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Donnerstag, 10. Oktober 2013
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Ein Zwischenruf Studiengebühren? Was sonst!

 ·  Ein Bundesland nach dem anderen schafft die Studiengebühren ab. Gleichzeitig steigen die Studentenzahlen. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Ein Zwischenruf aus Thüringen.

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© dapd Vergrößern Studierende in der Leipziger Nationalbibliothek

Es gibt Themen, die aufgrund der öffentlichen und politischen Meinung fast schon einem Diskussionstabu unterliegen. Eine systematische Auseinandersetzung mit vorurteilsfreier Prüfung aller Pro-und-Contra-Argumente findet dann kaum noch statt. Die Thematik „Studiengebühren“ gehört zu diesen Tabuthemen. Seit man sich in Thüringen unter dem damaligen Ministerpräsidenten Althaus gegen ihre Erhebung festgelegt hat, gilt das Thema quer durch alle politischen Parteien offenbar als endgültig entschieden.

Damit liegt man im bundespolitischen Trend. Mit Bayern und Niedersachsen werden sich die letzten beiden Bundesländer bald von dieser Säule der Hochschulfinanzierung verabschiedet haben. Studiengebühren sind mit dem Stigma „unsozial“ belegt, und damit erübrigt sich jede weitere Diskussion. Was alle tun, muss aber noch lange nicht richtig sein. Und was gestern und heute richtig war, muss es nicht zwangsläufig auch morgen sein.

Weniger Geld, mehr Studenten

Denn die Zeiten haben sich mittlerweile grundlegend geändert. Die ohnehin schon hochverschuldeten öffentlichen Haushalte sind durch die Staatsschuldenkrise in Europa noch weiter ausgehöhlt worden. Finanzielle Lasten durch die Alterung der Bevölkerung (Beamtenpensionen!), die Schuldenbremse und das Auslaufen der Förderhöchstsätze aus den EU-Strukturfonds werfen auch in Thüringen ihre Schatten voraus. Der finanzielle Spielraum für politische Gestaltungsziele wird durch absehbaren Sparzwang massiv verengt. Nennenswerte Mittelaufstockungen für die Hochschulen im Freistaat sind unter diesen Rahmenbedingungen wohl nicht zu erwarten.

Auf der anderen Seite belasten die Energiewende mit den deutlich angestiegenen Preisen für Heizung und Strom, aber auch die nicht durchfinanzierten Tariflohnsteigerungen die Kostenrechnungen der Hochschulen deutlich. Im Ergebnis kommen am Ort der eigentlichen Leistungsentstehung - und das sind im Hochschulbetrieb nun einmal die Fachbereiche, die im grundständigen Betrieb die Lehr-, Prüfungs-, Publikations- und Forschungsaufgaben wahrnehmen - immer weniger Finanzmittel an. Gleichzeitig gilt in Deutschland das politische Ziel, immer mehr Menschen einen Hochschulabschluss zu ermöglichen, also die Studierquote im internationalen Vergleich anzuheben. Das passt mit der angespannten Finanz- und Überlastsituation an den Hochschulen überhaupt nicht zusammen.

Wie sieht nun die finanzielle Situation „an der Basis“ mittlerweile aus? Es soll exemplarisch am eigenen Fachbereich Betriebswirtschaft der Ernst-Abbé-Fachhochschule Jena aufgezeigt werden. Von 22 zugewiesenen - also ursprünglich geplanten und für nötig erachteten - Professorenstellen können aus finanziellen Gründen lediglich 17 besetzt werden. Irgendwie geht’s, aber alles hat mittlerweile sehr stark den Charakter des „Durchwurstelns“. Einschränkungen beim Veranstaltungsangebot und Veranstaltungsgrößen mit didaktisch höchst suboptimalen Gruppengrößen sind unausweichliche Konsequenzen. Das Kleingruppenkonzept - ursprünglich ein wichtiges Differenzierungsmerkmal von Fachhochschulen gegenüber Universitäten - liegt in Agonie. Der ungeplante Ausfall einer Beamer-Birne im Wert von 300 Euro wird zum Jahresende hin zum ernsten Finanzierungsproblem. Papier ist rationiert. Über Drittmittel eingeworbenes zusätzliches wissenschaftliches Personal kann aus Gründen der Raumknapphheit nur durch höchst kunstvolle Rochaden untergebracht werden.

Wer soll die Bildungsrepublik Deutschland bezahlen?

Das gesamte Jahresbudget für den Fachbereich mit etwa 750 Studierenden liegt bei etwa 90 000 Euro. Pro Student und Monat sind das 10 Euro. Üppig sieht anders aus. Daraus sind dann der gesamte Geschäftsbedarf (u.a. Telefon, Büromaterial, Vervielfältigungen, Reisekosten, technische Büroausstattung) und große Teile der technischen Ausstattung in den Laboren (u.a. PCs, Software) zu finanzieren und instand zu halten.

Die Summe enthält auch das persönliche Jahresbudget eines Professors zur individuellen Verwendung für Dienstreisen, Literatur, Anschaffung technischer Bürogeräte und Einstellung von studentischen Hilfskräften. Dieses ist mittlerweile bei 750 Euro im Jahr angelangt. Das sind 62,50 Euro im Monat. Hier ist endgültig die Grenze der Lächerlichkeit in der „Bildungsrepublik Deutschland“ erreicht.

Was also tun, wenn die öffentliche Hand als Garant einer verbesserten Hochschulfinanzierung weitgehend ausfällt? Die Thematik „Studiengebühren“ muss wieder auf die Agenda der politischen Diskussion - und zwar ganz schnell und ganz oben! Will man die Hochschulstruktur in der derzeitigen Form erhalten und nicht den Kapital freisetzenden Weg der Schließung oder Zusammenlegung von Hochschulen und/oder Fakultäten/Fachbereichen gehen, dann sind Studiengebühren als wichtiger Finanzierungsbeitrag ein naheliegender und unausweichlicher Weg.

Es geht an die Substanz

Es ist jedenfalls keine Alternative, den Hochschulen jedes Jahr neue lähmende Spardiskussionen zuzumuten. In fast allen Organisationen existieren Sparpotentiale, die man heben kann. Auch Hochschulen in den neuen Ländern hatten in den Jahren nach der Wende nach meinem Eindruck einige Reserven. Mittlerweile ist die Fettabsaugung aber nicht nur am Muskel, sondern eher am Knochengerüst angelangt. Der grundständige Lehr- und Studienbetrieb zeigt unübersehbare Auszehrungstendenzen.

Die Thüringer Politik beispielsweise sollte darum die Kraft haben, das Thema „Studiengebühren“ mutig anzugehen. Verantwortungsvolle Politik heißt eben auch, das Notwendige zu tun und nicht nur das, was kurzfristig Beifall und Wählerstimmen verheißt. Die neue Bundesbildungsministerin, Johanna Wanka, wird derzeit häufig mit ihrer Prognose zitiert, dass es im Jahr 2017 überall in Deutschland wieder Studiengebühren geben wird (F.A.Z. vom 19. Februar 2013).

Dabei ist noch nicht einmal ausgemacht, dass die Einführung von Studiengebühren per saldo wirklich Wählerstimmen kostet. Denn ein wichtiger Aspekt ist, dass Nichtakademiker in einem kostenfreien Hochschulsystem über ihre Steuern die Chancen auf ein überdurchschnittliches Lebenseinkommen von Akademikern mitfinanzieren. Eingewandt wird dann immer, dass nach dem Studium die Besserverdienenden über den progressiven Einkommensteuertarif auch an der Finanzierung des Gemeinwesens stärker beteiligt sind. Das Argument ist zweifellos richtig. Allerdings landen diese Steuerzahlungen „irgendwo“, nicht spezifisch an den Hochschulen. Und schon die Chance auf ein überdurchschnittlich hohes Einkommen hat einen ökonomischen Wert, der mit einem angemessenen Preis versehen werden kann. Viele in der Gesellschaft haben diese Chance eines Hochschulzugangs nicht. Sie werden moderate Studiengebühren als gerecht empfinden.

Soeben hat auch eine Studie des „Kronberger Kreises“ moniert, dass die Bildungsfinanzierung in Deutschland „auf dem Kopf“ steht. Bildung im Kindergarten, von der die gesamte Gesellschaft ökonomisch stark profitiert, wird zu einem hohen Anteil privat von den Eltern finanziert. Hochschulbildung, aus der primär der Einzelne hohen ökonomischen Nutzen zieht, ist dagegen kostenfrei. Es müsste genau andersherum sein.

Ein flexibles System ist wichtig

Nun zur Ausgestaltung von Studiengebühren. Offensichtlich kann man sich vielfach nur einen uniformen Betrag von 500 Euro je Semester vorstellen, der von allen Studierenden an allen Hochschulen und in allen Studiengängen gleichermaßen zu entrichten ist. Das System muss auf alle Fälle flexibel angelegt werden. Grundsätzlich sollte jede Hochschule und jeder Fachbereich für sich entscheiden können, ob Studiengebühren erhoben werden sollen oder nicht. Und auch die Höhe muss bis zu einer definierten Obergrenze variabel sein. Gut nachgefragte Studiengänge können so eher mit einem Preis nahe der Höchstgrenze versehen werden; für schwächer nachgefragte Ausbildungsangebote wird man einen tieferen Preis wählen oder im Extremfall auch ganz auf Studiengebühren verzichten.

Auf alle Fälle sollte die Entscheidung dezentral getroffen werden können. Das wäre Hochschul- und Fachbereichsautonomie. Auf alle Fälle würden zusätzliche Finanzmittel gezielt dorthin gelenkt, wo sie wegen erhöhter Nachfrage auch am dringlichsten benötigt werden.

Um welche Beträge geht es? Sind 33 Euro im Monat unzumutbar?

Nun darf aber keinesfalls eine Fehlsteuerung der Art einsetzen, dass rein aus dem Motiv der Vermeidung von Studiengebühren Fächer studiert werden, die nicht den eigenen Talenten und Neigungen entsprechen. Damit gewinnt die absolute Höhe von Studiengebühren große Relevanz. Sie muss so gewählt werden, dass Studieninteressierte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahl des Studienfachs und des Studienorts nicht von diesem Betrag abhängig machen. Daher soll konkret eine Studiengebühr in Höhe von 200 Euro je Semester zur Diskussion gestellt werden.

Über ein gesamtes Bachelor-Studium von sieben Semestern (3,5 Jahre) addieren sich so Gesamtkosten für die Studierenden von 1400 Euro. Heruntergebrochen auf einen einzelnen Monat, reden wir über 33 Euro. Dafür gibt es an den Hochschulen ein tagesfüllendes Bildungsprogramm samt guter Chancen auf ein erhöhtes Lebenseinkommen. Etliche Handy-Flatrates oder Beiträge für Fitness-Studios kosten mehr. Studiengebühren in dieser Höhe sind sozialverträglich. Sollte jemand die Entscheidung zum Studium tatsächlich von diesem Betrag abhängig machen, müsste man an der Ernsthaftigkeit des Studienwunschs zweifeln.

Die Nachteile nachgelagerter Studiengebühren

Andererseits reden wir hier über einen Betrag, der zumindest für die nichttechnischen Fachbereiche mittelgroßer Fachhochschulen einen wichtigen Finanzierungsbeitrag darstellen kann. Am konkreten Beispiel unseres Fachbereichs mit 750 Studierenden käme es pro Jahr zu zusätzlichen Einnahmen von 300.000 Euro. Das reicht für die Finanzierung von drei zusätzlichen Professuren auf W2-Niveau. Diese kämen den Studierenden über ein verbessertes Lehrveranstaltungsangebot und verkleinerte Seminargruppen unmittelbar zugute.

Diskutiert werden immer wieder sogenannte „nachgelagerte Studiengebühren“. Eine Zahlungspflicht an die Hochschule setzt dabei erst nach erfolgreichem Studienabschluss ein und auch erst dann, wenn ein Arbeitseinkommen einer bestimmten Mindesthöhe erzielt wird. Im Rahmen des hier vorgeschlagenen Modells wird ein solches Verfahren aus drei Gründen abgelehnt. Erstens soll durchaus schon die Chance auf ein hohes Lebenseinkommen moderat „bepreist“ werden.

Zweitens würden nachgelagerte Studiengebühren ein Verwaltungsmonster schaffen. Und drittens ist es psychologisch gesehen ungeschickt, ehemalige Studierende für etwas zahlen zu lassen, von dem sie selbst nicht mehr unmittelbar profitieren. Viel motivierender ist es, schon während des eigenen Studiums den Nutzen aus den gezahlten Beträgen ziehen zu können. Die Hochschulen wären dann in der Pflicht, die Mittelverwendung auch hinreichend transparent zu machen.

Eine wichtige Anmerkung zum Abschluss: Studiengebühren verbessern die Situation im Hochschulbetrieb natürlich nur, wenn sie auch ungekürzt an der „Werkbank“, also in den Fachbereichen ankommen. Sie müssen „on top“ zur staatlichen Hochschulfinanzierung erhoben werden und dürfen kein Anlass sein, dass sich die öffentliche Hand parallel als Finanzier zurückzieht.

Der Autor unterrichtet Betriebswirtschaftslehre an der Ernst-Abbé-Fachhochschule Jena.

Quelle: F.A.Z.
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