Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Studentenflut: Wie viele studieren was?

Foto: Jan Woitas/ picture-alliance/ ZB

Mehr Studienanfänger denn je Jetzt kommt die Flut

Die Hochschulen ächzen jetzt schon unter einem Studentenansturm. Doch eine neue Prognose lässt Schlimmeres befürchten: In diesem Jahr wird es mehr Studienanfänger in Deutschland geben als jemals zuvor - und die Vorhersagen für die kommenden Jahre sind viel zu niedrig berechnet.

Wer als Student denkt, er sei etwas Besonderes, der sollte dringend mal in die Statistik schauen. Dann ist's mit dem Hochmut schnell vorbei: 2.214.111 - so viele Kommilitonen hat jeder deutsche Student, wenn sich das Statistische Bundesamt bei der letzten Studentenvolkszählung nicht vertan hat. Elitär und exklusiv, das war einmal und ist nicht mehr.

Längst ächzen viele Hochschulen unter dem Ansturm der Studienanfänger. Der könnte in diesem Jahr so groß ausfallen wie noch nie in der deutschen Geschichte. Die Hochschulexperten von CHE Consult aus Gütersloh haben eine neue Prognose erstellt, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Demnach ist es wahrscheinlich, dass in diesem Jahr der höchste jemals gemessene Wert erreicht wird. "Dies ist auf die doppelten Abiturjahrgänge in den großen Flächenländern Bayern und Niedersachsen sowie auf die Aussetzung der Wehrpflicht zurückzuführen - ein Effekt, von dem alle Länder betroffen sein werden", heißt es in der Studie. In den kommenden Jahren würden die Zahlen vermutlich ganz leicht sinken, aber noch 2015 "etwa auf dem Niveau des aktuellen Rekordjahres 2010 liegen".

Dass sehr viele junge Leute an die Hochschulen strömen, ist keine Überraschung. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) hat einen Ansturm vorhergesagt. Das Brisante an den neuen Berechnungen aus Gütersloh aber ist: Die Politiker könnten die Welle stark unterschätzt haben.

Nach der Modellrechnung von CHE Consult liegt die Prognose des Bundes und der Länder für die Jahre 2011 bis 2015 viel zu niedrig: um bis zu 216.000 Studienanfänger. Die Experten konstatieren deshalb "ein enormes Planungs- und damit auch Finanzierungsdefizit". Wer die benötigten Studienplätze bezahlen solle, sei "weitgehend offen".

Im Westen fehlen Studienplätze, im Osten Abiturienten

Wie groß das Problem tatsächlich wird, hängt auch von den künftigen Erstsemestern ab. Denn Deutschland ist zweigeteilt: Im Westen sind Studienplätze knapp, im Osten Abiturienten. Bislang scheuen viele Studierwillige aus unterschiedlichen Gründen, ihre Heimat zu verlassen. Werbekampagnen bemühen sich darum, Abiturienten in den Osten zu locken; zuletzt schienen sich erste Erfolge einzustellen

In ihren aktuellen Berichten blicken die Experten von CHE Consult nicht nur nach vorne, sondern auch zurück. Die vier Autoren - Christian Berthold, Gösta Gabriel, Gunvald Herdin und Thimo von Stuckrad - ziehen eine Bilanz der bisherigen Bemühungen, neue Studienplätze zu schaffen. Es geht um die erste Phase des "Hochschulpakts", den Bund und Länder 2007 abgeschlossen haben. Darin vereinbarten sie, bis 2010 für 91.300 zusätzliche Studienanfänger an den Hochschulen Platz zu schaffen.

Ein leeres Versprechen? Ganz und gar nicht, wie die Bilanz zeigt. "Tatsächlich wurden in diesem Zeitraum insgesamt circa 182.000 Erstsemester mehr an deutschen Hochschulen zum Studium zugelassen", heißt es.

Die Studie bietet detaillierte Informationen über jedes einzelne Bundesland  . Die Berichte zeigen die Unterschiede zwischen den Bundesländern, alle aber haben laut der Studie zum Erfolg beitragen: Kein einziges Land habe sein Ziel verfehlt, etliche Länder hätten die Erwartungen deutlich übertroffen, Rheinland-Pfalz sogar um mehr als das Doppelte. Der Hochschulpakt sei deshalb "ein enormer Erfolg". Allerdings kein uneingeschränkter: Die Zahl der Professoren sei nicht gleichermaßen gestiegen. Dies führe dazu, "dass das quantitative Betreuungsverhältnis junger Erstsemester zu Hochschullehrer(inne)n sich in allen Ländern ausnahmslos verschlechtert".

Wie lassen sich die Hochschulen auf Dauer finanzieren?

Die Experten mahnen Bund und Länder, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. Die Politiker müssten dringend "neue Wege der Hochschulfinanzierung" diskutieren, um die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Länder in einen Ausgleich zu bringen. Es sei "nicht auszuschließen, dass die Interessengegensätze schon bei den Verhandlungen zur dritten Phase des Pakts stärker ausbrechen werden", warnt CHE Consult. Die Politiker aus den neuen Ländern könnten sich fragen, warum sie bei knappen Mitteln viele Studierende aus dem Westen ausbilden sollten, "die mehrheitlich dorthin auch wieder zurückkehren, um zu arbeiten und Steuern zu zahlen".

Die Finanzierung ist bisher Sache der Länder, der Bund kann nur über besondere Konstruktionen wie den Hochschulpakt aushelfen. Mit solchen Hilfskonstruktionen aber könne und dürfe man nicht ewig weitermachen. Einfach darauf zu vertrauen, dass die Anfängerzahlen bald wieder sinken, wenn die doppelten Abiturjahrgänge die Schulen verlassen hätten - das wäre nach Ansicht der Gütersloher Experten falsch.

Denn es sei davon auszugehen, dass auf absehbare Zeit sehr viele junge Menschen ein Studium aufnehmen dürfen und wollen. "Es besteht ein riesiger Bedarf an Studienplätzen", sagt Christian Berthold, Geschäftsführer von CHE Consult. So wollen es Politiker seit Jahren; ein Studium soll eben nicht mehr elitär und exklusiv sein, die Akademikerquote soll weiter steigen.

Den bisherigen Anstieg auf die Rekordzahl von 2.214.112 Studenten haben die Fachleute vom CHE Consult auch nach Fächergruppen aufgeschlüsselt. Dabei zeigt sich ein enormer Zuwachs in den Ingenieurwissenschaften, von 2007 bis 2010 ist die Zahl der Studenten um mehr als ein Drittel gestiegen. Damit haben die Ingenieure eine andere Fächergruppe eingeholt: Sie stellen jetzt so viele Studenten wie die Sprach- und Kulturwissenschaften.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.