Sexuelle Nöte

Die Familie Pontecorvo bestimmt auch diesen Roman des römischen Schriftstellers. Und wieder, wie schon im ersten Teil der Saga, kommt den Figuren ihre Libido in die Quere. Bis zum Gehtnichtmehr.

Maike Albath
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Irgendwie kommt den Helden von Alessandro Piperno immer wieder ihre Libido in die Quere. Der römische Schriftsteller setzt in seinem neuen Buch «Hier sind die Unzertrennlichen», das mit dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, dem Premio Strega, bedacht wurde, die Pontecorvo-Familiensaga über eine beispiellose moralische Vernichtung fort. Der gesellschaftliche Absturz des Oberhauptes Leo Pontecorvo war nämlich Gegenstand des ersten Bandes, «Die Verfolgten», von 2013 gewesen. Jener Leo, ein Kinderonkologe, hatte sich in die manipulativen Aktionen eines zwölfjährigen Luders verwickelt, das ihm sexuelle Avancen vorwarf. Die Verleumdungen des Mädchens, zu allem Überfluss die Freundin seines Zweitgeborenen Samuel, hatten den einst so flamboyanten Leo schliesslich ins Grab befördert.

Ein derartig saftiges Gesellschaftstableau, das zugleich eine Milieustudie der achtziger Jahre bot, schrie natürlich nach Fortsetzung. Jetzt knöpft sich Piperno die beiden Söhne Samuel und Filippo vor und lässt auch die tapfere Witwe Rachel, eine jüdische Mame, wie sie im Buche steht, an die Rampe treten und über ihr Schicksal reflektieren. Vielleicht ein bisschen zu voraussetzungsreich und nur für eingefleischte Pontecorvo-Kenner ein Genuss, könnte man denken, aber am Anfang hat Piperno seine Figuren noch im Griff.

Der Comiczeichner Filippo, inzwischen ein erwachsener Mann und mit einem schauspielernden Oberschichtsgeschöpf verheiratet, wird über Nacht zum Star. Seine Frau Anna kommt mit diesem Karrieresprung nicht klar, entzieht sich dem Gemahl, bis er eine Spur zu brutal auf seinen ehelichen Rechten besteht. Kontrapunktisch dazu wird sein Bruder Samuel, ein erfolgreicher Banker, im Bett mit seiner Verlobten regelmässig von Impotenz lahmgelegt. Immerhin kommt es mit einer anderen Freundin zu parallelen Masturbationsaktionen, am liebsten im Auto. Es ist also für jeden Geschmack etwas dabei.

Piperno, Proust-Kenner und Spezialist für Familienpanoramen aus der Halbdistanz, versteht durchaus etwas vom erzählerischen Handwerk und bedient einen ironisch-grellen Hyperrealismus. Allerdings gefällt er sich dabei allzu sehr in einer Phillip-Roth-Pose, übertreibt es mit den Aberrationen und verfällt in Geschwätzigkeit. Viel zu aufgebläht wirkt die Handlung, viel zu ausstaffiert das Drumherum. Daran ändert auch der etwas spannendere Kain-und-Abel-Showdown nichts mehr. Man hatte die Folgen diverser sexueller Nöte schon lange vorher satt.

Alessandro Piperno: Hier sind die Unzertrennlichen. Roman. Aus dem Italienischen von Andreas Löhrer. Mit Illustrationen von Werther Dell'Edera. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2014. 407 S., Fr. 32.90.