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Sand aus dem Mekong wird in die Feuchtgebiete vor Phnom Penh gepumpt

Sand aus dem Mekong wird in die Feuchtgebiete vor Phnom Penh gepumpt

Foto: Thomas Cristofoletti

Bauboom in Kambodscha Der unstillbare Hunger nach Land

In einem gigantischen Landgewinnungsprojekt werden riesige Mengen Sand aus dem Mekong gehoben, um ein Feuchtgebiet vor Phnom Penh trockenzulegen. Dort soll Bauland entstehen – auf Kosten von Mensch und Umwelt.
Aus Phnom Penh berichten Thomas Christofoletti (Fotos) und Maria Stöhr
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Ven Voeun hat sein ganzes Leben hier verbracht: am Rande von Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh. Dort, wo die Seen liegen, in denen früher seine Eltern, dann er, nun seine Kinder Gemüse geerntet haben. Wasserspinat – Morning Glory, und Wassermimose werden in Kambodscha zu zahlreichen Gerichten gereicht, die grünen Blätter wachsen wild in den Feuchtgebieten vor der Millionenstadt.

Jeden Morgen, schon ab vier Uhr, sobald es ein wenig hell wird, fahren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern mit ihren schmalen Holzbooten auf die Seen, schneiden die grünen Blätter aus dem schlammigen Untergrund, stapeln sie und knoten sie zu Bündeln zusammen. Ernten, sagen sie, könne man nur frühmorgens, vielleicht bis sieben oder acht Uhr. Danach wird es so heiß, dass es unmöglich ist, unter freier Sonne zu arbeiten.

Morgens an den Seen vor Phnom Penh, wo die Kleinbauern leben. Bald dürfte es dieses Gewässer nicht mehr geben

Morgens an den Seen vor Phnom Penh, wo die Kleinbauern leben. Bald dürfte es dieses Gewässer nicht mehr geben

Foto: Thomas Cristofoletti

Ven Voeun übernimmt an Land: Der 65-Jährige bringt die Gemüsebündel ins Stadtzentrum, wo er sie jeden Tag auf dem Frischmarkt verkauft. Auch an diesem frühen Morgen Ende März will er gleich los zum Markt.

Seen werden mit Sand aus dem Mekong aufgefüllt und trockengelegt

Mehr als 1500 Hektar erstreckt sich das Feuchtgebiet vor Phnom Penh, Kambodschas Hauptstadt mit seinen zwei Millionen Einwohnern. Wie Ven Voeun leben mehr als 1000 Familien von dem, was in den Gewässern gedeiht: Fisch und Gemüse.

Auch ansonsten sind die Gewässer wichtig für die Stadt: Seicht in der Trockenzeit, dienen die Seen in der Regenzeit als natürliche Rückhaltebecken für die Fluten, schützen Phnom Penh vor Überschwemmung. Die Stadt liegt an den Ufern dreier Flüsse, Mekong, Tonle Sap und Bassac. Das macht die Stadt anfällig für Hochwasser in der Regenzeit von Juni bis Oktober.

Frauen ernten in den Feuchtgebieten Morning Glory und Wassermimosen, die später auf dem Markt verkauft werden. Viele sind seit Generationen hier Kleinbauern, bald müssen sie ihre Heimat verlassen

Frauen ernten in den Feuchtgebieten Morning Glory und Wassermimosen, die später auf dem Markt verkauft werden. Viele sind seit Generationen hier Kleinbauern, bald müssen sie ihre Heimat verlassen

Foto: Thomas Cristofoletti

Zudem arbeiten die Seen wie eine natürliche Reinigungsanlage für das Abwasser der großen Stadt, in der es kaum funktionierende Klärsysteme gibt. So war es zumindest bislang.

Kleinbauer Voeun deutet mit der Hand über einen der Seen hinaus. »Bis dort hinten reichten die Seen, als ich klein war. Jetzt stehen dort Wohnblöcke. Von den Gewässern sind nur noch ein paar Pfützen übrig. Bald werden sie auch den letzten Rest Wasser zugeschüttet haben.«

Seen sollen verschwinden, Bauland soll entstehen

Dort, wo sich Ven Voeuns ganzes Leben abgespielt hat, wo er die Bündel mit dem frischen Spinat gerade in seinen Gepäckträger klemmt, entsteht das größte Landgewinnungsprojekt Kambodschas.

Seit 2004 werden die Seen nach und nach mit Sand aus den Flüssen Mekong und Bassac aufgefüllt und trockengelegt. 16 Gewässer sind bereits verschwunden, 10 weitere werden bald nicht mehr da sein. Mit dem Ziel: Bauland soll geschaffen werden. Das Projekt trägt den Namen ING City Project.

Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten sind 90 Prozent der Fläche für ein riesiges Immobilienprojekt vorgesehen. Villen, Apartmentkomplexe, mehrere Shoppingmalls, Supermärkte, Einkaufsstraßen.

Wo früher ein See war, sind jetzt Hochhäuser und Freizeitparks. Viele Gebäude stehen leer

Wo früher ein See war, sind jetzt Hochhäuser und Freizeitparks. Viele Gebäude stehen leer

Foto: Thomas Cristofoletti

Phnom Penh erlebt einen gigantischen Bauboom, befeuert von der Regierung. Die glaubt, zukunftsträchtige Entwicklung habe vor allem etwas mit spiegelverglasten Hochhäusern und zehnstöckigen Einkaufszentren zu tun. Der Boom geht auf Kosten der Umwelt und der Menschen, für die bisher das Feuchtgebiet die Lebensgrundlage war.

Raubbau an Ressource Sand in Kambodscha hat gerade erst begonnen

Die Trockenlegung schreitet voran. Nicht einmal die Coronakrise, in der Kambodschas Wirtschaft stark litt, hat das Projekt ausgebremst: Bagger und Lkw rollten jeden Tag. Der Aufwand ist gigantisch.

Der Sand für das Projekt fehlt im Flussbett des Mekong: In der Folge brechen vielerorts Flussufer ab, geht Land verloren. Lastenkähne bringen den Sand auf dem Mekong in Häfen rund um Phnom Penh. Dort wird der Sand auf Land verladen, dort mit Wasser gemischt. Durch Rohre wird das Gemisch dann ins Baugebiet gepumpt – oder mit Lkw dorthin gebracht, die überall in Phnom Penh im Stadtbild auftauchen. Der Sand, der auf dem Weg in die Vororte von der Ladefläche gleitet, türmt sich an den Gehsteigen, verschmutzt die Luft.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter UN Human Rights, veröffentlichten dazu einen Bericht.  Der Befund darin ist deutlich: Das Sandprojekt habe weitreichende Folgen für die Umwelt und setze mehr als eine Million Menschen einem erhöhten Hochwasserrisiko aus.

Der Fotograf Thomas Christofoletti lebt in Phnom Penh. Er dokumentiert das Schrumpfen des Feuchtgebiets unweit seiner Stadt von Anfang an mit der Kamera. Er sagt: »Die Größe des Projekts ist schier überwältigend. Beängstigend schnell sind riesige Flächen zugeschüttet worden.«

Wenn bald alle Seen trockenlegt sind, wird der Bedarf an Sand nicht kleiner werden. Denn Sand ist auch eine Grundzutat für das, woraus die künftigen Gebäude auf den neu gewonnenen Flächen bestehen sollen: Beton.

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Gebaut auf Sand

Foto: Thomas Cristofoletti

Die Umweltplattform The Third Pole  zitiert aus Zahlen des kambodschanischen Ministeriums für Bergbau und Energie. Demnach könnte der Raubbau an der Ressource Sand in Kambodscha gerade erst begonnen haben: Im Jahr 2019 wurden 6 Millionen Kubikmeter aus den Flüssen Mekong und Bassac gefördert. 11,7 Millionen im Jahr 2020. Im Jahr 2021 mehr als 10 Millionen Kubikmeter.

Ven Voeun, der Kleinbauer, der bald keine Ernte mehr haben wird, will sich eine andere Arbeit suchen. Er sei bereits Mitte sechzig, das stimme schon, aber vielleicht gebe es auf dem Bau eine Anstellung für ihn? Er habe keine Wahl. Das Land, auf dem er seinen Lebensunterhalt verdient, gehört ihm nicht. Er zahle Pacht, sagt Ven Voeun. An »irgendeinen Großgrundbesitzer«. Gesehen habe er den noch nie, er kenne nicht mal seinen Namen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.