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Blackbox in Autos vorgeschrieben Big Brother an Bord

Ab Mitte 2022 müssen neue Pkw den Menschen am Steuer warnen, wenn er zu schnell fährt. Eine Blackbox zeichnet zudem jede Menge Daten auf und verrät der Polizei mögliche Fahrfehler. Was kommt da auf Autofahrer zu?
Verkehr auf einer Autobahn bei Nacht und Regen: Neue Technik soll Unfällen vorbeugen

Verkehr auf einer Autobahn bei Nacht und Regen: Neue Technik soll Unfällen vorbeugen

Foto: Wilhelm Mierendorf / IMAGO

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Es ist ein Schriftstück, das wohl noch für Ärger sorgen wird. In der EU-Verordnung 2019/2144 geht es um eine Technik, die Autofahrer dazu bringen soll, Tempolimits verlässlicher einzuhalten. Der Geschwindigkeitswarner soll ständig aktiv sein – im Namen der Verkehrssicherheit. Zudem sollen zahlreiche andere Fahrdaten in einer Blackbox aufgezeichnet und im Bedarfsfall ausgelesen werden.

Am 12. November 2021 wurde die Regelung verabschiedet. Damit müssen neue Fahrzeugtypen (Pkw, Lkw, Busse) in der EU ab dem 6. Juli 2022 mit einem intelligenten Geschwindigkeitsassistenten ISA (Intelligent Speed Assistance) ausgestattet sein. Zunächst gilt die Vorschrift für neu in den Markt eingeführte Fahrzeugtypen. Ab dem 7. Juli 2024 dann müssen sämtliche Neuwagen über dieses Fahrassistenzsystem verfügen. Aus der Branche gibt es Lob, aber auch Kritik für die insgesamt 161 Seiten umfassende Verordnung der EU.

Mit ISA möchte die EU künftig den Tod von bis zu 25.000 Menschen pro Jahr im Straßenverkehr verhindern, dazu etwa 140.000 schwere Verletzungen. Allein in Deutschland sind etwa ein Drittel der Verkehrstoten auf Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit zurückzuführen, das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Steuergerät in einem SUV: Darauf ist ein sogenannter Event Data Recorder (EDR) programmiert. Dieser zeichnet Daten wie Geschwindigkeit auf, die im Fall eines Unfalls ausgespielt werden können.

Steuergerät in einem SUV: Darauf ist ein sogenannter Event Data Recorder (EDR) programmiert. Dieser zeichnet Daten wie Geschwindigkeit auf, die im Fall eines Unfalls ausgespielt werden können.

Foto: Sebastian Gollnow / picture alliance / dpa

Das System kombiniert bekannte Assistenzsysteme miteinander: die Verkehrszeichenerkennung, den Tempomat, den Tempobegrenzer und das Navigationssystem. So soll der ISA die jeweils geltenden Limits mittels Sensoren, Kamerabildern und einem zertifizierten digitalen Kartennetz erkennen. Solche Daten gibt es derzeit von Google, der Kooperation von Here, Continental und Elektrobit sowie vom Navihersteller TomTom.

Es piept, vibriert oder drückt

Erkennt es eine Geschwindigkeitsüberschreitung, macht das System den Fahrer darauf aufmerksam. Das kann entweder optisch und akustisch geschehen, durch einen aufleuchtenden Warnhinweis im Sichtfeld und einen Warnton. Oder optisch und haptisch, wenn zum Warnhinweis etwa ein vibrierendes Gaspedal hinzukommt. Ebenso erlaubt die Regelung, dass das ISA-System ausschließlich haptisch und aktiv wirkt. Dann wird etwa der Gegendruck des Gaspedals erhöht. Der Fahrer muss also kräftiger aufs Pedal drücken, um die Geschwindigkeit beizubehalten. Gerade für Tesla ist diese Möglichkeit wichtig. Denn bei vielen Pkw des E-Autoherstellers befindet sich keine Anzeige im direkten Sichtfeld des Fahrers, der große Touchscreen sitzt in der Mitte der Armaturentafel.

Die EU-Verordnung lässt auch zu, das System strenger auszulegen. Bei zu schneller Fahrt könnte die Kraftstoffzufuhr gedrosselt oder die Motorleistung komplett abgeschaltet werden, um so das Tempo unter das geltende Limit zu senken. Die Bremse jedoch wird nicht eingesetzt. Mindestens sieben Jahre lang muss das System kostenlos angeboten werden. Danach steht es dem Hersteller frei, Gebühren für zusätzliche Funktionen der ISA-Technik zu erheben.

ISA-System lässt sich abschalten

Kommt mit dem intelligenten Geschwindigkeitsassistenten das Tempolimit durch die Hintertür? Klare Antwort: Nein. Denn die EU-Verordnung sieht neben der ISA-Pflicht auch vor, dass Autofahrende jederzeit die Kontrolle über ihr Fahrzeug behalten sollen. Das bedeutet: Die Warnungen des ISA-Systems können ignoriert oder auch überstimmt werden – etwa durch einen kräftigen Druck aufs Gaspedal. Zudem muss sich das System abschalten lassen, zumindest für die Dauer einer Autofahrt. Beim Neustart des Fahrzeugs ist es dann wieder aktiv.

»ISA ist keine autonome Technologie. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um ein Assistenzsystem, das den Fahrer unterstützt und ihn über die Geschwindigkeitsbegrenzung informiert, wenn er sich dieser nicht bewusst ist«, sagt Stephanie Leonard, Expertin für Government and Regulatory Affairs beim Navigationsunternehmen TomTom. »Damit intelligente Geschwindigkeitsassistenten sich positiv und dauerhaft auf die Verkehrssicherheit auswirken können, müssen die Fahrer diese annehmen und auch nutzen«, so Leonard weiter.

Kritik an lascher Auslegung

Verschiedene Verbände sind skeptisch, dass die neue Verordnung das gewährleistet. Sie werfen der EU-Kommission vor, dass die Ausgestaltung der Verordnung zu stark von der Autolobby diktiert wurde. Hintergrund: Der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) hatte sich bereits 2018 kritisch über das Vorhaben geäußert, einen intelligenten Geschwindigkeitsassistenten verpflichtend in neue Autos einzubauen.

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»In der Praxis zeigen ISA-Systeme immer noch zu viele falsche Warnungen aufgrund falscher oder veralteter Informationen über Geschwindigkeitsbegrenzungen an«, teilte der Verband damals mit. Die Hersteller scheinen sich mit ihren Bedenken durchgesetzt zu haben, die Abschaltbarkeit des Systems deutet darauf hin. Auch der ADAC hält das System für »aktuell nicht ausreichend erprobt und ausgereift«. Die vorgesehene Abschaltmöglichkeit sei daher sinnvoll.

Die International Federation of Pedestrians hingegen, die Interessenvertretungsgruppe der Fußgänger, sieht das ganz anders. Sie bedauert, »dass der Fachausschuss der massiven Lobbyarbeit der Fahrzeughersteller nachgegeben hat«.

Ähnlich äußert sich die European Transport Safety Commission (ETSC). Sie kritisiert, dass ein System für ausreichend erachtet werde, das nur wenige Sekunden lang akustisch und optisch vor Geschwindigkeitsübertretungen warnt. Eigenen Untersuchungen zufolge würden diese Signale von Fahrern lediglich als störend empfunden und daher ignoriert oder abgeschaltet. Das Fazit der ETSC: »Ein ausgeschaltetes System hat keinen Sicherheitsvorteil.«