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Stefan Rahmstorf

Vermeintlicher Lock-in-Effekt von 2,1 Grad Die Gefahr alarmistischer Klimaschlagzeilen

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf
Dramatisch übertriebene Berichte über Forschungsergebnisse können Resignation auslösen. Ein aktuelles Beispiel machte wieder Schlagzeilen – dabei war die Methode wenig aussagekräftig.
Tornado in den USA: Medienberichte vermitteln ein unscharfes Abbild der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Arbeiten

Tornado in den USA: Medienberichte vermitteln ein unscharfes Abbild der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Arbeiten

Foto: John Finney / Getty Images

Immer wieder kommt die Frage auf, ob es überhaupt noch möglich ist, die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad oder sogar bei 1,5 Grad zu stoppen, wie im Pariser Abkommen vereinbart. Bislang haben wir 1,2 Grad Erwärmung hinter uns – aber kommt da nicht in jedem Fall noch weitere, unvermeidliche Erwärmung mit Zeitverzögerung hinterher? Gerade ging dazu wieder eine Studie  durch die Medien, mit Schlagzeilen  , die den Eindruck erweckten, schon die bis jetzt emittierten Klimagase würden unseren Heimatplaneten auf lange Sicht um über 2 Grad aufheizen – egal, was wir jetzt dagegen tun.

Das schien in krassem Widerspruch zu anderen Berichten  zu stehen. Dort war – ebenfalls erst vor Kurzem – zu lesen: Sobald die Welt aufhört, Treibhausgase auszustoßen, hört auch die globale Temperatur rasch auf zu steigen.

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Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Doch langsam  . Wie so oft vermitteln die Medienberichte hier ein unscharfes Abbild der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Arbeiten, das verwirren muss. Zudem können unseriös alarmistische Berichte einen fatalen Nebeneffekt haben: Es entsteht der Eindruck, die Menschheit könne das Ruder beim Klimawandel ohnehin nicht mehr herumreißen, doch das ist wissenschaftlich falsch.

Die erwähnte neue Studie von Zhou und Kollegen hat gar nicht untersucht, was ohne weitere Treibhausgasemissionen passieren würde. Stattdessen stellten die Forscher die hypothetische Annahme auf, dass die derzeitige Menge von CO₂ und anderen Klimatreibern ab jetzt bis in alle Ewigkeit konstant bleibt.

Auf dieser Basis hat diese Arbeit versucht, mit einer einfachen Formel die bereits »eingepreiste« Erwärmung zu berechnen (der Fachbegriff lautet »committed warming«). Also die praktisch schon jetzt unvermeidliche künftige Erwärmung. Der Wert wurde in den Medienberichten mit 2,3 Grad angegeben – in der Studie allerdings mit einer Unsicherheitsspanne, die von 1,3 Grad bis 10,3 Grad (!) reicht. Wenn nur die langlebigen Treibhausgase konstant gehalten wurden, lag die Spanne gar zwischen 1,2 Grad und 16,2 Grad. Mit anderen Worten: Diese Methode ist offenbar extrem unsicher – und damit untauglich, um irgendwelche belastbaren Schlüsse daraus zu ziehen. Dafür sind nach wie vor globale Klimamodelle das beste Mittel, und die ergeben ein ganz anderes Bild.

Zunächst würden bei Nullemissionen die Klimatreiber in der Atmosphäre gar nicht konstant bleiben: Aerosole würden vom Regen ausgewaschen, die Gase würden abgebaut oder von Ozean und Wäldern aufgenommen, manche schneller, manche (wie CO₂) nur sehr langsam. Deshalb stabilisiert sich in den Klimamodellen die globale Temperatur rasch, sobald die Nullemissionen erreicht sind. Denn es gibt einige gegenläufige Effekte, die sich fast ausgleichen.

Einerseits nimmt der Ozean noch eine Weile weiter Wärme auf (das ist die thermische Trägheit), andererseits nimmt er aber auch CO₂ auf. Diese Effekte kompensieren sich in etwa, wie schon vor zwölf Jahren gezeigt wurde  . Eine Metastudie  dazu vom vergangenen Jahr kam zu dem Schluss, dass der Netto-Effekt nahe null oder leicht darunter liegt, mit einer Spanne von −0,36 Grad bis +0,29 Grad.

Zudem würde die Menge an kurzlebigen Treibhausgasen sinken, sobald die Emissionen beendet werden – etwa die von Methan aus der fossilen Brennstoffindustrie (Fracking, lecke Gasleitungen). Andererseits könnte die Reduktion von kühlender Luftverschmutzung die Temperatur einige Zehntel Grad nach oben treiben. Jedenfalls läge der Gesamteffekt nahe null, und in den mit umfassenden Klimamodellen gerechneten Klimaschutzszenarien hört die weitere Erderhitzung etwa zeitgleich mit dem Erreichen von Nullemissionen auf, wie der IPCC Sonderbericht zu 1,5 Grad gezeigt hat  .

Trotzdem verbleibt natürlich eine gewisse Unsicherheit durch Rückkopplungseffekte – etwa, wenn Wälder in großem Stil durch Trockenheit und Hitze abbrennen und dabei weiteres CO₂ freisetzen. Erhebliche Risiken liegen vor uns, selbst wenn wir ab jetzt ernsthaft versuchen, das Pariser Abkommen einzuhalten. Doch noch sind die Paris-Ziele zu schaffen, zumindest aus geowissenschaftlicher Sicht. Durch viel zu langes Zaudern ist das nötige Tempo der Emissionsminderung  allerdings inzwischen sehr sportlich geworden.