pandora Papers haben am Sonntagabend (3. 10.) zeitgleich verschiedene Medienunternehmen eine Recherche publiziert, die zeigt, wie wohlhabende Privatpersonen und Firmen mithilfe von Briefkastenfirmen Steuerzahlungen vermeiden. Dies wird aus Dokumenten ersichtlich, die dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) zugespielt wurden. Betroffen sind über 330 Politikerinnen und Politiker und 35 Staats- oder Regierungschefs aus fast 100 Ländern.
Die «geleakten» Geschäftsunterlagen stammen aus 14 Kanzleien in verschiedenen Steueroasen – darunter Zypern, Hongkong, Panama, die Seychellen, Belize und die Britischen Jungferninseln. Die neusten Daten stammen aus dem Jahr 2021, die ältesten aus den 1970er Jahren.
Die Pandora Papers bestehen aus PDF- und anderen Textdokumenten, E-Mails, Tabellen, Bildern und Audiodateien. Insgesamt hat das ICIJ laut eigenen Angaben über 11,9 Millionen Dokumente im Umfang von knapp 3 Terabytes ausgewertet. Gemessen an den Datenvolumen handelt es sich um das grösste Leak, das das ICIJ bisher ausgewertet hat.
Das ICIJ legt nicht offen, wer ihm die Dokumente zugespielt hat. Es beruft sich damit auf den Quellenschutz. Dies ist bei Leaks dieser Grössenordnung üblich, schliesslich sind in vielen Ländern Whistleblower schlecht oder gar nicht gesetzlich geschützt. Ausserdem ist die Weitergabe von internen Firmendokumenten in vielen Ländern verboten.
Laut verschiedenen Zeitungen werden durch das Leak 35 amtierende und ehemalige Staatsführer belastet, unter ihnen Könige, Präsidenten und Autokraten. Aus der Schweiz, Deutschland und Österreich sind weder Politikerinnen und Politiker, noch sonstige Würdenträger betroffen. Allerdings haben Schweizer Anwälte für ihre Kunden Briefkastenfirmen verwaltet. (Siehe auch Abschnitt «Ist die Schweiz betroffen?»)
Hier folgt eine Auflistung der betroffenen Staats- und Regierungschefs:
Weiter zerren die Pandora Papers Besitztümer und Beteiligungen von 336 Politikerinnen und Politikern ans Licht. Under den Bekanntesten ist der ehemalige britische Premier Tony Blair. Gemeinsam mit seiner Frau Cherie Blair hat er seit dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 2007 insgesamt 38 Immobilien gekauft. Eine davon soll das Paar, anstatt sie direkt zu erwerben, über eine Briefkastenfirma gekauft haben. Dadurch konnten die Blairs die Steuer umgehen, die in Grossbritannien beim Kauf einer Immobilie fällig wird. Dank diesem legalen Trick sparten die Blairs 312 000 Pfund (ca. 400 000 Franken). Cherie Blair teilte der BBC mit, dass nicht sie, sondern die Verkäufer den Deal so strukturieren wollten.
Nach dem letzten grossen Datenleck der Panama Papers im Jahr 2016 versprachen Politikerinnen und Politiker in vielen Ländern, Sitzgesellschaften strenger zu regulieren. Die Pandora Papers zeigen, dass dies an vielen Orten nicht konsequent geschehen ist.
Weiter zeigen die Pandora Papers, dass manche Politiker, die Steuervermeidungsstrategien kritisiert haben, ihr eigenes Vermögen in Briefkastenfirmen und Trusts anlegen. Der ehemalige libanesische Aussenminister Marwan Kheireddine kritisierte im Jahr 2019 Steuerhinterziehungen, war aber selbst Eigentümer einer Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln, der eine 2 Millionen Dollar teure Jacht gehörte. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, der seinen Vorgänger Petro Poroschenko für dessen Offshore-Geschäfte kritisierte, hatte eigene Briefkastenfirmen. Weiter forderte der kenyanische Präsident Uhuru Kenyatta mehr Transparenz bei Vermögen von Beamten. Nun zeigen die Pandora-Dokumente aber, dass er und seine Mutter als Begünstigte einer geheimen Stiftung in Panama fungieren.
Laut Angaben der Tamedia-Zeitungen, die an der Auswertung der Dokumente mitgearbeitet haben, haben Schweizer Anwälte, Treuhänder und Beraterinnen bei einer grossen Kanzlei in der Karibik 7000 Offshore-Firmen betreut. Das Datenleck, das dies belegen soll, stamme aus dem Jahr 2018. Zu den Kunden der Schweizer würden Autokraten gehören sowie Personen, die inzwischen wegen Geldwäscherei oder Korruption verurteilt worden seien.
Die Nichtregierungsorganisation Public Eye fordert den Bundesrat auf, Gesetzeslücken, welche Steuerschlupflöcher ermöglichten, unverzüglich zu schliessen. Als Beispiel führt sie an, dass von den 20 000 Offshore-Strukturen, die allein von der panamaischen Firma Alcogal geschaffen worden seien, mehr als ein Drittel mit Schweizer Anwälten, Treuhändern und anderen Beratern verbunden sei. Im Frühling habe sich das Parlament geweigert, das Geldwäschereigesetz auf die Beratung von Offshore-Strukturen (und damit auf Anwälte) auszuweiten. Vom wichtigsten Mittel gegen finanzielle Intransparenz – der Einrichtung öffentlicher Firmenregister, welche es ermöglichen, die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen zu identifizieren – wolle auch der Bundesrat nichts wissen. Dabei hätten sich inzwischen mehr als hundert Länder zu diesem Schritt verpflichtet.
Nein. In der Schweiz sind Briefkastenfirmen als Sitzgesellschaften reglementiert. Wenn der Eigentümer einer Briefkastenfirmen diese den Behörden offenlegt und ihre Gewinne versteuert, handelt er in der Regel im Rahmen des Gesetzes. Es ist denn auch davon auszugehen, dass viele der aufgedeckten Praktiken nicht illegal sind.
Um Steuerzahlungen einzusparen, lassen sich Firmen und reiche Einzelpersonen von fachkundigen Steuerspezialistinnen und Spezialisten beraten, die Schlupflöcher im internationalen Steuerrecht kennen und sie ausnützen. Manche wohlhabende Personen verschleiern ihren Besitz hingegen aus legitimen Gründen, zum Beispiel weil sie sich vor Erpressungen oder Entführungen von Familienmitgliedern fürchten.
Allerdings werden Netzwerke aus Briefkastenfirmen in unterschiedlichen Ländern immer wieder auch von Kriminellen genutzt, die Steuern hinterziehen oder Geld waschen. So nutzen auch Drogenbanden oder Waffenhändler diese Strukturen.
Die bisherigen grossen Steuer-Recherchen, die Panama Papers und die Paradise Papers, führten dazu, dass der pakistanische Regierungschef Nawaz Sharif wegen Korruptionsvorwürfen sein Amt verlor, dass in Malta frühzeitige Neuwahlen stattfanden und dass in Island der damalige Ministerpräsident Sigmundur Gunnlaugsson zurücktrat. Weiter wurden Unternehmen zu Straf- und Steuernachzahlungen in Milliardenhöhe verpflichtet.
Allerdings kam es kaum zu namhaften Verurteilungen. Geldwäscherei und Steuerhinterziehung, wenn sie in Netzwerken aus Briefkastenfirmen in unterschiedlichen Ländern getarnt werden, sind schwierig nachzuweisen. Dazu müssen Millionen von Finanztransaktionen nachverfolgt werden, was für Strafverfolgungsbehörden ein enormer Aufwand bedeutet.
Ob die Recherche hinter den Pandora Papers legale Steuervermeidung oder die illegale Steuerhinterziehung aufdeckt, werden nun Gerichte entscheiden müssen. Für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist der Effekt sowieso ähnlich: Sie werden um Geld geprellt, das eigentlich in der Staatskasse sein müsste.