DIE GEISELNAHME
Am 28. September 1973, während des jüdischen Neujahrsfestes, brachten zwei palästinensische Terroristen vier Geiseln - drei jüdische Emigranten aus der Sowjetunion und einen österreichischen Zöllner - in einem Zug an der Grenzstation Marchegg in ihre Gewalt. Mit einem VW-Pritschenwagen flüchteten die Terroristen mit ihren Geiseln in Richtung Flughafen Wien-Schwechat.
In Österreich befand sich zu dieser Zeit im Schloss Schönau in Niederösterreich ein "Transitlager" für jüdische Emigranten, die aus dem Ostblock nach Israel fliehen wollten. In einem Flugblatt der beiden Terroristen, die sich selbst als "die Adler der palästinensischen Revolution" bezeichneten, wurde die Schließung der Aufnahmestätte Schloss Schönau gefordert. Weiters verlangten die Geiselnehmer die freie Ausreise in den Nahen Osten.
Stundenlange Verhandlungen zwischen den Terroristen, Vertretern der österreichischen Bundesregierung, Psychologen und vier Botschaftern aus dem Nahen Osten führten letztlich zur Freilassung der Geiseln am 29. September 1973.
Der politische "Preis", den Österreich, namentlich Bruno Kreisky, für die Freilassung der vier Geiseln bezahlen musste, war allerdings hoch, wie aus dem Wortlaut einer Rundfunkerklärung der Regierung hervorgeht: "Die Bundesregierung hat in einem am 28.9.1973 stattgefundenen, außerordentlichen Ministerrat beschlossen, in Anbetracht des Umstandes, dass die Sicherheit der aus der Sowjetunion in Gruppen nach Israel auswandernden Sowjetbürger bei ihrer Durchreise durch Österreich gefährdet ist, von jetzt an und in Zukunft die bisher gewährten Erleichterungen, wie die Unterbringung im Lager Schönau, einzustellen."
Die Geiselnehmer wurden von zwei Piloten, die sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatten, nach Tripolis ausgeflogen.
REAKTIONEN
Die Zugeständnisse gegenüber den Terroristen führten zu einer Protestwelle jüdischer Organisationen und der israelischen Regierung.
Am 2. Oktober forderte Israels Ministerpräsidentin Golda Meir bei einem Besuch in Wien von Kreisky die Aufhebung der Sperre des Transitlagers Schloss Schönau. Kreisky lehnte dies aber mit der Begründung ab, dass es schon vor der Geiselnahme von Marchegg zahlreiche Drohungen gegeben habe und Österreich nicht für die Sicherheit von Schloss Schönau garantieren könne.
Am 12. Dezember 1973 wurde das "Transitlager" Schloss Schönau endgültig geschlossen. An seine Stelle trat die "Hilfestelle Wöllersdorf des Landesverbandes des Roten Kreuzes Niederösterreich für Flüchtlinge und andere Durchreisende".