Patientenzimmer im Krankenhaus Nord in Wien.
ORF.at/Christian Öser
Trotz Coronavirus-Pandemie

Experten für Abbau von Spitalsbetten

Experten und Expertinnen haben sich am Montag für einen Abbau von Spitalsbetten ausgesprochen. Angesichts der Coronavirus-Pandemie mag das für viele irritierend wirken, gerade die Krise habe aber gezeigt, dass sich Österreich zu viele Betten leiste, so die Experten. Kritik an der Forderung kam vonseiten der Ärztekammer und der SPÖ.

Nachdem in der Vergangenheit immer wieder die Reduktion von Spitalsbetten gefordert wurde, verwies in den vergangenen Wochen vor allem die SPÖ des Öfteren darauf, hier richtig gehandelt zu haben, indem man keine „Ökonomisierung“ des Gesundheitsbereichs vorgenommen habe, so etwa der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) meinte am Montag gegenüber dem „Standard“ aber, dass das glimpfliche Abschneiden des Landes nicht mit der hohen Anzahl an Akutbetten (rund 5,5 pro tausend Einwohnern) zusammenhänge. Vielmehr habe die Überlastung der Gesundheitssysteme etwa in Italien, wo es weit weniger Spitalsbetten gebe, mit anderen Faktoren zu tun wie mit der Wohnsituation der Betroffenen.

Gesundheitsstadtrat Peter Hacker.
APA/Hans Punz
Hacker ist strikt gegen den Abbau von Spitalsbetten – gerade die Stärke des Gesundheitssystems sei in der Pandemie einer der Erfolgsfaktoren gewesen

„Besser in Vorsorge investieren“

Auch der Annahme, dass viele Spitalsbetten eine gute Versicherung gegen weitere Infektionswellen seien, widersprach er. Nur alle zehn bis 20 Jahre sei mit einer Pandemie zu rechnen, da sollte ein Land besser in die Vorsorge investieren statt in über lange Zeit überflüssige Infrastruktur. Es brauche die nötige Grundausstattung und Frühwarnsysteme, bei denen ein Stab aus Spezialisten und Spezialistinnen rasch die richtigen Maßnahmen ergreife.

Während der unabhängige Ökonom Ernest Pichlbauer dem auf APA-Anfrage beipflichtete und ein Umschichten der Mittel in die Versorgung chronisch Kranker und der Pflege forderte, zeichnete Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher-Holzhacker (MedUni Wien) ein differenzierteres Bild. Natürlich gebe es Ineffizienzen und die Notwendigkeit von Kapazitätsanpassungen, aber die hohe Bettenzahl habe in der Coronavirus-Krise vertrauensbildend gewirkt. „Das halte ich atmosphärisch für wichtig“, sagte sie und sprach vom „intangiblem Nutzen.“

Expertin: Ambulante Versorgung sicherstellen

Nicht vergessen dürfe man auch, dass zuletzt, konkret von 2008 bis 2018, die tatsächliche Bettenzahl in Fondskrankenanstalten bereits um 4.416 auf 44.183 zurückgenommen worden sei. Allein im Jahr 2018 habe das eine Kostenersparnis von mehr als 800 Mio. Euro gebracht, kumuliert in den zehn Jahren rund 4,2 Mrd. Euro. Die Personalquote pro Bett sei in diesem Zeitraum gestiegen.

Außerdem, so Hofmarcher-Holzhacker, müsse sichergestellt sein, dass die ambulante Versorgung inklusive mobiler Pflege breit aufgestellt sei, bevor man sich der Kapazitätsanpassung im Spitalsbereich widme. Sie appellierte hier für einen gemeinsam von Sozialversicherung und Ländern gespeisten Finanzierungstopf mit Vorgaben des Bundes.

Kritik der Ärztekammer

Aus der Ärztekammer kam indes eine klare Absage zum Abbau von Spitalsbetten. Aussagen, dass man auch mit der Hälfte ausgekommen wäre, gingen „deutlich und auch sehr gefährlich“ an der Realität vorbei, meinte Vizepräsident Wolfgang Weismüller in einer Aussendung: „Statistiker mögen ihre Zahlen lieben, die Einschätzung der Arbeit im Spital ist dann aber doch etwas für die Ärztinnen und Ärzte.“

Auch Hacker stellte sich am Montag vehement gegen die Forderung der Gesundheitsökonomen. Als größtes derzeitiges Problem im Gesundheitswesen sieht er den Einnahmeneinbruch der Sozialversicherungen. Für die Kassen müsse es hier Geld aus dem Budget geben.

Krankenanstalt Rudolfstiftung.
ORF.at/Christian Öser
In der Wiener Rudfolfstiftung wurde der erste Coronavirus-Patient behandelt. Kurz darauf mussten drei Krankenhausabteilungen geschlossen werden.

„Debatte jetzt führen zu müssen ist absurd“

„Ich finde es absurd, diese Debatte jetzt führen zu müssen“, sagte Hacker. Es sei gerade die Stärke des Gesundheitssystems, die in der Pandemie einer der Erfolgsfaktoren gewesen sei. 100 Mitarbeiter in der Rudolfstiftung und auch eine ganze Geburtenabteilung in Quarantäne abfangen zu können habe nur funktioniert, weil man die notwendigen Reserven gehabt habe. Die Menschen würden das schätzen, die Debatte sei daher bereits eindeutig entschieden.

Die zitierten Experten sitzen nach Ansicht Hackers auch einer Fehleinschätzung der Zahlen aus den Coronavirus-Dashboards auf. Dass so viele freie Kapazitäten ausgewiesen gewesen seien, liege daran, dass Tausende Operationen bewusst nicht durchgeführt worden und Behandlungen verschoben worden seien. Wer daraus ableite, dass das Angebot in den Spitälern viel zu groß sei, sei in Wirklichkeit der Meinung, dass Patienten nicht behandelt werden sollten.

Hacker sieht Einnahmenproblem als Grund

Dass die Experten gerade jetzt auf den Platz träten und das Gesundheitssystem als zu groß titulierten, ist für den Stadtrat nicht verwunderlich. Wegen des Wirtschaftseinbruchs hätten die Krankenversicherungen nämlich ein Einnahmenproblem. 400 Mio. Euro seien es bisher schon weniger, dazu kämen 800 Mio. Euro an gestundeten Krankenversicherungsbeiträgen. Insgesamt könnte sich all das auf eine Mrd. Euro, vielleicht mehr summieren, so Hacker.

Von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sei hier nichts zu hören, dabei brauche es einen aus dem Bundesbudget dotierten Hilfsfonds für das Krankenversicherungssystem. „Alle Landesräte machen sich genau in dieser Frage Sorgen“, sagte er, vom Bund gebe es aber keine entsprechenden Signale. Es gelte, den ganzen Sozialversicherungsbereich auszubauen, andernfalls drohe die Verschiebung in den Bereich der Privatfinanzierung.