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Friedrich Schiller @ www.Wissen-im-Netz.info
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      Schiller, Friedrich
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            Christian Gottfried Körner
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                  ...
                  unbekannt, an Körner
                  unbekannt, an Körner
                  unbekannt, an Schiller
                  2.5.1787, an Schiller
                  24.7.1787, an Schiller
                  23.7.1787, an Körner

                  28.7.1787, an Körner
                  2.8.1787, an Schiller
                  8.8.1787, an Körner
                  12.8.1787, an Körner
                  14.8.1787, an Schiller
                  19.8.1787, an Schiller
                  18.8.1787, an Körner
                  24.8.1787, an Schiller
                  26.8.1787, an Körner
                  28.8.1787, an Huber
                  29.8.1787, an Körner
                  4.9.1787, an Körner
                  7.9.1787, an Schiller
                  ...
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Weimar, 12. August 1787.

Ich weiß mich nicht genau mehr zu erinnern, wo ich in meinem letzten Briefe stehen geblieben bin; indeß will ich fortfahren. – Am vorigen Sonntag1) hörte ich Herder zum erstenmal predigen. Der Text war der ungerechte Haushalter, den er mit sehr viel Verstand und Feinheit auseinandersetzte. Du kennst das Equivoque in diesem Evangelium. Die ganze Predigt glich einem Discurs, den ein Mensch allein führt, äußerst plan, volksmäßig, natürlich. Es war weniger eine Rede, als ein vernünftiges Gespräch. Ein Satz aus der praktischen Philosophie, angewandt auf gewisse Details des bürgerlichen Lebens – Lehren, die man ebenso gut in einer Moschee, als in einer christlichen Kirche erwarten könnte. Einfach wie sein Inhalt ist auch der Vortrag: keine Begerdensprache, kein Spiel mit der Stimme, ein ernster und nüchterner Ausdruck. Es ist nicht zu verkennen, daß er sich seiner Würde bewußt ist. Die Voraussetzung dieses allgemeinen Ansehenes giebt ihm Sicherheit und gleichsam Bequemlichkeit, das ist augenscheinlich. Er fühlt sich als einen überlegenen Kopf, von lauter untergeordneten Geschöpfen umgeben. Herders Predigt hat mir besser als jede andere, die ich in meinem Leben zu hören bekommen habe, gefallen – aber ich muß dir aufrichtig gestehen, daß mir überhaupt keine Predigt gefällt2). Das Publicum, zu welchem ein Prediger spricht, ist viel zu bunt und zu ungleich, als daß seine Manier eine allgemein befriedigende Einheit haben könnte, und er bedarf den schwächlichen Theil nicht ignoriren, wie der Schriftsteller. Was kommt also heraus? Entweder er giebt dem Menschen von Sinn Alltagswahrheiten oder Mystik zu hören, weil er den Blödsinnigen opfern muß – oder er muß diesen scandalisiren und verwirren, um den ersten zu unterhalten. Eine Predigt ist für den gemeinen Mann – der Mann von Geist, der ihr das Wort spricht, ist ein beschränkter Kopf, ein Phantast oder ein Heuchler. Diese Stelle kannst du übrigens beim Vorlesen meines Briefes überschlagen. Die Kirche war gedrängt voll und die Predigt hatte das große Verdienst, nicht lange zu dauern.

Dieser Tage hatte ich auch Gelegenheit Mlle. Schröder kennen zu lernen. Ich traf sie von ungefähr beim Kammerherrn von Einsiedel. Ihre Figur und die Trümmer ihres Gesichts rechtfertigen Deine Verplemperung. Sie muß in der That schön gewesen sein, denn vierzig Jahre haben sie noch nicht ganz verwüsten können. Übrigens dünkt sie mir ein höchst gewöhnliches Geistesproduct zu sein. Die übertreibende Bewunderung guter Köpfe hat ihr eine bessere Meinung von sich selbst aufgedrungen, als sie sich angemaßt haben würde, als sie gegen ihr Selbstgefühl vielleicht behaupten kann. Ihr wichtiges Verdienst, glaube ich, wäre, einer Haushaltung vorzustehen, von der Kunst schient sie mir sehr genügsame nüchterne Begriffe zu haben. Man hat sich übrigens ganz gut und bequem in ihren Umgang, aber man geht ruhig und leer von ihr hinweg. Mlle. Schmidt hätte ich vorgestern bei Charlotte finden können, wenn ich neugierig genug gewesen wäre, ihr zur Liebe etwas zu versäumen.

Dieser Tage bin ich auch in Goethes Garten gewesen, beim Major von Knebel, seinem intimen Freunde. Goethes Geist hat alle Menschen, die sich zu seinem Zirkel zählen, gemodelt. Eine stolze philosophische Verachtung aller Speculation und Untersuchung, mit einem bis zur Affectation getriebenen Attachement an die Natur und einer Resignation in seine fünf Sinne, kurz eine gewisse kindliche Einfalt der Vernunft bezeichnet ihn und seine ganze hiesige Secte. Da sucht man lieber Kräuter oder treibt Mineralogie, als daß man sich in leeren Demonstrationen verfinge. Die Idee kann ganz gesund und gut sein, aber man kann auch viel übertreiben. Aus diesem Knebel wird hier erstaunlich viel gemacht, und unstreitig ist er auch ein Mann von Sinn und Charakter. Er hat viel Kenntnisse und einen planen hellen Verstand – wie gesagt, er kann recht haben; aber es ist soviel Gelebtes, soviel Sattes und grämlich Hypochondrisches in dieser Vernünftigkeit, daß es einen beinahe mehr reizen könnte, nach der entgegengesetzten Weise ein Thor zu sein. Es wurde mir als eine nothwendige Rücksicht anempfohlen, die Bekanntschaft dieses Menschen zu machen, theils weil er hier für einen der gescheidtesten Köpfe gilt, und zwar mit Recht, theils, weil er nach Goethe den meisten Einfluß auf den Herzog hat. In beiden Fällen also wär’s auffallend gewesen, ihn zu ignorieren. Daß wir nicht für einander taugen können, wirst Du aus dieser Schilderung schließen – übrigens habe ich mich in ihn zu fügen gesucht. Er beredete mich zu einem Spaziergang nach Tieffurth, wo er Geschäfte bei der Herzogin hatte. Da ich seit jenem Concert nicht zu ihr gebeten worden war, so war’s handgreiflich, daß sie mir wenig nachfragte. Ich machte also Schwierigkeit, mit ihm bis vor ihr Lusthaus zu gehen. Weil er mir aber versicherte, daß das nichts zu bedeuten hätte, so erwartete ich ihn vor dem Hause, bis er mich bei ihr angekündigt hätte. Er kam also wieder und führte mich hinein. Hier that man nun (auf Hofmanier) sehr gnädig gegen mich, ich mußte Caffee trinken und zwei Stück Kirschkuchen essen (der, nebenher gesagt, ganz vortrefflich schmeckte und keinen Stein hatte), und durch meine vorausgesetzte Reise nach Erfurt schien man mir einen Schlüssel dazu geben zu wollen, warum ich die Woche nicht gebeten worden war. Die Herzogin sagte mir, daß ich am Sonnabend eine Operette sehen würde, die in einem geschlossenen Zirkel bei ihr gegeben werden sollte. Man wollte uns zum Mittagessen behalten, aber Knebel mußte nach der Stadt zurück, und ich begleitete ihn wieder zurück. Diese Operette wurde den Sonnabend3) gegeben, und weil ich keine eigentlich Invitation mehr bekam, so blieb ich, nach dem Rath von Charlotte, weg. Sie zwar hatte eine erhalten, worin gesagt wurde, daß sie sich eine Gesellschaft dazu wählen könnte, wobei ich gemeint war. Aber da man mich nur als ein Pendant von ihr behandelte, so thaten wir beide, als verständen wir’s nicht.

Wie sie ankam und mich nicht mitbrachte, ging ihr Wieland entgegen und fragte, wo ich wäre? Auch die Herzogin verwunderte sich, daß ich nicht gekommen war. Charlotte, abgeredetermaßen, fragte ganz einfältig, ob ich denn gebeten worden wäre? Heut früh kam nun Gotter (der die Operette corrigirt und einen Prolog gemacht hatte), und wollte mir beweisen, daß ich schrecklich unrecht gehabt hätte, nicht zu kommen. Du siehst, wie krumm und schief auch hier die Gänge sind. Doch ist das auch eigentlich nur bei der Alten. Jetzt hab’ ich sie vollends satt und ich freue mich, ihr Beweise davon zu insinuiren. Auf den Dienstag kommt die Herzogin Louise. Gotter ist heute wieder fort.

Bertuch ist endlich angekommen und gleich heute Vormittag traf ich ihn bei Charlotte. Ihr könnt denken, daß viel von Euch gesprochen worden: „Körner ist ein lieber, vortrefflicher Mann; Madame Körner, eine liebenswürdige lebhafte Person, von vielem Verstande, einem sprechenden Auge, vieler Grazie und Empfindung, reizender Contour des Gesichts, charamanter Figur; Dorchen eine sehr geistvolle Person, vor welcher er eine ganz vorzügliche Achtung hat.“ – Damit Ihr mir aber nicht zu stolz werdet, so fahre ich fort: – „Der Finanzrath ist ein schätzbarer liebenswürdiger Mann, seine Schwester zwar verwachsen, aber voll Seele und Gefühl. Neumanns sind vortreffliche Menschen.“ Kurz, Bertuch war ganz Bewunderung, ganz Entzücken über seinen Dresdener Aufenthalt.

Dieser Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst langweiligen Spaziergang machen müssen. Das ist ein nothwendiges Übel, in das mich mein Verhältniß mit Charlotte gestürzt hat – und wie viel flache Creaturen kommen einem da vor. Die beste unter allen war Frau v. Stein, eine wahrhaftig eigene interessante Person, und von der ich begreife, daß Goethe sich so ganz an sie attachirt hat. Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen. Diese Frau besitzt vielleicht über tausend Briefe von Goethe, und aus Italien hat er ihr noch jede Woche geschrieben. Man sagt, daß ihr Umgang ganz rein und untadelhaft sein soll.

Goethe (weil ich Dir doch Herders Schilderung versprochen habe), Goethe wird von sehr vielen Menschen (auch außer Herder) mit einer Art von Anbetung genannt, und mehr noch als Mensch, denn als Schriftsteller geliebt und bewundert. Herder giebt ihm einen klaren universalen Verstand, das wahrste und innigste Gefühl, die größte Reinheit des Herzens! Alles, was er ist, ist er ganz, und er kann, wie Julius Caesar, vieles zugleich sein. Nach Herders Behauptung ist er rein von allem Intriguengeist, er hat wissentlich noch niemand verfolgt, noch keines anderen Glück untergraben. Er liebt in allen Dingen Helle und Klarheit, selbst im Kleinen seiner politischen Geschäfte, und mit eben diesem Eifer haßt er Mystik, Geschraubtheit, Verworrenheit.

Herder will ihn ebenso und noch mehr als Geschäftsmann, denn als Dichter bewundert wissen. Ihm ist er ein allumfassender Geist.

Seine Reise nach Italien hat er von Kindheit an schon im Herzen herumgetragen. Sein Vater war da. Seine zerrüttete Gesundheit hat sie nöthig gemacht. Er soll dort im Zeichnen große Schritte gethan haben. Man sagt, daß er sich sehr erholt habe, aber schwerlich vor Ende des Jahres zurückkommen würde.

Gestern besuchte mich Voigt4). Ich glaube, Du kennst ihn dem Namen nach schon. Es ist ein ganz trefflicher Mann, und was Dich erfreuen kann, ich glaube, daß wir Freunde zusammen werden. Er hatte mir eine Visite heimzugeben, wo ich ihn verfehlt hatte, und wollte nur eine Viertelstunde bleiben. Aus dieser wurden aber zwei Stunden, und wir gingen sehr warm und vergnügt auseinander. Ich hatte, so lange ich hier bin, ein heftiges Bedürfniß eines vertrauten Freundes. Voigt kann dieser Freund für mich werden. Außerdem ist er einer der angesehensten Geschäftsmänner, von großen und kleinen Geistern geschätzt, mit den besten liirt und ein Orakel für den Herzog. Ich besuche ihn heute wieder, und werde Dir mehr von ihm zu schreiben haben.

Wieland habe ich noch nicht gesehen; neulich verfehlte ich ihn – also ist er schuldig, mich aufzusuchen. Ich höre, daß er heute oder morgen nach Eisenach reist. Es kann also kommen, daß wir uns nicht mehr sehen – durch Voigt, Reinhold, Herder und andere soll er aber von mir hören, und ich gebe Dir mein Wort, daß er vor mir erröthen soll.

Herder hat sich laut für mich erklärt, an der Tafel bei der Herzogin meine Partie genommen. Vorigen Sonnabend versicherte er Charlotte, daß ich ihn sehr interessire; er sagte ihr, daß er ehemals gegen mich gesprochen hätte, aber er hätte mich nur aus dem Hörensagen beurtheilt. Er bat sie um meine Schriften. Was er bis jetzt im Carlos gelesen, habe ihm diese bessere Meinung von mir bestätigt. Ich hatte mit ihm von ihr gesprochen. Er erzählte ihr davon und drückte ihr dabei die Hand. Dieser letzte Zug hat sie und mich sehr interessirt.

Diese Woche gehe ich nach Jena, Schütz5) und Reinhold zu besuchen.

Jetzt lebe wohl. Ich muß eilen den Brief auf die Post zu bringen. Huber und Dorchen schreibe ich nächstens. Mache Kunzes meine Empfehlungen. Adieu.

S.

Ü    Þ


1) 5. August. ­
2) Vgl. Körners Entgegnung I, 148 f.
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3) 11. August.
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4) Chr. Gottlob Voigt, geb. 1743, starb als Geh. Rath am 22. März 1819. Vgl. I, 177, 191. 296.391. II, 54 und Goethes Briefe an Voigt. Hrsg. V. O. Jahn. Leipzig 1868. S. 31 ff.
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5) Prof. der Philologie und Redacteur der Allg. Literaturzeitung.
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