Das „Kentler-Experiment“ :
Missbrauch als Erziehung

Von Hannah Bethke
Lesezeit: 4 Min.
Verbrechen in staatlicher Verantwortung: Die Berliner Bildungsverwaltung arbeitet den Kentler-Fall auf.
Jahrzehntelang haben Berliner Jugendämter nach einem Modell des Pädagogen Helmut Kentler Kinder an pädophile Pflegeväter vermittelt. Eine neue Studie zeigt: Dahinter steckt ein großes Netzwerk.

Es ist kein Einzelfall. Allzu oft schon hat man diesen Satz gehört, wenn es um die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs geht. Nun zeichnet sich auch im Fall des Berliner „Kentler-Experiments“ ab, dass ein ganzes Netzwerk dahintersteckt: Offenbar jahrzehntelang wurden Kinder, die als schwer erziehbar galten, mitunter auch behindert waren, von Berliner Jugendämtern zu pädophilen Pflegevätern geschickt. Ende der sechziger Jahre initiierte der Sozialpädagoge und Sexualwissenschaftler Helmut Kentler (1928 bis 2008) einen Modellversuch für die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe. Kämen „jugendliche Herumtreiber“ bei Päderasten unter, so seine perfide Logik, ließen sie sich viel leichter sozial integrieren, weil nur pädophile Pflegeväter in der Lage seien, diese „schwachsinnigen“ Kinder und Jugendlichen auszuhalten und zu lieben.

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