Die verdächtig hohe Wahlbeteiligung in Kambodscha soll dem Regime zu mehr Legitimität verhelfen

Ohne namhaften Gegner stand der Sieg der Regierungspartei von vornherein fest. Die politische Situation lässt die Zahlen suspekt erscheinen.

Manfred Rist, Phnom Penh
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Ministerpräsident Hun Sen (Mitte) gibt in Begleitung seiner Frau Bun Rany (links) seine Stimme ab. (Bild: Kith Serey / Epa)

Ministerpräsident Hun Sen (Mitte) gibt in Begleitung seiner Frau Bun Rany (links) seine Stimme ab. (Bild: Kith Serey / Epa)

Entgegen allen Prognosen soll die Wahlbeteiligung in Kambodscha sehr hoch ausgefallen sein. Am Sonntagabend sprach die Wahlkommission NEC von 80,49 Prozent; später war gar von 82,71 Prozent die Rede. Das wäre auf jeden Fall deutlich über dem Wert von 2013, als 68,5 Prozent an die Urne gingen; Prognosen in der vergangenen Woche bewegten sich im Bereich von 60 Prozent. Es erstaunt umso mehr, als die wichtigste Oppositionspartei, die im vergangenen Jahr unter fadenscheinigen Vorwürfen von der Regierung aufgelöst worden war, zu einem Boykott des Urnengangs aufgerufen hatte.

Skepsis ist angebracht

Vor den Wahllokalen in der Hauptstadt Phnom Penh zeigte sich ein anderes Bild: Dort war kaum Andrang zu verzeichnen. Die Lokale schlossen landesweit bereits um 15 Uhr. Die angeblich hohe Beteiligung unter den 8,3 Millionen Wahlberechtigten wirkt auch vor dem Hintergrund der politischen Situation etwas suspekt. Nach dem Ausschluss der wichtigsten Oppositionskraft, der Cambodia National Rescue Party (CNRP), die notabene bei den Kommunalwahlen 2017 sehr gut abgeschnitten hatte, fehlte jede Spannung.

An einem Sieg der vom Langzeitherrscher Hun Sen kontrollierten Cambodian People's Party (CPP), die vor fünf Jahren 68 der 123 Parlamentssitze errang, war zwar nie zu zweifeln. Die Partei ist landesweit tief verwurzelt und kontrolliert je länger, je mehr alle Machtinstrumente. Ohne namhafte Gegenpartei stand ihr Sieg von vornherein fest. Offen war bloss die Wahlbeteiligung. Kam es – wie die Opposition der Bevölkerung nahelegte – zum stillen Protest durch Wahlabstinenz oder nicht? Vor allem bei der jungen und bei der städtischen Wählerschaft schien der Boykottaufruf auf Gehör zu stossen. Der jetzt ausgewiesene Prozentsatz widerspricht dem auf eklatante Weise.

Drohende Sanktionen westlicher Länder

Ministerpräsident Hun Sen, dessen Machtanspruch nun ins vierte Jahrzehnt reicht, wusste um die Bedeutung der Mobilisierung. Durch die Ausschaltung der Opposition und wegen der Verfolgung von Kritikern ist er im westlichen Ausland unter starke Kritik geraten. Amerika und die Europäische Union drohen mit Sanktionen. Gegen den inneren Machtzirkel in Phnom Penh sind in Washington bereits Reisebeschränkungen erlassen worden. Zwischen den USA und Kambodscha herrschen gespannte Beziehungen wie seit langem nicht mehr. Eine tiefe Wahlbeteiligung würde Hun Sens Legitimität weiter untergraben.

Sik Bun Hok, der Leiter der Wahlkommission, erklärte noch am Abend, dass die hohe Wahlbeteiligung Fragen zu Fairness und Legitimität nun beantworte. Diese Einschätzung scheint etwas voreilig. Parlamentarier aus Asean-Staaten, also aus Ländern, die sich üblicherweise nicht zu innenpolitischen Angelegenheiten anderer südostasiatischer Staaten äussern, sprachen von einem «hochgradig repressiven Klima», das vor den Wahlen geherrscht habe. Unter der faktischen Einparteidiktatur, die seit Monaten herrscht, haben die EU und die USA erstmals keine Wahlbeobachter entsandt. Im Gegenzug sandte China, der wirtschaftlich und politisch wichtigste Alliierte Kambodschas, erstmals Beobachter.

Massnahmen gegen «Obstruktion»

Oberflächlich stimmte alles am Wahlsonntag in Kambodscha. Es blieb überall ruhig, der Mekong trat nicht über die Ufer, neben der CPP traten 19 andere Parteien mit Kandidaten an, und schon drei Stunden nach Schliessung der Wahllokale stand fest, dass 6,74 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben hatten. Jetzt fehlen nur noch die offizielle Bestätigung der Sieger und die Erneuerung des Mandats für den mittlerweile 65-jährigen Hun Sen, der seit Monaten betont hat, dass er noch zehn Jahre im Amt zu bleiben gedenke.

Wie eng der Spielraum für politischen Widerspruch geworden ist, zeigt das Beispiel jener fünf früheren Oppositionspolitiker, die unlängst über Facebook die Bevölkerung aufforderten, den Urnen fernzubleiben. Sie wurden am Donnerstag wegen «Obstruktion» der Wahlen und wegen «Aufwiegelei» zu je 2500 Dollar Geldstrafen verurteilt und müssen mit weiteren Anklagen rechnen. Weil die Regierung seit Wochen harsch auf die Boykottaufrufe der Opposition reagiert hat und entsprechende Proteste für rechtswidrig erklärte, dürfte hier und dort der Eindruck entstanden sein, es herrsche Wahlpflicht. Fraglich bleibt, ob das Anschwellen der Wahlbeteiligung damit zusammenhängt.