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  • 25. April 2008, Neue Zürcher Zeitung

    Der Triumph der grossen Zahl

    Der Triumph der grossen Zahl

    Zehn Jahre Google

    Google Beta-Version im Jahr 1998. Google Beta-Version im Jahr 1998. (Bild: zvg)
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    1998 wurde in Kalifornien von zwei Doktoranden der Stanford University Google gegründet. Die amerikanische Jungfirma hat innert kürzester Zeit die globale Wissensökonomie umgekrempelt.

    S. B. Zehn Jahre – was sind schon zehn Jahre? Vor zehn Jahren begannen zwei Doktoranden der Stanford University in Kalifornien, eine selbstentwickelte Software zu kommerzialisieren. Die beiden jungen Leute hiessen Sergey Brin und Larry Page. Die Software war in der Lage, grosse Sammlungen von elektronischen Dokumenten rasch zu durchsuchen. Programme für die Volltextsuche im Internet gab es damals schon zuhauf, doch Brin und Page waren der Meinung, dass ihre Software besser als andere in der Lage sei, wichtige von unwichtigen Dokumenten zu unterscheiden. Nachdem sie im Herbst 1997 die Internetadresse Google.com reserviert hatten, unternahmen sie Anfang 1998 erste Schritte zum Aufbau der eigenen Firma. Im September 1998 wurde Google Inc. ins Handelsregister eingetragen.

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    Viele Nullen

    Zehn Jahre: Heute beschäftigt Google in Niederlassungen rund um die Welt knapp 20 000 Angestellte. Im vergangenen Geschäftsjahr wurde bei einem Umsatz von 16,6 Milliarden Dollar ein Gewinn von 4,2 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Die Börsenkapitalisierung von 171 Milliarden Dollar übertrifft diejenige von IBM. In zehn Jahren sind Brin und Page zu Multimilliardären geworden.

    Der Name Google verweist auf Googol, den mathematischen Begriff für eine sehr grosse Zahl, eine 1 mit 100 Nullen. Grosse Zahlen sind es denn auch, was Google ausmacht. Wenn man ein einzelnes Textdokument anschaut, kann man unmöglich vom Vorhandensein eines einzelnen Wortes auf einen bestimmten Inhalt schliessen. Durch die Analyse von Millionen und Milliarden von Dokumenten und durch die Beobachtung von Millionen und Milliarden von Benutzerreaktionen im Umgang mit diesen Dokumenten kann man aber schon herausfinden, dass eine bestimmte Gruppe von Wörtern mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer bestimmten inhaltlichen Ausrichtung korreliert. Vor zehn Jahren beschäftigte etwa Yahoo Hunderte von Redaktoren, deren Aufgabe es war, Webseiten inhaltlich zu klassifizieren. Google und die Methoden der Stochastik, des mathematisch exakten Mutmassens, haben diese Redaktoren arbeitslos gemacht. Gemäss einer neuern Umfrage der österreichischen Marktforschungsfirma Marketagent.com gibt es einen grossen Prozentsatz von Internetnutzern, die nicht wissen, wie sie ohne Google im Internet etwas finden können; es soll Leute geben, die glauben, Google hätte das Internet erfunden.

    Kein Verständnis für Bedeutung

    Google möchte die «ultimative Maschine zur Beantwortung von Fragen aller Art» sein. An der Konstruktion einer solchen Maschine arbeiten Menschen schon seit vielen Jahrhunderten. Im Altertum in den Tempeln des Orakels vertraute man dabei auf die narkotisierende Wirkung von giftigen Dämpfen, später dann auf das Abrakadabra der künstlichen Intelligenz (KI). Die Google-Software geht neue Wege, sie funktioniert – um ein Bild des amerikanischen Philosophen und KI-Kritikers John Searle zu verwenden – wie ein Roboter in einem chinesischen Zimmer, der Schriftzeichen, die ihm hineingereicht werden, stur nach vorgegebenen Regeln verarbeitet, ohne sich um «Bedeutung» zu kümmern.

    Dass nun in Deutschland beim Versuch, mit Theseus eine europäische Alternative zu Google zu schaffen, die Paradigmen der KI reaktiviert werden, stimmt wenig zuversichtlich. Unter Beteiligung etwa des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz sollen «semantische Technologien» entwickelt werden, die «die inhaltliche Bedeutung der Informationen erkennen und einordnen können». Theseus möchte «einen Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Erbes und zur Sicherung der kulturellen Vielfalt» in Europa leisten. Bei den Franzosen läuft der Aufbau eines Anti-Google-Walls unter dem Namen Quaero. Dieses Forschungsprojekt, das Mitte März gestartet wurde, kann auf Unterstützung der Europäischen Kommission zählen.

    Wenn man Internetsuchmaschinen als «Gatekeeper» des Internets versteht, wenn man ihnen bei der Bewertung von elektronischen Inhalten eine Deutungshoheit zugesteht, dann wird man Verständnis aufbringen für Bemühungen, Suchmaschinen zu schaffen, die sich einem national oder supranational definierten Service public verpflichtet fühlen. Ein prominenter Fürsprecher solcher Bemühungen ist der ehemalige Präsident der französischen Nationalbibliothek Jean-Noël Jeanneney, der als Gegenpol zu angloamerikanischer «Arroganz» und privatem Gewinnstreben eine europäische Suchmaschine fordert.

    Doch: Google ist längst mehr als eine Suchmaschine, Google ist ein Medienunternehmen. Ein Medienunternehmen, das die wichtigsten Positionen, die es in einem solchen Haus üblicherweise zu besetzen gibt – Redaktoren und Anzeigenverkäufer –, abgeschafft hat. Google verschenkt Inhalte, die andere erarbeitet haben, und vermittelt die so gewonnene Aufmerksamkeit der Internetnutzer im Rahmen eines vollständig automatisierten Verkaufsprozesses an Inserenten.

    Google allein ist nicht gut

    In nur zehn Jahren ist Google zur weltweit bekanntesten Marke aufgestiegen. Laut einer Untersuchung von Millward Brown Optimor führt Google die Liste der 100 bekanntesten Marken an; der Name ist bekannter als Microsoft, Coca-Cola, Apple und McDonald's. Die Marke Google soll einen Wert von 86 Milliarden Dollar besitzen.

    Google ist überaus populär, aber nicht überall beliebt. In Medienberichten wird die Firma gern und oft als «Datenkrake» porträtiert. Auch der Wiener Journalist und Buchautor Gerald Reischl bemüht in seinem Buch über Google* den Vergleich mit dem vielarmigen Meeresungeheuer. Die amerikanische Firma sei «eine unkontrollierte Weltmacht», eine eifrige Datensammlerin. Die Anwender würden ausspioniert, kontrolliert, in eine Falle gelockt. Sie würden getäuscht, indem ihnen Suchresultate in einer Reihenfolge präsentiert werden, die nicht inhaltliche Relevanz, sondern die Geschäftsinteressen Googles reflektiere.

    Bei einigen dieser Anschuldigungen – Verstoss gegen Datenschutzgesetze wegen der Speicherung von IP-Adressen – ist die Sachlage juristisch nicht so klar, wie der Autor sie darstellt, bei anderen – Manipulationen bei der Reihung der Suchresultate – bleibt er die Beweise schuldig. Manchmal fordert er von Google Dinge – europäische Rechtsstandards respektieren (beim Datenschutz) –, die er der Firma andernorts wieder vorwirft: europäische Rechtsstandards akzeptieren (bei der Meinungsäusserungsfreiheit). Es gibt Übertreibungen: Auf illegale Webseiten nicht hinweisen bedeutet nicht, Zensur auszuüben. Und es gibt Einseitigkeiten: Verschlossenheit Journalisten gegenüber ist keine Besonderheit von Google, so etwas gibt es bei vielen Firmen, insbesondere auch bei vielen kalifornischen Computerfirmen. Reischls Buch ist zügig geschrieben, mitreissend, manchmal reisserisch. Doch auch wer der Argumentation des Autors nicht überallhin folgen will, wird ihm darin zustimmen, dass die Alleinstellung von Google problematisch ist. Auch wenn Google nicht so schlecht ist, wie sie in diesem Buch darstellt wird, besser wäre es schon, es gäbe zwei, drei, viele Googles.

     

    * Gerald Reischl: Die Google-Falle. Die unkontrollierte Weltmacht im Internet. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2008. 189 S.
    . Lesen Sie mehr zum Thema Google-Geschäfte : Unerwartet gut
    Link: http://www.nzz.ch/nachrichten/medien/google-geschaefte_laufen_unerwartet_gut_1.713399.html

    Lesen Sie mehr zum Thema Schweiz: Die Gesichter hinter Google
    Link: http://www.nzz.ch/nachrichten/medien/die_gesichter_hinter_der_suchmaschine_1.684754.html

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