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Quantenphysiker David Deutsch "Ich existiere unendlich oft"

Für den Physiker David Deutsch ist unser Universum nur eines von unendlich vielen, in denen er parallel lebt. Was Laien absurd erscheint, folgert Deutsch aus der Quantentheorie. Im Interview wirft er seinen Physikerkollegen vor, die objektive Realität zu ignorieren.

Frage: Herr Deutsch, Sie sagen, dass es ein Universum gibt, in dem die Erde anders als in unserem Universum vor 60 Millionen Jahren nicht von einem Kometen getroffen wurde. Sind Sie sich sicher?

David Deutsch: Ja, ganz sicher.

Frage: Gibt es dann auch Universen, in denen die Dinosaurier überlebt und sich zu intelligenten Lebewesen weiterentwickelt haben?

Deutsch: Das folgt aus der Quantentheorie, einer der fundamentalsten Theorien der Physik. Diese Folgerung, dass es viele verschiedene Universen gibt, ist übrigens nicht meine Idee. Sie ist seit 50 Jahren bekannt und wurde von Hugh Everett als Erstes publiziert.

Frage: Wo sind denn die ganzen anderen Universen?

Deutsch: Wir müssen berücksichtigen, dass die Frage nach dem Wo sich immer schon auf ein bestimmtes Universum bezieht. Zum Beispiel, ich wohne in Oxford, Sie nicht. Wir beziehen uns auf verschiedene Orte im gleichen Universum. Wenn Sie fragen, wo das Universum ist, geraten Sie in Gefahr, Ihre Vorstellung irrezuführen, indem Sie versuchen, sich das andere Universum irgendwo in unserem Universum vorzustellen, so wie einen anderen Ort.

Frage: Wie kann man sich das dann besser vorstellen?

Deutsch: Es ist besser, am anderen Ende zu beginnen. Nach der Quantentheorie besteht die physikalische Realität aus einem viel größeren Ding als der Gesamtsumme der Dinge, die wir sehen, der Sterne, der Galaxien. Die Realität ist ein viel größeres Ding, und das nennen wir Multiversum. Es hat Regionen, die sich fast autonom von den anderen Regionen verhalten. Und das sind eben die verschiedenen Universen.

Frage: Sie sagen, wir alle würden in vielen dieser Universen existieren. In wie vielen dieser Universen würden wir Sie treffen?

Deutsch: Wir sprechen hier über exponentiell große Zahlen. Es gibt unter den Universen solche, die sich deutlich voneinander unterscheiden und solche, die vollkommen identisch sind. Welche wollen Sie zählen?

Frage: Nur die verschiedenen, in denen es trotzdem David Deutsch gibt.

Deutsch: Das wäre immer noch eine extrem große Zahl. Wenn wir alle, also auch die identischen Universen zählen, wäre die Antwort sogar unendlich.

Frage: Wann beginnen Universen denn, sich unterschiedlich zu entwickeln?

Deutsch: Wenn Sie eine Münze werfen, werfen Sie die in unendlich vielen Universen, die identisch sind, dazu noch in ein paar anderen. Konzentrieren wir uns für dieses Beispiel auf die identischen: Sie teilen sich in zwei Gruppen auf, die sich unterschiedlich entwickeln, entsprechend den zwei möglichen Ergebnissen Kopf oder Zahl. Jede Gruppe enthält immer noch unendlich viele Universen.

Frage: Für Sie sind alle Möglichkeiten, die nach der Quantentheorie eintreffen, Realität, wenn auch in verschiedenen Universen. Nach der von den meisten Physikern vertretenen Kopenhagener Interpretation kann aber nur eine Möglichkeit real sein. Welche, Kopf oder Zahl, entscheidet sich bei der Messung. Wann haben Sie begonnen, daran zu zweifeln?

Deutsch: Ich fühlte mich schon immer unzufrieden damit. Ich denke, das geht allen Physikern so, sogar den Anhängern der Kopenhagener Deutung. Auch ich habe sie ohne ernsthafte Kritik akzeptiert, bis ich als Graduiertenstudent in den 1970ern versucht habe, sie zu verbessern. Ich habe damals an der Frage geforscht, welche Mechanismen, zum Beispiel welche Aspekte des Bewusstseins, ein Universum auswählen und real machen und dafür sorgen, dass die anderen Universen reine Möglichkeiten bleiben. Als ich das versucht habe, wurde mir klar, dass es nicht geht. Die einzige funktionierende Alternative ist die Hypothese, dass alle Universen real und immer noch vorhanden sind.

Frage: Warum ist es falsch anzunehmen, dass der Akt der Messung entscheidet, was real ist?

Deutsch: Die Frage ist, ob man Ergebnisse interpretieren kann, indem man sagt, der Akt der Messung ändert unvermeidlicherweise das, was herauskommt. Wenn Sie das zu Ende denken, kommen Sie darauf, dass diese Lösung nicht funktioniert. Denn sie verleugnet die Realität der Dinge, bevor sie gemessen oder wahrgenommen werden.

Frage: Vor der Messung sieht man die Dinge ja auch nicht. Warum soll auch real sein, was man nicht sieht?

Deutsch: Diese Argumentation, dass etwas nicht real ist, weil man es nicht sieht, kann gegen alle wissenschaftlichen Theorien verwendet werden. Man kann sie immer benutzen, um die Realität der Gegenstände und Größen abzustreiten, über die in der Wissenschaft gesprochen wird.

Frage: Warum folgen so viele Physiker immer noch der Kopenhagener Interpretation und nur vielleicht zehn Prozent der Multiversum-Theorie?

Deutsch: Das ist eine schlimme Erscheinung. Leider habe ich auch keine vollständige Antwort darauf. Es hängt mit der Philosophie des 20. Jahrhunderts zusammen, die versuchte, die Existenz objektiver Realität zu bestreiten. Das ist Gift für Wissenschaft und für Philosophie.

Frage: Hat es denn einen praktischen Effekt, für welche Theorie man sich entscheidet?

Deutsch: Mit allen Theorien, die man kennt und versteht, kann man richtige Vorhersagen machen – unabhängig davon, ob man sagt, etwas sei real oder nicht. Aber wenn man eine Theorie verbessern will, ist das anders. Mit dem Ansatz, dass eine wissenschaftliche Theorie nur ein Satz Regeln ist, mit dem man etwas vorhersagt, würde man die Regeln nie finden. Denn die Regeln werden nur entdeckt, indem man postuliert, dass etwas real ist und reale Eigenschaften hat, von denen wir die Beobachtungen ableiten können. Wenn man diesen Schritt auslässt, dann friert man den Fortschritt ein. Und genau das ist auch geschehen.

Frage: Inwiefern?

Deutsch: Zum Beispiel in meinem engeren Forschungsfeld. Die Entdeckungen, die ich und Kollegen in den 1980ern über den universalen Quantencomputer gemacht haben, hätten gut und gern auch schon in den 1950ern und selbst in den 1930ern gemacht werden können. Das geschah nur nicht, glaube ich, weil niemand Quantentheorie als eine Theorie der Realität ernst nahm. Man nahm sie nur als Methode ernst, mit der man Vorhersagen macht. So kann man nicht über neue reale Objekte nachdenken, über die man noch nie nachgedacht hatte, und die Quantentheorie in einer Art befolgen, über die man auch noch nicht nachgedacht hat, so wie es bei den Quantencomputern geschieht. Ich sollte sagen, dass zwar nicht alle, die daran forschen, an die Multiversum-Interpretation glauben. Aber ich denke, es ist bemerkenswert, dass es auf dem Gebiet mehr Anhänger für die Multiversum-Theorie gibt als in anderen Feldern der Physik.

Frage: Glauben Sie, dass Sie noch mehr Kollegen von der Richtigkeit der Multiversum-Theorie überzeugen können?

Deutsch: Ich glaube schon. Jüngere Menschen sind offener dafür. Außerdem, und das ist wichtiger, ändert sich das philosophische Klima zurück dahin, die Realität zu respektieren. Ich denke, es ist eher das als die direkte Überzeugungsarbeit, was der Multiversum-Theorie mehr Anhänger bringen wird.

Das Gespräch führte Michael Fuhs.

Technology Review  , Heise Zeitschriften Verlag, Hannover