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Stefan Rahmstorf

Alarmierende Studie zu Klimawandelfolgen Das Golfstromsystem macht schlapp

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf
Mehr Brände, Hitzewellen und Niederschläge - viele Vorhersagen der Klimaforschung sind Realität geworden. Nun könnte auch die lang befürchtete Golfstromsystem-Abschwächung eintreffen, mit Folgen für Europa.
Visualisierung des Golfstromsystems: Der Floridastrom hat seit 1909 deutlich an Kraft verloren und war in den letzten zwanzig Jahren wahrscheinlich so schwach wie nie zuvor.

Visualisierung des Golfstromsystems: Der Floridastrom hat seit 1909 deutlich an Kraft verloren und war in den letzten zwanzig Jahren wahrscheinlich so schwach wie nie zuvor.

Foto: NASA / Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio

In Macapá, ganz im Norden Brasiliens, direkt am Äquator, ist die Kraft des Amazonas am größten. Bis hier hat der Fluss über Hunderte Kilometer Wasser unzähliger Nebenflüsse aufgenommen, das er dann wenige Kilometer östlich der Hauptstadt des Bundesstaats Amapá in den Atlantik entlässt. Doch auch der wasserreichste Fluss der Erde kann es an seinem Endpunkt nicht einmal ansatzweise mit den großen Kräften des Meeres aufnehmen.

Das Golfstromsystem bewegt pro Sekunde knapp 20 Millionen Kubikmeter Wasser und damit fast das Hundertfache der Amazonasströmung. Dabei fließt warmes Oberflächenwasser nach Norden und kehrt als kalter Tiefenstrom nach Süden zurück. Er ermöglicht so einen gigantischen Wärmetransport mit einer Leistung von mehr als einer Million Gigawatt, fast das Hundertfache des Energieverbrauchs der Menschheit. Diese Wärme wird im nördlichen Atlantik an die Luft abgegeben und beeinflusst nachhaltig unser Klima.

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Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Doch schon seit den Achtzigerjahren warnen Klimaforscher vor einer Abschwächung oder gar einem Versiegen dieser Strömung infolge der Erderwärmung. "Unangenehme Überraschungen im Treibhaus?" titelte 1987 der berühmte US-Ozeanologe Wallace Broecker einen Aufsatz  im Fachblatt "Nature" dazu. Sogar Hollywood nahm sich 2004 des Themas an, in dem Film "The Day After Tomorrow  " des deutschen Regisseurs Roland Emmerich. Doch Messdaten, die eine laufende Abschwächung belegen könnten, gab es nicht.

Erst seit 2004 gibt es ein kontinuierliches Monitoring bei 26°N im Atlantik (RAPID  ). Die Daten zeigen zwar eine Abschwächung des Strömungssystems, doch die Messreihe ist noch zu kurz, um einen möglichen Klimatrend von natürlichen Schwankungen zu unterscheiden. Für die längerfristige Entwicklung des Golfstromsystems müssen wir daher auf indirekte Hinweise zurückgreifen.

Regionaler Kühlungseffekt mitten im Klimawandel

Eine langfristige Abschwächung sollte zu einer Abkühlung im nördlichen Atlantik führen. Einen solchen regionalen Temperatureffekt inmitten der globalen Erwärmung haben Klimamodelle seit Langem vorhergesagt. Und tatsächlich zeigt die Auswertung von Daten der Meerestemperaturen, dass der nördliche Atlantik sich als einzige Weltregion der globalen Erwärmung widersetzt und seit dem 19. Jahrhundert sogar kühler geworden ist (siehe Grafik). Zudem sieht man eine besonders starke Erwärmung vor der nordamerikanischen Küste, die laut Modellsimulationen zum charakteristischen "Fingerabdruck  " einer Abschwächung der Golfstromzirkulation gehört.

Grafik: Schema des Golfstromsystems mit der warmen Oberflächenströmung und der kalten Tiefenströmung. Der eigentliche Golfstrom vor der US-Küste ist ein Teil dieser umfassenderen Umwälzströmung. Die Farbschattierung zeigt den gemessenen Temperaturtrend seit dem späten 19. Jahrhundert, nach Caesar et al., Nature 2018  .

Dieser Fingerabdruck gilt als wichtiger Beleg, und nicht zuletzt deshalb hat der Weltklimarat IPCC vor einem Jahr in seinem Sonderbericht zu den Ozeanen  erstmals festgestellt, dass Beobachtungsdaten "darauf hinweisen, dass die Atlantische Umwälzzirkulation sich abgeschwächt hat".

Zwei neue Studien liefern nun ganz unabhängige weitere Belege dafür. Im August erschien eine Studie  von Christopher Piecuch von der Woods Hole Oceanographic Institution über den Floridastrom - den Teil des Golfstromsystems entlang der Küste Floridas. Zwar gibt es kontinuierliche Messungen der Strömung erst seit 1982. Doch Piecuch gelang es, die Stärke des Floridastroms über die letzten 110 Jahre aus Messungen der Meeresspiegeldifferenz zwischen beiden Seiten des Stroms zu rekonstruieren.

Dafür nutze er 46 Pegelstationen in Florida und der Karibik sowie ein einfaches physikalisches Prinzip: Die Corioliskraft lenkt Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts ab, sodass das Wasser auf der rechten Seite einer Strömung höher steht als auf der linken. Je stärker die Strömung, desto größer die Meeresspiegeldifferenz. Ein Vergleich mit den Messungen seit 1982 zeigt, dass die Methode zuverlässig funktioniert.

Der Salzgehalt verrät Forschern eine Abschwächung des Golfstroms

Das Ergebnis: Der Floridastrom hat seit 1909 deutlich an Kraft verloren und war in den letzten zwanzig Jahren wahrscheinlich so schwach wie nie zuvor. Berechnungen von Piecuch zeigen zudem, dass die damit verbundene Abschwächung des Wärmetransports ausreicht, um die Kälteblase im nördlichen Atlantik zu erklären.

Am Montag erschien in "Nature Climate Change" eine weitere Studie  , von Forschern der Peking University und der Ohio State University. Erstmals werden hier Daten von außerhalb des Nordatlantiks als Indizien herangezogen. Modellsimulationen zeigen, dass eine Abschwächung der Golfstromzirkulation zu einer Ansammlung von Salz im subtropischen Südatlantik führt.

Das liegt daran, dass in dieser Region die starke Verdunstung ständig den Salzgehalt erhöht, während der obere Zweig der Meereszirkulation das salzreiche Wasser nach Norden abführt und salzärmeres von Süden heranbringt. Schwächt diese Strömung sich ab, wird das Wasser in dieser Region daher salziger. Genau dies zeigen die Messdaten im Einklang mit Computersimulationen. Die Autoren sprechen von einem "Salzgehalts-Fingerabdruck" der Abschwächung der atlantischen Umwälzzirkulation.

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Neben diesen ozeanografischen Messbefunden deutet auch eine Reihe von Studien mit Sedimentdaten darauf hin, dass die Golfstromzirkulation inzwischen schwächer ist als seit mindestens einem Jahrtausend.

Die Strömungsveränderungen betreffen auch uns in Europa, denn die "Kälteblase" draußen im Atlantik beeinflusst unser Wetter. Es klingt paradox, wenn man an das Schockfrost-Szenario des Hollywood-Blockbusters "The Day After Tomorrow" denkt, aber britische Forscher fanden  heraus, dass der Jetstream in der Atmosphäre im Sommer gern einen Bogen südlich um die Kälteblase herum macht - das bringt dann warme Winde aus südwestlicher Richtung nach Europa und führt hier zu Hitzewellen, wie im Sommer 2015. Eine andere Studie  fand eine Abnahme der Sommerniederschläge in Nordeuropa und stärkere Winterstürme. Wie die weiteren Folgen genau aussehen, ist Gegenstand aktueller Forschung.

Doch eines zeigt die neueste Generation (CMIP6) der Klimamodelle: Wenn wir die Erderwärmung weiter vorantreiben, wird sich die Golfstromzirkulation weiter abschwächen  - um 34 bis 45 Prozent bis zum Jahr 2100. Damit könnten wir dem Kipppunkt, ab dem die Strömung instabil wird, gefährlich nahe kommen.

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