NS-Zwangsarbeit: "Verbotener Umgang"

"Verbotener Umgang" meinte in der nationalsozialistischen Diktion sowohl den sozialen wie auch den intimen Umgang mit zivilen oder kriegsgefangenen Zwangsarbeitern, das ging von gemeinsam an einem Tisch sitzen bis zu Geschlechtsverkehr, wobei nat�rlich letzterer besonders vehement verfolgt wurde.

Schon in den sog. Polenerlassen vom M�rz 1940 war festgelegt worden: "Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft." (Pflichten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums w�hrend ihres Aufenthaltes im Reich 8.3.1940, abgedruckt in: Documenta occupatonis X, S. 19). In den Richtlinien f�r die polizeilichen Beh�rden, die dem Erlasspaket ebenfalls beigegeben waren, wurde dann unter 2. "Bek�mpfung eines unerw�nschten Verhaltens der Arbeiter und Arbeiterinnen polnischen Volkstums gegen�ber der deutschen Bev�lkerung" verdeutlicht: "Insbesondere gilt dies f�r Verfehlungen auf sittlichem Gebiet. Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen polnischen Volkstums, die mit Deutschen Geschlechtsverkehr aus�ben, oder sich sonstige unsittliche Handlngen zuschulden kommen lassen, sind sofort festzunehmen und dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD zur Erwirkung einer Sonderbehandlung fernschriftlich zu melden." (Reichsf�hrer SS an alle Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen 8.3.1940, abgedruckt in: Documenta occupationis IX, S. 31-36, hier S. 34)
Was unter "Sonderbehandung" zu verstehen war, hatte Himmler bereits Ende Februar 1940 grunds�tzlich ausgef�hrt:
"Wenn ein Pole mit einer Deutschen verkehrt, ich meine jetzt also, sich geschlechtlich abgibt, dann wird der Mann geh�ngt, und zwar vor seinem Lager. Dann tun�s n�mlich die anderen nicht. [�] Die Frauen werden unnachsichtig den Gerichten vorgef�hrt und wo der Tatbetand nicht ausreicht - solche Grenzf�lle gibt es ja immer - in Konzentrationslager �berf�hrt." (Himmler am 29.2.1940, zitiert nach Herbert, Fremdarbeiter, 1985, S. 80).

Gleiches wurde in den sog. Ostarbeitererlassen vom 20. Februar 1942 nat�rlich auch f�r "Ostarbeiter" verf�gt: Bei der "Bek�mpfung der Disziplinwidrigkeit", "reichsfeindlichen Bestrebungen", "kriminellen Verfehlungen" und Geschlechtsverkehr mit Deutschen sei in der Regel "nur mit harten Ma�nahmen, d.h. Einweisung in ein Konzentrationslager oder Sonderbehandlung" vorzugehen. "Sonderbehandlung" wurde dabei folgenderma�en erkl�rt: "Die Sonderbehandlung erfolgt durch den Strang."

Umgekehrt wurde auch jeder Deutsche schon beim Eintreffen der ersten polnischen Zwangsarbeiter �ber seine "Pflichten gegen�ber dem deutschen Blut" aufgekl�rt: "So wie es als gr��te Schande gilt, sich mit einem Juden einzulassen, so vers�ndigt sich jeder Deutsche, der mit einem Polen oder einer Polin intime Beziehungen unterh�lt. Verachtet die tierische Triebhaftigkeit dieser Rasse! Seit rassenbewu�t und sch�tzt eure Kinder. Ihr verliert sonst euer h�chstes Gut. Eure Ehre." (Merkblatt "Wie verhalten wir uns gegen�ber den Polen?", NSDAP-Stabsleitung 15.3.1940, zitiert nach Herbert, Fremdarbeiter, 1985, S. 80)

Nat�rlich aber kam es dennoch auch zu sexuellen Kontakten zwischen Deutschen und Polen, vor allem auf dem Land, wo der pers�nliche Kontakt auf den oft m�nnerlosen H�fen besonders eng war. Im Landkreis G�ttingen sind daher einige F�lle von �ffentlichen Erh�ngungen von polnischen Arbeitern dokumentiert. Siehe dazu auch die Erinnerungen einer Zwangsarbeiterin, die in Spanbeck arbeitete.

Der sexuelle Kontakt zwischen "Ostarbeitern" und deutschen Frauen dagegen war seltener. Nicht nur, weil sich die "Ostarbeiter" viel weniger frei bewegen konnten als die Polen, sondern auch weil der "bolschewistische Untermensch" in den K�pfen auch vieler deutscher Frauen so fest verankert war, dass sich ein engere Beziehung f�r viele von ihnen von selbst verbat.

Ein echtes Massenph�nomen stellte dagegen der ebenfalls verbotene sexuelle Kontakt zu franz�sischen Kriegsgefangenen dar, der per Erlass der Gestapo vom 23.8.1944 auch auf die ehemaligen franz�sischen Kriegsgefangenen ausgedehnt worden war, die nach dem mit der Vichy Regierung im April ausgehandelten Abkommen zur "Transformation" inzwischen als zivile Zwangsarbeiter galten: "Im Gegensatz zu den �brigen franz�sischen Zivilarbeitern, ist den beurlaubten Kriegsgefangenen jeder Verkehr mit deutschen Frauen (geselliger Umgang und Geschlechtsverkehr) ausdr�cklich verboten. Das Verbot wurde erlassen, weil der deutsche Soldat - insbesondere der Frontsoltadt - selbstverst�ndlich dagegen gesch�tzt werden mu�, da� sich Kriegsgefangene an deutschen Frauen vergehen. Bei Verst��en gegen das Verbot sind grunds�tzlich staatspolizeiliche Ma�nahmen gegen den beurlaubten Kriegsgefangenen durchzuf�hren. Je nach Schwere des Falles (Beiligung einer Ledigen, einer Ehefrau, einer Kriegerfrau) ist mit staatspolizeilicher Warnung, Einweisung in ein Arbeitserziehungslager oder Schutzhaft bis zu 6 Monaten vorzugehen. Bei R�ckf�lligkeit und in jedem Falle des Geschlechtsverkehrs ist dem Kommandanten des zust�ndigen Stalag R�ckf�hrung in die Kriegsgefangenenschaft zu beantragen."
Die an der Beziehung beteiligten deutschen Frauen sollten allerdings in einem solchen Fall zumindest gerichtlich nicht bestraft werden, eine staatspolizeiliche Ahndung f�r ihr "gemeinschaftswidriges" Verhalten aber war dennoch nicht ausgeschlossen. Das konnte Einweisung in eine KZ bedeuten. Bei "verbotenem Umgang" von nicht-beurlaubten franz�sischen Kriegsgefangenen dagegen erwarteten die Frauen auf der Grundlage der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25.11.1939 Gef�ngnis- oder Zuchthausstrafen.

Flamen geh�rten nicht zu den Volksgruppen, mit denen der Umgang verboten war. Die deutsch-fl�mische Arbeitsgemeinschaft beschwerde sich deshalb am 25.7.1944 �ber das Vorgehen einer offenbar �bereifrigen Polizei, die Flamen angehalten hatten, die sich in Begleitung deutscher M�dchen befanden-

Verf�gung der Gestapo vom 23.8.1944 �ber den verbotenen Umgang mit beurlaubten franz�sischen Kriegsgefangenen

Nach den �berlieferten Polizeiakten wurden in G�ttingen am 11.5.1944 "zwei Personen" (sprich Frauen) wegen "Umgangs mit beurlaubten franz�sischen Kriegsgefangenen" festgenommen und am 9.1.1945 eine Frau wegen "verbotenen Umgangs" mit einem franz�sischen Kriegsgefangenen angezeigt.

Es haben sich au�erdem die Akten von zwei Verurteilungen deutscher Frauen durch das Sondergericht Hannover wegen "verbotenen Umgangs" mit franz�sischen Kriegsgefangenen erhalten:

  • So wurde Martha R. aus Weende, die bei den Aluminiumwerken arbeitete und eine verliebte �ber K�sse, Liebkosungen und Briefe nicht hinausgehende Beziehung zu einem dort ebenfalls t�tigen franz�sischen Kriegsgefangenen zugegeben hatte, vom Sondergericht in Hannover am 8.9.1942 zu einer Gef�ngnisstra�e von 9 Monaten verurteilt, da es sich um eine "gr�bliche Verletzung des gesunden Volksempfindens" handele: "Da es nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen ist, der Kriegsgefangene auch der treibende Teil war [...], ist ein schwerer Fall nicht angenommen worden.", hie� es im Urteil. Dadurch blieb Martha R. eine Zuchthausstrafe erspart. Ihre Gef�ngnisstrafe musste sie im Gef�ngnis Weserm�nde Lehe (heute Bremerhaven) absizten, aus dem sie am 9.5.1943 entlassen wurde.
    Im Juni 1949 schrieb der Ehemann von Martha R., der diese erst nach dem Krieg geheiratet hatte, dem Oberstaatsanwalt in Hannover einen Brief, in dem er die Verhandlung des Falles vor einem ordentlichen Gericht verlangte: Seine Frau habe durch ihre Arbeit normalen "Betriebsverkehr" zu Kriegsgefangenen unterhalten d�rfen, und sei durch die Gestapo, die sie stundenlang bis zur Bewusstlosigkeit verh�rt und ihr mit dem KZ gedroht h�tte, zu ihrem Gest�ndnis gezwungen worden. Au�erdem sei seine Frau damals ohne jeglichen Rechtsbeistand verurteilt worden: "Druch das damalige Sonderurteil, obwohl es heute gel�scht ist, wird meine Frau bei der Betreuungsstelle der Verfolgten auch heute noch als eine Frau f�rs Bett angesehen. Oder besser gesagt, als Hure. Und f�r diese Menschen ist nat�rlich keine Hilfe vorhanden. Da es nun nicht blo� Politisch-Verfolgte gegeben sondern auch Verurteilte durch andere Gr�nde, die ebenfalls die Gestpo ausfindig machen mu�te, denn dazu war sie ja nunmal da, bitte ich als Vertreter meiner Frau um Neuaufnahme dieses Falles. Ich habe ja letztendes keine Hure geheiratet."
    Das ist ein bemerkenswertes Dokument. Denn Friedrich L. machte als einer der ganz wenigen F�rsprecher dieser Frauen, die es nach dem Krieg gab, deutlich, dass die �ffentliche �chtung und Verurteilung von Frauen, die sich mit dem "Feind" eingelassen hatten oder auch nur nett und freundlich zu ihm gewesen waren, auch nach dem Krieg nicht aufh�rte.
  • Ebenfalls in den Aluminiumwerken hatte auch die dienstverpflichtete Irma K. 1943/44 eine angeblich mehrere Monate andauernde Beziehung zu einem franz�sischen Kriegsgefangenen unterhalten. Im April 1944 wurde sie von einem dort t�tigen deutschen Werkzeugdreher erwischt, dieser machte dem Betriebsobmann Meldung und so erfolgte schlie�lich eine Anzeige bei der Gestapo. Die Aluminiumwerke stellten allen drei Beteiligten, dem Anzeigeerstatter ebenso wie der beschuldigten deutschen Arbeiterin und dem franz�sischen Kriegsgefangenen ein gutes Zeugnis aus. Irma K. aber wurde nach Erstattung der Anzeige entlassen und wechselte zu Sartorius. In den Vernehmungen gab sie zu, wenigstens einmal Geschlechtsverkehr mit dem franz�sischen Kriegsgefangenen gehabt zu haben und wurde darauf ins Gerichtsgef�ngnis �berstellt. Am 9.6.1944 wurde sie zu einem Jahr Zuchthaus und Aberkennung der Ehrenrechte auf zwei Jahre verurteilt.
    Auch in ihrem Fall setzte sich ihr Ehemann f�r sie ein. Er habe seiner Frau verziehen, schrieb er am 12.6.1944 an den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht, und wolle die eheliche Gemeinschaft mir ihr wierder aufnehmen. Deswegen solle sie die Strafe unbedingt in G�ttingen verb��en, da sie hier auch f�r Fragen der Haushaltsf�hrung erreichbar sein m�sse. Unschuldige, die auch Mitglied des Haushaltes seien, sollten nicht auch noch leiden. Auch seine Mitgliedschaft in der SA machte er geltend. Dennoch wurde seine Frau in das Frauenzuchthaus Anrath bei Krefeld �berf�hrt. Nach mehreren verschiedenen Gef�ngnisstationen wurde sie am 3.4.1945 entlassen und die zust�ndige Milit�rregierung empfahl, ihr die Reststrafe zu erlassen, was mit Verf�gung vom 21.2.1946 (!) auch geschah. Eine Aufhebung des Urteils findet sich in den Akten allerdings nicht.
    Auch gegen den beteiligten Kriegsgefangenen wurde vor dem Gericht des Wehrmachtkommandur ein Verfahren wegen "Ungehorsams" er�ffnet, dessen Ausgang den Akten aber nicht zu entnehmen ist.

  • Literatur und Quellen:

    Documenta Occupationis (hg. vom Instytut Zachodni Posnan),
    Band IX: Polozenie Polskich Robotnik�w Przymusowych w Rzeszy 1939-1945, Posnan 1975;
    Band X: Praca Przymusowa Polak�w Pod Panowaniem Hitlerowskim 1939-1945, Posnan 1976
    (jeweils mit deutscher Einleitung und ausschlie�lich deutschen Dokumenten).

    Urlich Herbert, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausl�nder-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin-Bonn 1985.

    Reiter, Raimond, Das Sondergericht Hannoer 1933-1943: "Heimt�cke" und "Volkssch�dlinge" in G�ttingen, in: G�ttinger Jahrbuch 45 (1997), S. 157-167, hier S. 163 ff.

    Tagesmeldungen der Kriminalpolizeileitstelle Hannover - Au�enstelle G�ttingen Bd. 1 Dezember 1943-1944 und Bd. 2 August 1944 bis M�rz 1945, Stadtarchiv G�ttingen, Pol.Dir. Fach 175 Nr. 1 (Eintr�ge 11.5.1944 und 9.1.1945).

    Akten des Sondergerichts Hannover, Nieders�chsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Hann 171 a Hannover acc. 107/83 Nr. 610 und Nr. 915.

    Brief der Deutsch-Vl�michen Arbeitsgemeinschaf 25.7.1944, Verordnung der Gestapo vom 23.8.1944, Stadtarchiv G�ttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 538 und Bl. 548.  


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