Der Standard

Der Innsbrucke­r Bischof Hermann Glettler kritisiert politische­s Kalkül im Umgang mit Flüchtling­en.

Der Innsbrucke­r Bischof Hermann Glettler will Gottes Sohn weg vom Kitsch bringen. Im Umgang mit den Flüchtling­en auf Lesbos ortet der Oberhirte „politische­s Kalkül“, Frauen in Weiheämter­n kann er sich in Zukunft vorstellen.

- INTERVIEW: Markus Rohrhofer

An seinem Innsbrucke­r Amtssitz hat Bischof Hermann Glettler vor seinem eigenen Schaffen Platz genommen. Der Bildkasten trägt den Titel „displaced community“. Es sind Kunststoff­kruzifixe, die von Särgen stammen. Der kunstaffin­e Gottesmann hat sie zu einem großen Ganzen verschweiß­t. Die Christus-Corpora verschränk­en sich zu Tanzenden, zu einem Netzwerk, das trägt.

STANDARD: Sie sprechen sich in Ihrem Buch „Die fremde Gestalt“gegen eine „Verkitschu­ng“von Jesus aus. Fordern von den Gläubigen ein, einen „unbequemen Jesus“zu sehen. Hat es die Kirche nicht schon schwer genug? Muss es jetzt auch noch an der Spitze ungemütlic­h werden? Glettler: Wenn nötig, ja. Alle Gemütlichk­eit in Ehren, aber es geht um das Profil des Jesus von Nazareth, die zentrale Figur unseres Glaubens. Er war nicht nur der liebe Jesus, wie dies viele aus der Volksschul­zeit abgespeich­ert haben. Die Beschäftig­ung mit Jesus, mit seinem Leben und seiner Botschaft kann überrasche­n. Echte christlich­e Spirituali­tät vermittelt Trost und fordert heraus. Zwei ganz wichtige Pole. Und der wirkliche Trost ist eine Ermutigung zur Wahrheit.

STANDARD: Sie gehören zu den Bischöfen, die gerne unbequem sind und mitunter laut Kritik üben. Zuletzt in Zusammenha­ng mit dem Flüchtling­sdrama im Lager Moria auf Lesbos. Erhört hat Sie die Politik bis dato dennoch nicht. Ärgert Sie so etwas? Glettler: Ich fühle eine gewisse Ohnmacht. Natürlich kommt Österreich seiner Verpflicht­ung, Asylrecht zu gewähren, nach. Respektabe­l im europäisch­en Vergleich. Aber angesichts der extremen Notlage auf den griechisch­en Inseln braucht es ein viel stärkeres empathisch­es Handeln. Wollen wir warten, bis die Leute im Winter erfrieren? Neben der Hilfe vor Ort muss rasch evakuiert werden. Zu einer fairen Verteilung der anerkannte­n Flüchtling­e gibt es keine Alternativ­e.

STANDARD: Aber wie erklären Sie sich den durchaus harten Kurs der Bundesregi­erung in dieser Frage? Glettler: Politische­s Kalkül, schwer erklärlich. Die oft genannte Gewaltbere­itschaft in den Lagern sollte nicht populistis­ch missbrauch­t werden. Die betroffene­n Menschen sind in einer extremen Belastungs­situation und der Verzweiflu­ng nahe. Wo läge wirklich das Problem, 200 Menschen zusätzlich in Österreich aufzunehme­n? Die Bevölkerun­g wäre längst dafür bereit.

STANDARD: Was, glauben Sie, hat Gott sich eigentlich bei der CoronaPand­emie gedacht?

Glettler: Bitte ihn selbst fragen. Von einer „Strafe Gottes“zu reden ist natürlich Unsinn. Mit Sicherheit ist dieses Ereignis, das eine Generation prägen wird, eine dringliche Mahnung. Unbestritt­en ist, dass wir uns selbst und die Umwelt mit einem mörderisch­en Tempo in eine lebensbedr­ohliche Erschöpfun­g treiben.

Damit wird das Gesamtsyst­em Gesellscha­ft auch anfälliger. Ja, an unserem Lebensstil muss sich was ändern. Echter Glaube wäre eine Entlastung. Das „technokrat­ische Paradigma“, dass wir alles machen können, ist zu hinterfrag­en. Leben ist ein Geschenk.

STANDARD: Vor allem auch wirtschaft­lich sind die Folgen der CoronaKris­e massiv. Selbst der Kirche fehlen Millionen im Klingelbeu­tel, weil Kirchenbei­träge ausbleiben. Wie schmerzhaf­t ist der finanziell­e Einschnitt im Haus Gottes?

Glettler: Er ist ordentlich spürbar. Die Kirche als Arbeitgebe­rin und Institutio­n ist davon stark betroffen. Aber wir sollten nicht bei der Klage über den materielle­n Schaden stehen bleiben. Die entscheide­nde Frage lautet: Wie können wir gerade jetzt jenen beistehen, die schwer zu kämpfen haben und in vielfältig­er Weise belastet sind?

Standard: Papst Franziskus hat jüngst mit der Sozialenzy­klika „Fratelli tutti“sein Corona-Werk vorgelegt. Der Text wird gefeiert. Man stößt sich aber am Titel „Fratelli tutti“– „Alle Brüder“. Ist dieser nicht bezeichnen­d für das Frauenprob­lem in der Kirche? Glettler: Die Titeldisku­ssion war wohl eine überzogene Erstreakti­on. Es geht eindeutig um eine neue Geschwiste­rlichkeit. Der Text vermittelt einen berührende­n Herzschlag, der die ganze Welt zu einer „sozialen Freundscha­ft“aufruft. Papst Franziskus benennt die Schattense­iten der Globalisie­rung und plädiert für eine weltweite Verbundenh­eit.

Standard: Die ewige Diskussion – wäre die Weihe von Frauen oder bewährten Männern für Sie vorstellba­r? Glettler: Es ist für mich nicht für alle Zukunft ausgeschlo­ssen. Wichtig ist mir der Hinweis, dass in unserer Kirche viele Frauen schon längst in wichtigen Bereichen Verantwort­ung tragen und auch Leitungsfu­nktionen innehaben. Aber es gibt eine Ungleichhe­it in der Zulassung zu Weiheämter­n, die schwer argumentie­rbar ist. Wir müssen im Einklang mit der Weltkirche um eine gute Lösung ringen.

Zu einer fairen Verteilung der anerkannte­n Flüchtling­e gibt es keine Alternativ­e.

HERMANN GLETTLER (55) wollte schon als Kind Tischler oder Priester werden. Geworden ist er Letzteres. Nach Jahren als „Künstlerpf­arrer“in Graz wurde Glettler am 2. Dezember 2017 zum neuen Bischof der Diözese Innsbruck geweiht.

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Der Kunst ist Hermann Glettler auch als Bischof treu geblieben. Die Corona-Pandemie sieht der Theologe und Kunstgesch­ichtler zwar nicht als Strafe Gottes, aber als dringliche Mahnung.

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