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Tuvia Tenenbom unter Flüchtlingen "Ihr Deutschen denkt wirklich, dass ihr besser seid"

Tuvia Tenenbom, umstrittener Autor, über das umstrittenste Thema der deutschen Politik: Für sein neues Buch war er "Allein unter Flüchtlingen" - und traf außerdem Anwohner, Akif Pirinçci und Gregor Gysi.
Tuvia Tenenbom (2. von rechts) mit syrischen Flüchtlingen in Gräfenhainichen

Tuvia Tenenbom (2. von rechts) mit syrischen Flüchtlingen in Gräfenhainichen

Foto: Isi Tenenbom
Zur Person

Tuvia Tenenbom, 1957 in Tel Aviv geboren, stammt aus einer deutsch-jüdisch-polnischen Familie und lebt seit 1981 in New York. Er arbeitet als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel, darunter für "Die Zeit". 1994 gründete er das Jewish Theater of New York. Zuletzt erschienen die Bestseller "Allein unter Juden" (2014) und "Allein unter Deutschen" (2012) sowie "Allein unter Amerikanern"(2016).

In der Alten Handelsbörse in Leipzig beantwortet Tuvia Tenenbom Fragen zu seinem aktuellen Buch "Allein unter Flüchtlingen". Während des Gesprächs regt sich Unmut im Publikum, nicht jeder scheint einverstanden mit den provokanten Aussagen des Autors über Rechte und Linke in Deutschland. Manche Formulierungen verursachen Kopfschütteln, einige Zuhörer verlassen sogar den Raum.

SPIEGEL ONLINE: Herr Tenenbom, wie steht es Ihrer Meinung nach um die Medienlandschaft und die Meinungsfreiheit hierzulande?

Tenenbom: Es gibt keinen Journalismus mehr, vor allem in Deutschland nicht. Stattdessen gibt es Aktivismus. Journalisten berichten nicht mehr, was geschieht, sondern was wir denken sollen. Carolin Emcke, die 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hat, ist eine Aktivistin, keine Journalistin. Sie predigt.

SPIEGEL ONLINE: Die besten Journalisten sind für Sie also jene...

Tenenbom: … ... die von Tatsachen berichten. Und die uns nicht erzählen, was richtig und was falsch ist.

SPIEGEL ONLINE: Aber ist es nicht zum Beispiel ganz elementar, gegen Hass einzutreten, wie es Emcke getan hat?

Tenenbom: Nein. Das kann man im Privatleben praktizieren, aber nicht im Journalismus. Wenn ich Juwelier bin und Ihnen einen Diamanten verkaufe, tue ich das auch nicht nur dann, wenn Sie das glauben, was ich glaube. Die Aufgabe eines Journalisten ist es nicht, zu den Massen zu predigen. Der Juwelier soll Ihnen verkaufen, was Sie wollen, und der Journalist soll Ihnen die Wahrheit sagen. Mehr nicht.

SPIEGEL ONLINE: Was genau verändert sich gerade in der Medienlandschaft?

Tenenbom: Die "New York Times" ist heute unterwegs in einer Mission namens Liberalismus - was immer das bedeutet. Bei diesen liberalen Geistern heißt es: Meine Meinung zählt, deine nicht. In Deutschland ist das noch ausgeprägter, man kann das am Beispiel von Akif Pirinçci sehen. Von ihm kann man halten, was man will, aber er hat ein Recht auf seine Meinung. Die großen Medienhäuser mussten vor Gericht zugeben, dass sie ihn falsch zitiert haben. Boykottiert wird er immer noch. Random House hat den Vertrag mit ihm aufgelöst, selbst seine Katzenromane kann man nicht mehr kaufen.

SPIEGEL ONLINE: Random House ist ein privates Unternehmen. Der Verlag darf sich seine Autoren aussuchen.

Tenenbom: Aber wenn sie entscheiden würden, nur weiße Schriftsteller zu verlegen, keine schwarzen, ginge das vor Gericht, und dort würden sie gestoppt werden. Das ist dasselbe. Kein Unternehmen hat das Recht, jemanden zu schädigen.

Beschmierter Hauseingang von Akif Pirinçci

Beschmierter Hauseingang von Akif Pirinçci

Foto: Isi Tenenbom

SPIEGEL ONLINE: Aber abgesehen von seinem missverständlichen KZ-Zitat vertritt Pirinçci doch ganz offensichtlich rassistische und menschenverachtende Ansichten.

Tenenbom: Auf den ersten Blick richtig, auf den zweiten falsch. Ja, er beschimpft Muslime und den Islam - aber er ist ein Türke und dunkelhäutig. Wenn ein hellhäutiger Deutscher das Christentum beleidigt, sich über Jesus und den Papst lustig macht, wird er als Intendant an einem der besten deutschen Theater landen. Wenn ein Christ seine eigene Religion beleidigt, bleibt er ein freier Mann, er wird sogar für seinen Freigeist gelobt. Pirinçci hat genau dasselbe getan, nur als Moslem. Und jetzt ist er ein Rassist?

SPIEGEL ONLINE: Das eine macht das andere nicht besser. Es bleibt dabei: Pirinçci hat rassistische Ansichten.

Tenenbom: Dann soll man eben seine rassistischen Bücher aus dem Verkehr ziehen. Aber dieser Mann ist auch ein Autor von Liebesgeschichten und Katzenromanen. Wie kann man alle seine Werke verdammen? Wer das tut, sollte auch Richard Wagner verdammen. Denn er war zweifellos ein Nazi.

SPIEGEL ONLINE: Sie nennen Pirinçci in Ihrem Buch einen "freien Geist", den neurechten Verleger und Publizisten Götz Kubitschek einen "netten Kerl". Ist das nicht naiv?

Tenenbom: Ich bin nicht naiv. Ich weiß sehr wohl, was sie sagen und denken. Aber um jemandem respektvoll zu begegnen oder ihn zu mögen, muss ich nicht seiner Meinung sein. Und übrigens: Was Götz Kubitschek sagt, auch was Lutz Bachmann sagt, denkt in den USA jeder Zweite.

SPIEGEL ONLINE: Das macht es ja nicht besser.

Tenenbom: Ich will nur sagen: Sollen wir jetzt alle Amerikaner so behandeln? Nein. Und wissen Sie was? Viele Deutsche denken genauso, sie haben nur Angst, es auszusprechen. Na und? All diese Leute dürfen sich Europäer nennen. Es gibt halt eine Auseinandersetzung zwischen der einen Auffassung, die es schon früher gab, die auf die Bewahrung der eigenen Kultur setzt - Sie können das Engstirnigkeit nennen -, und einer anderen Bewegung, die keine Grenzen und Nationalstaaten will und Kulturen vermischen möchte. Das sind zwei gültige Ansichten, zwei zulässige Wünsche. Lasst die Wahlen entscheiden! Aber nennt diese Leute nicht Nazis, nur weil sie die deutsche Kultur bewahren wollen.

Tenenbom und Geflüchtete vor Unterkunft im Dortmunder Hafen

Tenenbom und Geflüchtete vor Unterkunft im Dortmunder Hafen

Foto: Isi Tenenbom

SPIEGEL ONLINE: Sie haben vom Liberalismus gesprochen. Was bedeutet er für Sie?

Tenenbom: Meinungsvielfalt. Wir öffnen allen die Tür, jeder hat ein Recht auf seine Meinung. Lutz Bachmann genauso wie Gregor Gysi. Und ich denke, ich habe beide gleich behandelt. Denn ich sehe keinen Unterschied zwischen ihnen. Inhaltlich gibt es den natürlich, aber der eine ist deshalb nicht besser als der andere. Demokratie bedeutet letztlich: Die Mehrheit legt die Regeln fest. Wenn die Mehrheit ihre Macht missbraucht, entscheidet das oberste Gericht gegen sie. So läuft das. Aber nicht, indem man Leute beschimpft, boykottiert oder schlecht aussehen lässt, nur weil eine Ansicht nicht politisch korrekt ist.

Tenenbom beim EM-Public-Viewing in Hannover

Tenenbom beim EM-Public-Viewing in Hannover

Foto: Isi Tenenbom

SPIEGEL ONLINE: Für Ihr Buch "Allein unter Deutschen" sind Sie 2010 sechs Monate durch Deutschland gereist. Im vergangenen Jahr waren Sie wieder unterwegs, diesmal "Allein unter Flüchtlingen". Wie erleben Sie das Land heute?

Tenenbom: Wir haben hier den wirklich extremen Fall eines Landes, das kein Einwanderungsland war und plötzlich entschieden hat, eines zu sein. Durch die Straßen zu laufen und so viele Menschen Arabisch sprechen zu hören: Das ist schon eine extreme Veränderung. Der ganze Westen bewegt sich in eine Richtung - Gott weiß wohin -, doch Deutschland bewegt sich zehnmal so schnell.

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Tenenbom, Tuvia

Allein unter Flüchtlingen (suhrkamp nova)

Verlag: Suhrkamp Verlag
Seitenzahl: 234
Für 13,95 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

28.04.2024 13.13 Uhr

Keine Gewähr

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SPIEGEL ONLINE: Wie sind Ihnen die Deutschen begegnet?

Tenenbom: Viele haben mir erzählt, wie stolz sie darauf sind, was ihr Land tut. Sie haben bewiesen, dass sie gute Menschen sind, besser als andere. Und ich habe mir gedacht: Deutschland über alles. Ihr denkt wirklich, dass ihr besser als andere seid. Wir sind alle gleich, kapiert es endlich!

SPIEGEL ONLINE: Erleben Sie die Deutschen als liberal?

Tenenbom: Nein, ich kaufe es ihnen nicht wirklich ab. Jedenfalls nicht das, was ich unter liberal verstehe. Es gibt immer noch Antisemitismus hier, und wenn ich lange genug mit jemandem streite, werde ich am Ende "der Jude" sein. So ist es, und ich kann nichts dagegen tun. Selbst wenn die Deutschen die Syrer willkommen heißen, mich heißen sie nicht willkommen. Natürlich nicht alle, verstehen Sie mich nicht falsch. So etwas wie "alle" existiert nicht. Aber es gibt diese Geisteshaltung.

SPIEGEL ONLINE: In Ihren Büchern erscheint manches arg simpel. Wie begegnen Sie dem Vorwurf, es sich zu leicht mit Ihren Einschätzungen zu machen?

Tenenbom: Ich habe 15 Jahre an der Universität verbracht. Wenn ich alles in kluge Formulierungen kleiden soll, kann ich das gerne tun. Aber die wichtigste Lektion, die ich in meiner religiösen Ausbildung von den Rabbis gelernt habe, lautet: Wenn du etwas nicht mit einfachen Worten erklären kannst, hast du es nicht verstanden. Ich strenge mich sehr an, die Dinge einfach erscheinen zu lassen, obwohl sie es nicht sind.

SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht gefährlich?

Tenenbom: Nein, warum?

SPIEGEL ONLINE: Weil die Welt komplex ist.

Tenenbom: Alle Menschen sind komplex, und ich kann alles immer komplexer machen. Aber letztlich lautet die Frage: "Mag ich Eiscreme?" Und die Antwort: "Ja, tue ich." Kann ich in komplizierten Ausdrücken erklären, warum ich Eiscreme mag? Ja. Die Gründe sind vielschichtig, es hat viel mit Biologie zu tun, mit Chemie, mit allerlei Dingen. Aber was zählt am Ende? Instinkt. Darum ziehen Menschen in den Krieg, darum heiraten sie. Letztlich denken wir nicht komplex, denn wir haben die Fähigkeit, das Komplizierte beiseitezulassen und uns aufs Einfache zu beschränken.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch klagen Sie die schlimmen Zustände in deutschen Flüchtlingslagern an, die fehlende Privatsphäre in den Unterkünften, kaputte Toiletten ohne Papier und Wasser, das miese Essen.

Tenenbom: Deutschland hat in Europa die meisten Flüchtlinge aufgenommen, aber wie man das getan hat, war richtig schlecht. Vieles hat man einfach nicht verstanden. Da wurde mancher mit dem Mörder oder Vergewaltiger seines Bruders oder seiner Schwester zusammengepfercht. Sunniten, Schiiten und Christen im selben Raum unterzubringen, ist im Grund kriminell. Ich habe kein Paradies erwartet, aber diese Lebensumstände sind nicht akzeptabel. Die Deutschen hätten nur so viele Flüchtlinge aufnehmen dürfen, wie sie auch hätten bewältigen können.

Aufblasbare Flüchtlingsunterkunft

Aufblasbare Flüchtlingsunterkunft

Foto: Isi Tenenbom

SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie eine Lösung für das Problem?

Tenenbom: Die Lösung ist ganz einfach: Der Westen sollte sich nicht in Nahost einmischen.

SPIEGEL ONLINE: Dafür scheint es ein bisschen spät...

Tenenbom: Wir machen ja immer weiter. Wir verabschieden Resolutionen, bewaffnen die Leute, schlagen uns auf eine Seite, ohne alle Seiten überhaupt zu kennen. Wir lernen unsere Lektion nicht, weil wir Suprematisten sind. Wir halten unsere Kultur für überlegen.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie je die Befürchtung, der lockerer Tonfall ihres Buches könnte dem ernsten Thema unangemessen sein?

Tenenbom: Ich habe gar nicht den Eindruck, mit Humor zu schreiben. Wenn Sie das so sehen, ist das okay, es freut mich. Aber das ist meine natürliche Erzählstimme, und allen, die es ernster wollen, kann ich nur sagen: Take it easy, baby! Ich liebe die Deutschen, aber sie sind zu verbissen. Wir dürfen nicht immer alles so ernst nehmen.