Ist François Hollande der neue Genosse der Bosse? Wenn man den französischen Medien glauben darf, erwartet Frankreich 20 Monate nach dem Amtsantritt des sozialistischen Staatschefs nichts Geringeres als eine Revolution. Der "dritte Weg", wie ihn einst Tony Blair in Großbritannien einschlug, wird zitiert, oder auch Exkanzler Gerhard Schröder. Dabei hatte Hollande vergangene Woche doch nur wenig konkret über ein angebotsorientiertes Wirtschaftssystem gesprochen und angekündigt, Unternehmen finanziell zu entlasten, damit diese für Arbeitsplätze und Wachstum sorgen können. Beides braucht Frankreich, wenn es nicht auf lange Jahre den Anschluss verpassen und sich nicht zu einer ernsten Gefahr für Europa insgesamt auswachsen soll. Doch wird der kranke Mann Europas nun schnell gesunden?

Wer eine Reformagenda à la Schröder erwartete, wurde bereits am vergangenen Freitag enttäuscht. Da begannen die Sozialpartner turnusmäßig mit den Verhandlungen über die Zukunft der gemeinsam getragenen Arbeitslosenkasse. Bis März, wenn die aktuelle Vereinbarung endet, muss ein Ergebnis vorliegen. Doch obwohl das Defizit der Kasse bis Jahresende 2014 von 17,8 auf mehr als 22 Milliarden Euro steigen wird, ist bereits klar, dass Frankreichs Arbeitslose auch in Zukunft nicht auf ihre komfortable Absicherung verzichten müssen.

Krisenzeiten mit fast elf Prozent Erwerbslosen seien nicht der richtige Zeitpunkt für Kürzungen, ließ Hollande wissen. Im Klartext: Gezahlt wird auch in Zukunft für alle, die binnen der vorhergehenden 28 Monate mindestens vier Monate in die Kasse einbezahlt haben – und das bis zu 24 Monate lang (beziehungsweise 36 Monate für Erwerbslose über 50).

Eine Agenda 2010 für Frankreich

Der Verband privater Unternehmen (Afep), dem die 100 größten Konzerne Frankreichs angehören, zog zwar mit einem Papier in die Verhandlungen, das nicht zufällig auch aus der Feder eines Peter Hartz stammen könnte: Anspruch auf Arbeitslosengeld erst nach zwölf Monaten Beitragsdauer, höchstens für 18 Monate (beziehungsweise 30 Monate), und, geradezu unerhörtes Novum für die Nachbarn: Leistungsempfänger sollen verpflichtet werden, eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder haben andernfalls Sanktionen zu fürchten.

 "Nicht auf Frankreich übertragbar", heißt es jedoch im Pariser Wirtschaftsministerium zur deutschen Agenda 2010. Die Vorschläge der Afep werden schon deshalb in der Schublade verschwinden, weil selbst die gemäßigte Gewerkschaft CFDT den Leistungserhalt zum casus belli erklärt hat – und der Chef des Unternehmer-Dachverbandes Medef, Pierre Gattaz, die Forderung im Gegenzug zu erhofften Entlastungen an anderer Stelle zurückzieht. Er weiß selbst zu gut, dass der französische Staat traditionsgemäß für den Wohlstand und auch das Wohlgefühl seiner Bürger verantwortlich ist. Das schließt neben einem großzügigen sozialen Netz ein tief sitzendes Misstrauen gegen Marktwirtschaft und (ausbeuterisches) Unternehmertum ein.

Steht es mit dem Land nicht zum Besten, ist "die Globalisierung" Schuld und das "illoyale" Wirtschaften von Ländern ohne Mindestlohn – also bisher auch Deutschland. Ein gerade beschlossenes Gesetz verbietet es dem US-Konzern Amazon, mit Hinweis auf die seit 1981 in Frankreich geltende Buchpreisbindung, bereits heruntergesetzte Bücher kostenlos zu verschicken. Bisher wurden die zulässigen Rabatte von maximal fünf Prozent auf Bücher mit dem Erlass der Versandgebühren kombiniert.